Bürokratie bleibt Bürokratie Basis muss sich durchsetzen

Gespräch mit kritischen DGB-Mitgliedern bereitete auf neue Probleme vor

Wissen Sie was ein "Unvereinbarkeitsbeschluss" ist? Oder ein "Ausschlussverfahren"? Haben Sie schon einmal etwas von einer "Friedenspflicht" gehört? Nein? - Wir von der "Initiative für unabhängige Gewerkschaften" bis vor kurzem auch nicht, obwohl es Beschlüsse und Teile aus der Satzung des DGB sind, also durchaus von Interesse für Gewerkschaftsaktive. Wir haben daher kritische Gewerkschafter und andere Aktive aus der BRD an den "runden Tisch" geholt und gebeten, mit ihren Erfahrungen unseren Lernprozess im Umgang mit der neuen Gewerkschaftshierarchie etwas abzukürzen. Und es lohnt, denen zuzuhören, die sich seit Jahren mit ihren Leitungen herumärgern und eine Verbürokratisierung des Gewerkschaftsapparates vorausgesagt haben, was endlich nun auch auf dem letzten DGB-Kongress zur Sprache kam.

Modellfall Kita-Streik Leitung kontra Basis

Auf den ersten Blick sieht alles so schön aus - und gemessen am FDGB, der in 40 Jahren nicht eine Lohnerhöhung gefordert hatte, ist der DGB ein wahrer Segen - , aber auf den zweiten kann es einem schon wieder schwummrig werden, wenn man erfährt, wie sehr sich die Leitungsbürokratien doch ähneln. Da berichten uns Frauen und Männer aus Westberliner Kindertagesstätten, wie verzweifelt sie waren, als sie merken mussten, dass "ihre" Streikleitung so ziemlich machte, was sie wollte, und kaum auf die Stimmung an der Basis achtete. Denn einmal ernannt, ist diese Streikleitung über jede Kritik erhaben, kann nicht abgewählt oder in ihren Beschlüssen behindert werden, selbst wenn alle Gewerkschafter sich einig sind. So will es die Satzung. Vielleicht erinnern Sie sich noch: Der Westberliner Kita-Streik wurde überraschend und ohne entscheidende Ergebnisse von der Streikleitung unterbrochen, obwohl - wir konnten es auf einem Video sehen die im Saal Anwesenden energisch für die Fortsetzung des Streiks plädierten.

Etwas mulmig wurde uns auch, als wir von dem gar nicht so seltenen Beispiel des Ausschlusses von Gewerkschaftsmitgliedern durch ihre Leitungen hörten. Das ist z. B. in Bochum passiert und in Dortmund, wo Kollegen ihrer kritischen Haltung zur eigenen Gewerkschaftsführung wegen mit dem Ausschluss "bestraft" worden sind. Die rechtliche Grundlage bilden die sogenannten Unvereinbarkeitsbeschlüsse, die häufig nicht nur gegen politisch Andersdenkende, sondern gegen Kritiker aus der Mitgliedschaft angewandt werden. Manchmal gelingt es den Ausgeschlossenen, sich mit Hilfe des Gerichts wieder in die Gewerkschaftsreihen zu bringen. Dieses und vieles mehr hörten wir von den Kollegen an unserem "runden Tisch", so dass wir zu der Schlussfolgerung kamen: Wir sollten unseren "neuen Herren", auch denen von der Gewerkschaft, ruhig auf die Finger schauen.

Das ist im Augenblick allerdings gar nicht so einfach, da sich die ersten Tarifverhandlungen der Ost/Westarbeitnehmer- und -geberseite recht geheimnisvoll hinter verschlossenen Türen vollziehen. Oder sind Sie in die Aufstellung des Forderungskatalogs ihrer IG einbezogen worden? Wissen Sie, wie sich Ihre Tarifkommission zusammensetzt, oder dass die Tarifverhandlungen eigentlich öffentlich sind? Nach unserer Erfahrung wissen es die wenigsten Kollegen. Es drängt sich einem der Eindruck auf, dass die Gewerkschaftsleitungen im Augenblick nicht gerade die größten Anstrengungen machen, ihre Basis in die Arbeit einzubeziehen, den meisten von uns fehlt sogar jede Information über das, was da oben vorgeht.

Für Arbeitnehmerrechte den Kampf organisieren

Man kann sicher geteilter Meinung darüber sein, ob ein Generalstreik in der jetzigen Situation das geeignete Mittel ist, etwas durchzusetzen, aber dass so gar nichts unternommen wurde, solche wichtigen Forderungen wie das Aussperrungsverbot, das Recht auf Arbeit und andere soziale Rechte einzuklagen und die Gewerkschaftsbasis dafür zu mobilisieren, stimmt nachdenklich. Und ist es nicht etwas dürftig, ab und an lediglich eine verbale Kritik wegen der fehlenden gewerkschaftlichen Mitbestimmung in der Treuhandgesellschaft anzumelden? Offensichtlich vertrauen die Spitzen von DGB und Sprecherrat unserem organisierten Protest nur wenig. Über diese und weitere Fragen kann man mit uns und anderen Kollegen mittwochs von 18.00 bis 21.00 Uhr in der Frankfurter Allee 286 diskutieren. Tel.: (...).

Renate Hürtgen
Initiative für unabhängige Gewerkschaften

PODIUM - Die Seite der und für die BürgerInnen-Bewegungen, Initiativen und Minderheiten in der Berliner Zeitung, Mi. 19.09.1990

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