Wir lassen uns keine Kinder in den Bauch reden

Eine Entwürdigung für alle Frauen - Paragraph 218

Am kommenden Sonnabend werden in Bonn Frauen und hoffentlich auch Männer aus der BRD für die Abschaffung des Paragraphen 218 demonstrieren. In vielen Städten unseres Landes wird es ähnliche Aktionen geben. JW sprach aus diesem Anlass mit Dr. Christina Klenner von der Sozialistischen Fraueninitiative SOFI Berlin.

Auf einer Kundgebung in Berlin sah ich jüngst eine schwangere Frau, die gegen die Einführung des Paragraphen 218 in der DDR auftrat. Ist das nicht paradox?

Nein, denn jeder, der eine legale Abtreibung innerhalb geregelter Fristen begrüßt, muss doch kein Gegner einer Schwangerschaft sein. Diese Schwangere dachte nicht so, wie leider noch viele - das geht mich nichts an, es trifft auf mich nicht zu. Auch Frauen, die sich ihren Kinderwunsch schon erfüllt haben oder aus dem gebärfreudigen Alter heraus sind, wollen wir für unsere Aktionen gewinnen. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass sich dafür nur junge Frauen beziehungsweise Männer oder gar karrieremachende Emanzen engagieren.

Warum steht gerade der Paragraph 218 derart im Mittelpunkt der Frauenbewegung hüben wie drüben?

Nun, alles was mit dem 218 zusammenhängt berührt Grundlagen der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Abtreibung ja oder nein - das ist doch nicht allein nur eine biologische Entscheidung für oder gegen einen dicken Bauch. Wer der Frau das Recht abspricht, selbst darüber zu entscheiden, wann und ob sie ein Kind will, spricht ihr auch das Recht auf eine gleichberechtigte Stellung innerhalb der Gesellschaft ab. Der Paragraph 218 klärt in der BRD eindeutig die Machtfrage zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft. Er ist eine Säule des Patriarchats.

Wieso?

Weil er vom alten Rollenverständnis auch in einer ansonsten modernen Gesellschaft ausgeht. Mit Kindern kann man die Frau schön an der Leine halten. Selbst mittelmäßige Männer in Leitungspositionen brauchen so ihre Konkurrenz nicht zu fürchten.

Wir haben bei uns aber immer betont, dass beides für die Frau zusammengehen soll - Familie und Beruf.

Aber funktioniert hat es doch nie richtig. Und wenn, dann nur auf den Knochen der Frauen, die ihre Gleichberechtigung mit einem unheimlichen Mehraufwand an Zeit und Kraft bezahlen mussten. Aber die Frau hatte bei uns zumindest die Chance, frei über eine Schwangerschaft und somit auch über ihre ökonomische Unabhängigkeit zu entscheiden. Und auch das umfassende System der gesellschaftlichen Kinderbetreuung ist, bei aller notwendigen qualitativen Kritik, ein enormer Fortschritt gegenüber der BRD-Realität.

Gibt es eigentlich Argumente, die für die bundesdeutsche Gesetzgebung sprechen?

Nein. Schwangerschaftsabbrüche sind in der Anzahl nicht geringer, nur weil sie unter Strafe stehen. Außerdem richtet sich dieses Gesetz nur gegen die sozial Schwachen. Die gut bemittelten Frauen fahren eben nach Dänemark und bezahlen dort den Eingriff. Zusammen mit Irland und Spanien gehört die BRD zu den wenigen Ausnahmen, die Abtreibung außer aus medizinischen Motiven generell unter Strafe stellen. Das Europäische Parlament hat diese Länder schon mehrfach aufgefordert, ihren Konservatismus in dieser Frage aufzugeben.

Unsere Volkskammerpräsidentin sprach mehrfach davon, dass sich unsere Frauen jetzt wieder stärker auf ihre Rolle als Mutter und Frau besinnen könnten. Wollen das die DDR-Frauen wirklich?

Nein. Aktuelle Untersuchungen der Akademie der Wissenschaften besagen, dass die Mehrheit ihren Beruf nicht aufgeben will. Und das nicht aus rein ökonomischen Zwängen. Allerdings werden Frauen durch die Arbeitslosigkeit zu diesem Rückzug gezwungen. Die stärkere Betonung ihrer Mutterfunktion nehmen sie als Rechtfertigung ihres Lebenssinns. Das ist natürlich verständlich, birgt aber die Gefahr in sich, dass die Frauen nur schwer in das gesellschaftliche Leben zurückfinden.

Frau Wilms erklärte erst jüngst wieder, dass sie keine Notwendigkeit sehe, den Paragraph 218 abzuschaffen. Kann man seine Einführung bei uns noch verhindern?

Ich hoffe es ganz stark. In letzter Instanz hängt es wohl von der Stärke der Massenbewegung ob, die eine Änderung des Grundgesetzes auf diesem Gebiet erzwingen könnte. Deshalb bitte auch ich jede Frau und jeden Mann, sich an den Demos und den Unterschriftenaktionen zu beteiligen.

Interview: Marion Zinke

Junge Welt, Fr. 15.06.1990

Δ nach oben