KOMMENTAR

Worum es in diesem Wahlkampf geht

Seit Wochen scheint es in deutschen PoltikerInnenkreisen nur ein Thema zu geben. Nicht die sozialen Folgen des Anschlusses, Ökologie oder Konzepte zur Auflösung der Blöcke stehen im Mittelpunkt der Debatte - nein, die CDU, SPD, FDP, DSU-Allianz beißt sich am Wahlrecht fest.

Als wenn wir keine anderen Sorgen hätten!

Als im Herbst '89 das 40 Jahre alte SED-Regime stürzte, befand sich die Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP in einer ernsten Krise. Mit dem Fall der Mauer begann die Bundesregierung eine Politik des Anschlusses der DDR an die BRD, die nicht nur der DDR keine Chance für eine eigenständige, selbstbestimmte Entwicklung ließ, sondern die von vornherein auf eine Politik des Machterhalts für Kohl war. Diesem Ziel ordnete die Bundesregierung alles andere unter. Statt der angekündigten "deutschen Einigung eingebettet in den europäischen Einigungsprozess" betrieben CDU/CSU und FDP eine Politik der nationalen Alleingänge und der vollendeten Tatsachen.

Statt den Zusammenbruch des "Ostblockes" als Chance zur Überwindung des eigenen Militärblocks der NATO zu begreifen, setzte die Bundesregierung auf Osterweiterung der NATO.

Die DDR-Regierung hat dem nur unbedeutenden Widerstand ob unter Modrow oder de de Maizière geleistet, obwohl die Folgen absehbar waren.

Die überstürzt durchgesetzte Währungsunion führt in der DDR zu vielen sozialen Härten, Arbeitslosigkeit und zum Zusammenbruch vieler Betriebe. Sämtliche ökologische Fehlentwicklungen der westlichen Konsumgesellschaft, vom forcierten Ausbau des Autoverkehrs bis hin zur verfehlten Abfallwirtschaft werden wiederholt.

Unser Land steckt in einer ökologischen Krise. Über die deutsch/deutsche Nabelschau werden unsere (ehemaligen ?) Brudervölker im RGW zu wirtschaftlichen Opfern. Ganz zu schweigen von den Menschen der 2/3 Welt.

Diese Politik bedarf einer starken Opposition, die den Machtrausch des selbsternannten "Mister Einheit" stoppt. Die SPD? Spätestens seit dem 9. November setzten sich diejenigen in der SPD durch, die bloß keinen Verdacht aufkommen lassen wollten, Sozialdemokraten seien "vaterlandslose Gesellen" Vogel, Meckel & Co wetteiferten mit CDU und CSU darum, wer den Anschlug am schnellsten herbei führen würde.

Keine der Bedingungen, die die Ost-SPD ursprünglich an die Einheit knüpfte (August 89), wurde aufrechterhalten. Grüne und BürgerInnenbewegungen sind die einzig wirkliche Opposition. Die Ideen des Herbstes '89 Demokratisierung, sozialer und ökologischer Umbau der Industriegesellschaft, radikale Abrüstung, Gleichstellung der Geschlechter und Solidarität mit der 2/3 Welt werden nur von ihnen glaubhaft vertreten. Diese Ideen in ein gesamtdeutsches Parlament zu tragen, ist unsere gemeinsame politische Verantwortung.

Und dieser müssen wir uns auch unter undemokratischsten Bedingungen stellen - Wahlboykott darf also für uns kein Thema sein.

Ein kampfloser Verzicht auf eine grüne Alternative in einem gesamtdeutschen Parlament heißt, an den Erfordernissen des Herbstes '90 vorbeizugehen.

Judith Demba

die andere Nr. 29, Mi. 08.08.1990

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