Die SED ist uns nicht grün

In der DDR soll es bald eine grüne Partei geben / Interview mit Mario Hamel, Sprecher des Grün-Ökologischen Netzwerks für Stadtbau-Ökologie / Ost-Grüne wollen bei Wahlen kandidieren

taz: Gestern habt ihr eine Gründungsinitiative für eine Grüne Partei in der DDR ins Leben gerufen. Auf welche Kräfte kann sich dieser Aufruf stützen?

Mario Hamel: Auf die ökumenische Arbeit innerhalb der Kirche international, außerdem auf die europäische grüne Bewegung, mit der wir seit langem in Erfahrungsaustausch stehen, bei uns steht dafür das Netzwerk Arche. Die dritte Wurzel stammt aus der nationalen kirchlichen Umweltbewegung. Als letzte wäre die progressive grüne Arbeit der Gesellschaft für Natur und Umweltschutz zu nennen.

Die Gesellschaft für Natur und Umweltschutz ist doch eine offizielle Organisation innerhalb des Kulturbundes. Schafft das nicht Probleme?

Die Gesellschaft für Natur und Umwelt ist zwar Teil des Kulturbundes, fordert aber mehr Bewegungsfreiheit. Sie strebt eine Ablösung an und sucht nach Vernetzungsmöglichkeiten der einzelnen Gruppen DDR-weit, also völlig autonom.

Die Unterzeichner aus der Gesellschaft haben demnach ihre Unterschrift noch als Privatpersonen gegeben?

Das lässt sich gar nicht so sagen. Von der Gesellschaft für Natur und Umwelt, den Schriftstellern und dem Verband Bildender Künstler sind wir gebeten worden, wir sollen ihnen noch drei Wochen einräumen, weil innerhalb dieser Gruppierungen noch Klärungsprozesse stattfinden. Bis zum 24. November wird es noch Gespräche geben, an deren Ende klar sein muss, welche Gruppen die Grüne Partei der DDR mittragen werden.

Wäre es nicht sinnvoller gewesen, sich einer oppositionellen Gruppe wie dem Neuen Forum anzuschließen?

Wir sind der Meinung, dass die kompakte grüne Bewegung, die bis zur Wende die homogenste Arbeit seit zehn Jahren geleistet hat, jetzt nicht einfach in einer anderen Bewegung aufgehen darf. Eine radikale ökologische Politik kann nur eine grüne Partei machen, zumal vor einer Woche noch nicht klar war, ob die einzelnen oppositionellen Gruppierungen überhaupt an den Wahlen teilnehmen wollen. Wir wollen uns am nächsten Wahlkampf beteiligen. Daraus muss keine Konkurrenz zu den anderen Reformbewegungen entstehen, politische Koordination ist unumgänglich.

In dieser Partei sollen "unterschiedliche Weltanschauungen" Platz haben. Wie soll das auf Dauer gelingen, wenn ihr als Partei auch zu anderen, traditionell politischen Fragen Stellung beziehen müsst?

Die Mitgliedschaft in dieser Partei ist unkomplizierter als etwa in der SDP, da wir keine so scharf abgegrenzten politischen Vorbedingungen stellen. Christen, Kommunisten und andere können bei uns einen Platz finden. Im Netzwerk Arche haben wir gute Erfahrungen mit unterschiedlichen politischen Bindungen gemacht. Natürlich werden unsere politischen Forderungen Reibungsflächen auch innerhalb der Partei bieten. Hier muss sich rausschälen, wie konsequent unsere politischen Mitstreiter sind, die auch aus dem kommunistischen Lager kommen.

Wie ist euer Konzept zu verstehen, einerseits wollt ihr die Eigenständigkeit der Gruppen beibehalten, andererseits strebt ihr eine Konzentration über die Partei an?

Die Gruppen werden innerhalb der Partei ihren Handlungsspielraum und ihre inhaltliche Zuständigkeit behalten. Bei der Parteibildung geht es um die Durchsetzung auf der politischen Ebene, indem wir Vertreter in die jeweiligen Institutionen schicken. Der Spagat zwischen Bewegung und Partei ist uns aber bewusst. Durch die Einbeziehung auch staatlicher Organisationen, die noch unsicher sind, inwieweit sie ihre eigenen Verbände formieren können, müssen wir diesen Zwiespalt erst einmal aushalten. Mit Blick auf Wahlen wird die Tendenz aber immer mehr in Richtung Partei gehen.

Was für eine Breitenwirkung rechnet ihr euch denn aus. Kann man in der DDR schon von einem ökologisch geschärften Bewusstsein reden. Wird jetzt nicht vielmehr der materielle Nachholbedarf eine Rolle spielen, der dem ökologischen Gedanken zuwiderspricht. Bei einem notwendigen Abbau der extensiven Wirtschaft, der noch nicht durch eine Intensivierung kompensiert werden kann, müsste die Bevölkerung ja erneut aus Einsicht Verzicht üben. Ist das realistisch?

Der Punkt Konsum wird der schwierigste sein. Die zu erwartenden Reisen in den Westen werden in der Bevölkerung nicht gerade den freiwilligen Verzicht fördern. Eine grüne Politik muss die Nachteile der westlichen Länder deutlich machen. In der DDR haben wir mit der sehr breiten Sekundärrohstoffverwendung schon gute Erfahrungen gemacht. In den ökologischen Krisengebieten wie Leipzig, Halle, Bitterfeld wird die Bevölkerung eher zu gewinnen sein als an der Küste oder in Brandenburg. Auch die großtechnische Landwirtschaft stößt bei den Genossenschaftsbauern auf starken Widerspruch. Insgesamt ist eine knallharte Informations- und Aufklärungspolitik notwendig, die alternative Möglichkeiten aufzeigt.

Schon wieder Aufklärung und Klarmachen, ist dafür momentan wirklich der richtige Zeitpunkt?

Natürlich sind die Leute nach vierzig Jahren Belehrung müde. Man muss diese Aufklärung daher gemeinsam mit ihnen an sichtbaren Missständen machen und gemeinsam Forderungskataloge entwickeln. Anders wird das sonst nicht laufen.

Aus welchen Kreisen seht ihr denn die härtesten Widerstände auf Euch zukommen?

Die größten Schwierigkeiten werden wir wohl mit den Blockparteien bekommen, die sich jetzt anschicken, ihren Handlungsspielraum gegenüber der SED zu erweitern. Auch die neuen Bewegungen nennen Ökologie als ihr zentrales Anliegen. Für den Außenstehenden wird es nicht leicht sein, die Unterschiede festzustellen. Natürlich wird es auch kompliziert, an Otto Normalverbraucher heranzukommen, aber bei der etablierten Intelligenz stellt sich ein ähnliches Problem. Die neigt eher zu Kompromissgesprächen und bevorzugt den diplomatischen Weg. Das kann aber nicht der unsere sein.

Trotzdem seid ihr zuversichtlich, dass die Arbeit der Partei keinen Behinderungen ausgesetzt sein wird.

Widerstand wird es geben. Noch sitzt die SED in den entscheidenden Stellen. Aber die SED ist nicht grün, sie kann es werden, aber nur durch eine grüne Opposition. Noch sieht es so aus, als wollten sie uns nicht haben und den Kulturbund dafür in die Pflicht nehmen.

die tageszeitung, 07.11.1989

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