Aussagen vor der Volkskammerwahl

Dr. Christine Weiske, Vorstandsmitglied

Wann und wie steht die deutsche Einheit auf der Tagesordnung?

Erstens Die sofortige staatliche Einheit steht für uns nicht auf der Tagesordnung. Uns geht es um ein gleichberechtigtes Miteinander beider deutscher Staaten, das einen Annäherungsprozess beiden deutschen Staaten möglich machen würde.

Welche außen- und innenpolitischen Bedingungen sehen sie für eine Vereinigung beider deutscher Staaten?

Zweitens: Aus der Vereinigung muss ein Prozess gemacht werden, der für die Deutschen beider Länder gut und günstig ist. Das bedarf einer fachlich und sachlich genau untersetzten, verantwortungsbewussten Annäherung, zu der natürlich Bereiche wie Währung und Wirtschaft gehören. Wir brauchen ein Konzept, das erst einmal die ökologische und ökonomische Gesundung der DDR sichert. Gleichrangig zu Wirtschafts- und Währungsfragen ist für uns der Abschluss einer Sozialcharta, denn es geht ja um Millionen Menschen. Später könnte im Rahmen einer Konföderation eine verfassunggebende Versammlung eingesetzt werden, die aus Grundgesetz und Erfahrungen der DDR-Verfassungen ein neues Gesetzeswerk erarbeitet.

Parallel zu diesen Fragen steht natürlich die Mitgliedschaft in den Militärblöcken. Beide deutsche Staaten müssen da raus. Ich halte es für verantwortungslos, wenn von einigen Politikern so getan wird, als wäre das nebensächlich. Wird diese Frage nicht gelöst, hätte die NATO möglicherweise die Chance, ganz Europa einzunehmen. Es gilt, eine europäische Friedensordnung zu schaffen.

Was bringt die DDR an Werten in den Einigungsprozess ein, wie können sie geschützt werden?

Drittens: Es ist bedauerlich, dass bei der so euphorischen Vereinigungsdiskussion etwas verlorengeht - das ist der Stolz, den eigentlich die DDR-Bürger haben können auf das, was sie im letzten Vierteljahr vollbracht haben. Ein Wert ist für mich auch der Runde Tisch, ein wichtiges Instrument der Kontrolle und Begleitung gewählter Politiker. Wir wollen dafür sorgen, dass dieses Element der Basisdemokratie verfassungsrechtlich verankert wird.

Wichtig ist die Verantwortung eines Gemeinwesens für soziale Absicherungen, damit beispielsweise nicht die Rentner ein drittes Mal in der Geschichte bestraft werden. Alte Besitzansprüche müssen in einem gerechten, juristischen Rahmen geprüft werden, der gemeinnützige Einrichtungen und Volkseigentum schützt.

Die Gespräche führte
Bettina Urbanski

Berliner Zeitung, 22.02.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 45

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