Landwirte in Nöten - Quo vadis, LPG?
Ein sorgenvolles Gespräch mit Karl Dämmrich, Präsident des Bauernverbandes der DDR
Wir kennen die Geschehnisse, die Bilder der letzten Tage und Wochen: Bauern unseres Landes kippen Milch auf Straßen und Plätze, Läuferschweine müssen totgeschlagen werden, reifes, hochwertiges Kernobst bleibt an den Bäumen. Und nun droht auch noch die Gefahr, dass Getreidefelder nicht abgeerntet werden können. Unser täglich Brot soll verkommen? Verständlich, dass angesichts dieser dramatischen Situation unter den Landwirten in den LPG die Unruhe, der Unmut und die Existenzangst wachsen.
Was sagt ein Mann wie Karl Dämmrich, Präsident des Bauernverbandes der DDR und Vorsitzender der LPG Tierproduktion im vogtländischen Breitenfeld, also einer der führenden Interessenvertreter der Landwirte und zugleich selbst Praktiker, zu der für die Genossenschaften und ihre Mitglieder bedrohlichen Lage?
Zuerst wünschte ich mir, dass der Minister für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft, die Regierung das Heft in der Hand hätten. Aber im Moment läuft gar nichts. Außer der Tatsache, dass der Strom der bundesdeutschen Waren die Regale unserer Kaufhallen überflutet und unsere eigenen Produkte ausgebootet werden. Auf diese Weise gehen unsere Genossenschaften dem Ruin entgegen, fast alle. Die Ernte steht vor der Tür. Die Bauern wissen nicht, wie sie das Getreide bergen, wie sie ihre Erzeugnisse absetzen sollen. Obwohl wir unsere Forderungen und Bedenken rechtzeitig angemeldet haben, müssen wir nun erleben, dass unsere Kollegen, die hohe Leistungen in der Pflanzen- und Tierproduktion vollbringen, auf dem für sie bisher ungewohnten Weg in die Marktwirtschaft sozusagen schutzlos im Regen stehengelassen werden.
Sie hatten vor wenigen Tagen vor der Presse erklärt, dass die Verarbeitungsbetriebe einheimische Produkte, vor allem Milch- und Schlachtvieh, nicht einmal zu den festgelegten Mindestpreisen abnehmen, obwohl diese schon unter den BRD-Erzeugerpreisen liegen, dass viele Verträge gebrochen werden und es keine klaren Regelungen hinsichtlich versprochener Schutzmaßnahmen zur schrittweisen Anpassung der DDR- Landwirtschaft gibt. Was muss jetzt geschehen?
Wir brauchen Soforthilfe, mit der über die Banken die weitere Existenz und Produktion finanziert werden kann. Die Konten sind alle gesperrt, doch werden jetzt Liquiditätskredite gewährt. Bis Mitte August kann eine Anpassungshilfe in Höhe von 1 100 DM pro Vollbeschäftigten beantragt werden. Das ist noch nicht einmal die Höhe eines Monatslohns.
Wenn jetzt die Betriebe gezwungen werden, eine Liquiditätsrechnung für den Monat Juli aufzustellen, so wird das eine Rechnung mit Unbekannten. Keiner weiß, was er an Produkten absetzen wird. Hier liegt der Vergleich mit einem Beinamputierten nahe, den ich zum Hundert-Meter-Lauf präparieren will.
Wir befinden uns an der Basis in einem regelrechten Teufelskreis, und keiner weiß im Moment, wie wir da herauskommen. Eines aber wissen wir: Die angekündigten Förderungsmaßnahmen müssen schnellstens greifen. Hohe Arbeitsproduktivität und niedrige Kosten sind dringlicher denn je, um bei der Preisgestaltung flexibler reagieren zu können. Dazu bedarf es auch neuer Technik, und diese wiederum setzt Mittel voraus, die wir nicht haben.
