Berliner Neubeginn
Nach Selbstauflösung des Landesverbandes der fdj strebt SJVD föderale Jugendarbeit an
Im Vorfeld ihres Programmkongresses Ende September erlitt die fdj in Berlin einen Schiffbruch: Der Landesverband löste sich auf, der Sozialistische Jugendverband Deutschlands - SJVD - wurde gegründet. Am kommenden Wochenende findet der erste Bundeskongress statt. JW sprach mit Dirk Schade, Ex-Landesvorsitzender und Gründungsmitglied des neuen Verbandes.
Die Nachricht von der SJVD-Gründung hatte kaum die Runde gemacht, da wurden auch schon Zweifel an der "basisdemokratischen Legitimation" der Entscheidung laut. Sind sie berechtigt?
Auf der Landeskonferenz, auf der ursprünglich Programm und Satzung der fdj diskutiert werden sollten, waren Vertreter alter Basisgruppen anwesend. Drei Kreisverbände hatten einen Antrag zur Selbstauflösung des Landesverbandes eingebracht, der zusätzlich in die Tagesordnung aufgenommen und schließlich mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde. Die Marzahner, die diesen Beschluss nicht mittrugen, haben daraufhin eine Initiativgruppe zur Neugründung eines Landesverbandes gebildet.
Die "Ressentiments" gegenüber der fdj sind allenthalben unübersehbar. Ist die SJVD-Gründung eine Flucht vor den permanenten Angriffen, gar eine Flucht vor der Geschichte?
Nein, denn wir können und wollen unsere Herkunft nicht leugnen. Doch die Geheimniskrämerei, die zuletzt in Sachen Jugendheim GmbH betrieben wurde, hat eine Situation heraufbeschworen, in der es für unsere Bündnispartner immer schwieriger wird, mit uns zusammenzuarbeiten. In Berlin, wo es ein breites linkes Spektrum gibt, ist das besonders zugespitzt.
Es war also eine spontane Reaktion auf den DJB-Ausschluss?
Sicher hat der Ausschluss eine Rolle gespielt, aber es war nicht das ausschlaggebende. Schon vor dem Brandenburger Kongress im Januar gab es im Berliner Landesverband Überlegungen, einen eigenständigen Verband zu gründen. Noch Brandenburg nannten wir uns dann SJV, blieben aber in der fdj. Wir hofften, sie als Teil der linken Jugendbewegung erneuern zu können.
Diese Hoffnung hat sich offenbar nicht erfüllt?
Vieles, was der fdj im Zusammenhang mit den GmbHs heute vorgeworfen wird, stand schon damals auf der Tagesordnung: sich klar von den Machenschaften früherer Funktionäre zu distanzieren und ohne Wenn und Aber die Vermögensfrage aufklären zu helfen. Das ist meiner Meinung noch nicht konsequent genug geschehen. Zudem sind mit dem Abbau der hauptamtlichen Funktionäre (von ehemals 8 000 auf etwa 200) die zentralistischen Strukturen nicht wirklich verändert worden. Ähnlich wie früher die Sekretariate macht die Geschäftsstelle eine eigene Politik, die nicht selten mit den Interessen der Landesverbände kollidiert.
Euch wird dir Vorwurf gemacht, die fdj und damit ein starkes linkes Potential zu spalten und schwächen zu wollen. Wie siehst du das?
Ich halte dieses Argument für gefährlich, weil es ablenkt vom eigentlichen Punkt der Auseinandersetzung. Immer dann, wenn der Druck von außen besonders groß war - wie beispielsweise beim Versuch der Enteignung im Mai - setzte eine starke Solidarität innerhalb des Verbandes, aber auch von anderen linken Gruppen ein. Das war sicher auch richtig. Aber solche Situationen wurden dafür missbraucht, die dringend nötige Verständigung m Verband abzublocken. Zum Beispiel über personelle und strukturelle Fragen. Es heißt dann: Wir müssen jetzt zusammenhalten, dürfen uns nicht spalten und so weiter. Nach dem DJB-Ausschluss war es ähnlich. Dabei ist es längst an der Zeit zu fragen, warum das Misstrauen gegenüber der fdj noch wie vor so groß ist. Das hat ja nicht nur äußere oder historische Gründe, sondern liegt auch an der Politik der Geschäftsstelle seit dem Brandenburger Kongress.
Was verbindet euch - außer der Vergangenheit - mit der fdj?
Wir haben an dem neuen Programm mitgearbeitet, von daher gibt es in inhaltlichen Fragen kaum Differenzen. Das gilt natürlich auch für das Verhältnis zu anderen linken Verbänden. Der SJVD soll übrigens ohnehin "nur" so etwas wie ein Übergang sein. Wir wollen aus uns heraus etwas Neues entwickeln und vor allem mit anderen Strukturen zusammenarbeiten. Vielleicht in einem föderalen Modell. Dabei müssten Jugendarbeit und Projekte den absoluten Vorrang hoben. Also die konkrete Arbeit vor Ort.
Interview: Frank Pawlowski
Kontakt: SJVD-Bundesvorstand 1055 Berlin, Dimitroffstr, 81, Tel.: (...)
Junge Welt, Fr. 26.10.1990