Nur der Papst scheint zu kurz gekommen
Von atheistischer Diktatur zum Kirchenstaat?
Das Wahlergebnis hat mich schon etwas verblüfft. Wo kamen plötzlich die vielen Christen her? Nicht nur, dass die Mehrheit der Wähler ihre Stimme einer Partei mit ausdrücklich religiösem Politikverständnis gab, auch die PDS-Angehörigen Gysi und Modrow entpuppten sich als Kirchengänger. Wen wundert's noch, wenn ehemalige SED-Mitglieder zur CDU konvertieren.
Man könnte meinen, hier hätte 40 Jahre lang ein reges, aber heimliches Glaubensleben in Katakomben - analog den urchristlichen Gemeinden - stattgefunden. Und nun diese Karrieren: aus dem Keller in die Ministersessel.
Nur der Papst scheint zu kurz gekommen keine Minister - nur Ministranten. Oder haben katholische Priester eine etwas ernsthaftere Auffassung von ihrem Amt?
Ausdrücklich: Die Rolle der Kirche vor und während der Wende kann nicht hoch genug bewertet werden. Unter ihrem Dach fanden oppositionelle Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen Schutz. Ihre Gesprächsleiter an allen Runden Tischen waren beispielgebend überparteilich, fast selbstverständlich wurde Pfarrern die Schlichtung von Streitfällen übertragen, ständige Mahner zur Gewaltlosigkeit waren Sie, Friedensstifter - wie es Ihr Glaube gebietet. Daran sollten wir künftig unsere Polit-Christen messen und in welcher ethischen Entfernung zu ihrem Religionsstifter, dem alternativen Jesus von Nazareth, sie sich bewegen.
Schließlich hat die Ordination zum Pfarrer eine etwas andere Bedeutung als die Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages.
Gerhard Bächer
GRÜNE PARTEI
PODIUM, Die Seite der neuen Parteien, Initiativen und Gruppierungen in der Berliner Zeitung, Sa. 21.04.1990