Wieder an der Basis beginnen

Auch die Ergebnisse der Bundestagswahlen für die Bürgerbewegten geben zu denken

Der Wahlmarathon in der ehemaligen DDR ist vorbei. Zum vierten Mal waren die Wählerinnen und Wähler um ihre Stimme gebeten worden, und in ihrer Wahlentscheidung ließen sie Kontinuität erkennen. Souverän gewann auch diesmal die CDU, weit abgeschlagen die SPD. Die Liberalen haben einen erheblichen Stimmenzuwachs erzielt und erhielten erstmalig seit über 20 Jahren in einem Wahlkreis (Halle-Altstadt) ein Direktmandat. Die PDS hat sich wacker geschlagen. Trotz ihrer Finanzskandale schenkten ihr über 11 Prozent der Wählerinnen das Vertrauen, und Gregor Gysi erhielt sogar ein Direktmandat. Die Bürgerbewegungen, erstmals vereint in allen neuen Bundesländern als "Bündnis 90/Grüne-BürgerInnenbewegungen" angetreten, haben den Sprung ins erste gesamtdeutsche Parlament geschafft und konnten in einigen Ländern - bezogen auf die Volkskammerwahlen Stimmen dazugewinnen. Insgesamt ergab sich ein Zuwachs von 1,64 Prozent gegenüber der Volkskammerwahl.

Einzug ins oberste Parlament wurde erreicht

Die Bürgerbewegungen und die Ost-Grünen haben damit ein großes Ziel, den Einzug in den Bundestag, erreicht, aber ihre Partner aus den "Altbundesländern" blieben auf der Strecke. Erstmals seit 1980 sind die West-Grünen nicht im Parlament vertreten - ein Debakel, über das noch lange geredet werden muss. Damit wird das bürgerbewegte alternative Spektrum nur von 8 Abgeordneten des Bündnis 90/Grüne vertreten sein.

Aber auch unsere Ergebnisse geben zu denken. Sagten wir nach dem unverhofft klaren Wahlsieg der CDU bei den Volkskammerwahlen noch, die Leute wollen schnell das Westgeld und die Einheit, bestätigten die Kommunalwahlen die Ergebnisse des 18.3.1990. Auf Währungsunion und Beitritt folgten die Landtagswahlen, die die CDU außer in Brandenburg überall gewinnen konnte. Kenner der Szene begannen sich indes schon zu freuen, verlor doch die CDU rund 1/3 ihrer Wählerlnnen (im Vergleich zu den Volkskammerwahlen). Auch alle anderen Parteien büßten Stimmen ein, nur die Bürgerbewegungen konnten sich real steigern, und so waren die Erwartungen für den 2.12. hoch.

Sollten die Wählerinnen und Wähler doch an den vollmundigen Versprechungen aus Bonn zu zweifeln beginnen und den Worten der "Revolutionäre" des Herbstes 1989 mehr Glauben schenken? Das Bündnis 90/Grüne errang mit 6,4 Prozent zwar ein besseres Ergebnis als zu den Volkskammerwahlen, aber im Verhältnis zu den Landtagswahlen fällt die Bilanz nicht positiv aus.

Besonders auffällig ist das Ostberliner Ergebnis mit nur 7,37 Prozent gegenüber 8,99 Prozent (Volkskammerwahl). Der mit den Wahlen zum Magistrat, als wir insgesamt 12,55 Prozent erhielten, fällt noch schlechter aus.

Sollten die Ereignisse um die besetzten Häuser in der Mainzer Straße der Grund sein, oder hat diese Schlappe noch andere Ursachen? Die Haltung zur Gewalt muss auf jeden Fall diskutiert werden, aber das kann nur ein Punkt der Analyse sein. Für die Zukunft kann und muss es für die Bürgerbewegungen und Grünen in den neuen Bundesländern vor allem um ein gemeinsames Handeln gehen. Wir wollen keine neue Einheitsbewegung, die Vielfalt des Herbstes sollte sich aber dennoch in einem breiten organisierten Bündnis widerspiegeln. Für die Wählerinnen sind unsere Schwierigkeiten und Streitereien sehr schwer verständlich, zumal wenn dabei die Inhalte sogar auf der Strecke bleiben.

Mehrheitsmeinungen müssen wir akzeptieren

Zum Problem der deutschen Einheit gibt es unterschiedliche Haltungen, wir müssen aber endlich dazu kommen, die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung, die die Einheit begrüßt, zu akzeptieren. Die Schwerpunkte unserer Arbeit, z.B. eine neue Verfassung für Gesamtdeutschland, Umweltschutz, Bildungswesen, Ausländerproblematik, Stasi-Aufarbeitung, sollten wir weiter verfolgen. Dabei dürfen wir aber die sozialen Probleme der Bevölkerung, die für viele im Vordergrund stehen, nicht vernachlässigen.

Eine Weitergabe unserer Fehler an die Wählerinnen, sie wollten nur Konsum, das schnelle Geld, Reisen usw., halte ich für sehr vereinfachend und überheblich. Echter Basiskontakt mit aktiver außerparlamentarischer Arbeit ist gefragt. Damit sollten wir sofort beginnen.

Kathrin M(...)
IFM
(Gekürzte Fassung
aus "Bündnis 2000")

aus: PODIUM - die Seite der und für die BürgerInnenbewegungen, Initiativen und Minderheiten in der Berliner Zeitung, 12.12.1990

Δ nach oben