Und jetzt: An den "großen" Tisch!
Runder Tisch der Jugend: Eklat verhindert - FDJ lenkt ein
Der Runde Tisch der Jugend hat in seiner Beratung am Mittwochabend einen Eklat verhindert. Obwohl die Türen der Geschäftsstelle des Runden Tisches der Jugend weit offen stehen sollen, war für alle, die sich über die neuen Jugendorganisationen informieren wollen, bisher ein freier Zugang zur Geschäftsstelle im Haus des FDJ-Zentralrats nicht möglich. Die gute alte FDJ-Bürokratie: Personalausweis vorweisen, Personalien werden notiert . . . Kommt da jemand aus einem fremden Lande, potenzieren sich diese Schwierigkeiten noch - man gebärdet sich, als wär's der Mann vom Mond . . .
Am Mittwochabend nun die Forderung: Schluss mit dieser überlebten Prozedur! Nach knapp einstündigem (!) Hin und Her ein Kompromiss. Künftig gelangen die Besucher in Begleitung eines Mitarbeiters der Geschäftsstelle in deren Räume. Ohne Kontrolle. Mit dieser Lösung können alle leben, aber gedauert hat's (wie auch bei zeitraubenden Debatten zur Tages- oder Geschäftsordnung).
Regelrecht zügig ging es dagegen voran, als es um die Abstimmung über einen außerordentlich wichtigen Antrag ging, der von neun Jugendorganisationen vorgelegt wurde. Darin fordern sie Sitz und Stimme für zwei Vertreter des Runden Tisches der Jugend am Runden Tisch der Parteien, Organisationen und Bewegungen. Mit einer knappen Zwei-Drittel-Mehrheit wurde dieser Antrag mit 14 Stimmen angenommen.
Ein weiterer Schwerpunkt in der Diskussion war das Eigentum der FDJ. Zum wiederholten Male wurden die Vertreter der FDJ aufgefordert, dem Runden Tisch eine Liste jener Objekte vorzulegen, deren Eigentümer beziehungsweise Rechtsträger die Freie Deutsche Jugend ist. Zugleich will man sich mit der Forderung an Regierung und "großen" Runden Tisch wenden, das Eigentum der Jugend des Landes zu sichern und ohne Zustimmung des Runden Tisches der Jugend keine Veränderungen der Rechtsträgerschaft zuzulassen.
Auf den Vorschlag unserer Zeitung, wöchentlich in der Freitag-Ausgabe eine Seite in Eigenverantwortung zu gestalten, gingen Vertreter des Runden Tisches ein. Sie bilden dazu eine Mediengruppe. Einige Jugendorganisationen wollen die Publikationsmöglichkeiten in der Jungen Weit allerdings nicht nutzen, da sie mit unserer linken sozialistischen Orientierung nicht übereinstimmen.
Es konnten nicht alle Punkte der Tagesordnung behandelt werden. Deshalb findet die nächste Beratung des Runden Tisches der Jugend schon am 24. Januar statt. Dann wird es unter anderem um Vorschläge zur Bildung einer Plattform der Jugendorganisationen gehen.
Von unseren Berichterstattern Andreas Kurtz und Frank Pawlowski
Junge Welt, Fr. 19.01.1990
Von Esperanto bis linksradikal
Mittwochsdebatte am Runden Tisch der Jugend: Treuhandschaft über FDJ-Vermögen gefordert
"Wovon reden Sie jetzt eigentlich?" - "Ah, wir reden jetzt über Punkt 2 des Antrages der Geschäftsführung an den Runden Tisch." "Der liegt uns nicht vor." Die gut zwanzig jungen (bzw. relativ jungen) Menschen wühlen in ihren jeweiligen Häufchen von Protokollen, Anträgen, Tagesordnungen und Listen. Es ist der 17. Januar. Der "Runde Tisch der Jugend" hat sich zu seiner mittlerweile ebenfalls traditionellen Mittwochabendrunde im Berliner Haus des Zentralrates der FDJ zusammengefunden.
Demokratie bleibt noch immer etwas ganz schön Schweres. Genau zwanzig Minuten hat man gebraucht, um im Streite letztlich festzustellen, dass es heute nicht um das Für und Wider parlamentarischer Jugendvertretungen gehen soll. Die sich darauf vorbereitet hatten, sind sauer, denn sie vermuten (mit Blick zur FDJ), dass "andere da selber schon in die Richtung weiterarbeiten".