Wir wollen nicht nur von der Marktwirtschaft sprechen. Wir stellen uns als Landwirte gern ihren Herausforderungen. Aber wir müssen dazu eine Chance bekommen, und die haben wir nicht. Auch wenn die bisherige Landwirtschaft einen Wandel erfahren wird und muss, so kann ich nicht über Nacht Strukturen zerstören, die in vielen Jahren gewachsen sind. Unsere Genossenschaften können in Zukunft leistungsfähige Wettbewerbspartner sein. Dazu bedarf es einer strukturellen Entflechtung, die wohldurchdacht sein muss und bei der nichts übers Knie gebrochen werden kann. Sonst führt das zu großer sozialer Not.
Bisher haben wir über die aktuellen Vorgänge in der DDR-Landwirtschaft im allgemeinen gesprochen. Wie sieht es bei Ihnen "vor Ort" aus?
Auch sehr ernst. Ernster noch als vielleicht in manch anderem Betrieb. Das hängt mit unserer Spezifik zusammen. Unsere LPG hat sich auf Grund ihrer Gebirgslage als Färsenaufzuchtbetrieb spezialisiert. Wir betreiben eine Stufenproduktion, die sich nicht sofort auf dem Markt darstellt. Wir kaufen Kälber vom Milchbetrieb und verkaufen an ihn wiederum unsere tragenden Färsen. Aber der Partner nimmt sie uns nicht mehr ab, weil er eine Überproduktion an Milch hat.
So stehen zur Zeit in unserer Genossenschaft 150 Färsen, die im nächsten Monat abkalben. Aber es gibt keine Einrichtung zum Melken. Das ist eine Situation, die das Maß der Belastbarkeit der Menschen übersteigt. Eine Maschine kann ich abstellen, aber nicht das lebende Wesen, über das wir ständig neu unsere Entscheidung treffen müssen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Schon lange bin ich Landwirt von ganzem Herzen und habe schon viel erlebt, aber noch nie vor solch einer Ausweglosigkeit gestanden.
Wie beurteilen Sie die vielfältigen und zum Teil außergewöhnlichen Aktionen, mit denen Bauern in diesen Tagen auf die Bedrohung ihrer Existenz reagieren?
Man muss die Kollegen verstehen. Denn schließlich geht es um die Arbeit und die Arbeitsplätze von 800 000 Bürgern, die mit ihren Dörfern, mit ihrem Boden verwachsen sind. Wenn Versprechungen nicht eingehalten und die Bauern im Stich gelassen werden, suchen sie - wie der Lokführer, der den Zugverkehr für kurze Zeit blockiert - nach Mitteln und Wegen, um ihren Lebensinteressen Ausdruck zu verleihen. Natürlich dürfen diese Aktionen sich nicht planlos vollziehen, sondern müssen wirksam und wohlüberlegt sein.
Am Wochenende wird in der Landeslehranstalt des Deutschen Bauernverbandes (DBV) der Bundesrepublik Burg Warberg eine Begegnung stattfinden, die man auch einen deutsch-deutschen "Runden Tisch" zur brisanten Agrarproblematik nennen kann. Sie werden teilnehmen. Mit welchen Erwartungen?
Vor allem setze ich meine Hoffnungen darauf, dass wir einen Konsens finden, um bis zur Herbeiführung der deutschen Einheit auch einen Übergang unserer bisherigen, leider noch in verschiedene Richtungen ziehenden und zielenden DDR-Verbände in den DBV zu erreichen. Das entspräche dem berufsständischen Interesse, und eine gute Profilierung der künftigen Landesverbände wäre eine wichtige Voraussetzung für die wirksame Vertretung der dringlichen Anliegen unserer Berufskollegen gegenüber den Landesregierungen. Es besteht übrigens bereits eine gute Zusammenarbeit mit dem DBV, von dem wir lernen können, in den wir aber auch bei der künftig noch engeren Gemeinsamkeit unsere Erfahrungen als Genossenschaftsbauern einbringen können.
Unlängst war ich mit weiteren Mitgliedern unserer Genossenschaft beispielsweise in die Bildungsstätte des Bayrischen Bauernverbandes eingeladen, wo wir viel Neues erfuhren über Förderungsprogramme für Bauern, die unter ähnlich schwierigen Bedingungen wirtschaften wie wir im oberen Vogtland.
Das Gespräch führte
Wolfgang Hasse
Neue Zeit, Fr. 13.07.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 161