Dann geht es los: Ein Neuer sitzt am Tisch und beantragt seine Teilnahme. Er käme von der Esperanto-Jugend, die gäbe es schon lange, und zwar in zwölf Bezirken, sie sei "politisch neutral" und kümmere sich um internationale Kontakte. Die Reaktion der anderen ist schwach. ("Wer kann schon nachprüfen, ob das auch wieder eine versteckte FDJ-Stimme ist ..." höre ich später im Gang.)
Die Namen der anderen assoziieren, sofern sie nicht scholl irgendwie bekannt sind, ein recht buntes Spektrum von linksradikal bis konservativ - Ihre Stärke und Struktur muss offensichtlich keine Organisation beweisen: Jeder, der einen Namen zu vertreten weiß, kriegt genau eine Stimme. Unausgesprochen haben sich in der letzten Woche drei Fraktionen herauskristallisiert - die der christlichen Verbände, die der parteinahestehenden (zu den etwa JuliA und der Deutsche Regenbogen oder die CDJ zu zählen wären) und letztlich die Autonomen" (Linken), geführt von der FDJ.
Die gewählte Geschäftsführung besteht inzwischen aus drei Leuten. Sie haben Gastrecht, ein Büro im Zentralratshaus und sind täglich dort zu sprechen.
Heftiger tat man sich jedoch mit anderen Themen. Zum Beispiel darüber, was denn nun aus Vermögen, Zuschüssen und Besitztümern der FDJ werden solle. Sorgte die Bemerkung von FDJ-Vertreter Uwe Leuschner, er könne hier nicht übel alles Eigentum der FDJ reden, das würde ewig dauern, noch für allgemeines Grinsen, so rief dann die Erklärung, die FDJ würde selbst mit dem Amt für Jugend und Sport eine Überprüfung aller Rechtsträgerschaften vereinbart haben, schon eher Verärgerung hervor. Separate Verschacherungen will keiner.
Das Ergebnis: die Geschäftsstelle wird selbst eine Treuhandstelle einrichten, die dann der einzige juristische Ansprechpartner für den Staat sein soll. Antrag an die Regierung: die Verordnung eines gesetzlichen Stopps der im Prozess befindlichen Auflösung von ehemaligen FDJ-Planstellen (bereits einige hundert sind verschwunden) und der Übergabe von Gebäuden und Ferienheimen die bislang von der FDJ verwaltet wurden (so wird derzeit eine Pionierleiterschule zum Sanatorium umgerüstet, und in vielen Bezirken und Kreisen forderten Betriebe und Räte die Umwandlung von Jugendeinrichtungen). Eher solle demokratisch über Umverteilung oder künftige Nutzung durch andere Gremien der Jugendarbeit nachgedacht werden.
Kämpfe auch um Anträge zur Medienarbeit. Das Angebot der "Jungen Welt", einmal wöchentlich eine Seite zur Selbstdarstellung für neue Jugendorganisationen zur Verfügung zu stellten, wurde vielfach als nicht ausreichend akzeptabel befunden. Ein Kirchenvertreter fasste die Meinung mehrerer zusammen, dass man sich durchaus darstellen möchte, aber dies doch nicht unbedingt in einer "linken sozialistischen" Zeitung, die das absolute Monopol besäße. Er beantragte, die jährlich vorn Staat für dieses Blatt zur Verfügung gestellten 32 Millionen zu teilen, um mit einer zweiten Zeitung ab sofort auch denen eine Chance zu geben, die sich nicht nur nah rechts, sondern eben auch nach links deutlich abgrenzen wollten. Die Mehrheit, die er (gestützt auch durch JuliA) erhielt, verfehlte knapp ihre zwei Drittel ...
Der Gesamteindruck letztlich: ellenlange Verfahrensfragen über wiegen die Inhalte. Junge Menschen, die leistungsfähig sein wollen, brauchen ihren Schlaf. Daran wird auch die Revolution nichts ändern.
Catarina Kennedy-Bannier
Der Morgen, Sa. 20.01.1990