Magdeburgerinnen ganz unverblümt:

Gibt es eine Frauenfrage?

Vierzig Jahre Frauenpolitik haben nicht die völlige Chancengleichheit für die Frau gebracht, haben kein neues Frauenbewusstsein geprägt. Im Gegenteil erleben Frauen heute in vielfältiger Weise soziale Ungerechtigkeit, was sich zum Beispiel in der bedeutend niedrigeren Entlohnung sogenannter Frauenberufe ausdrückt.

Versäumt wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine zur Frauenpolitik parallel laufende Auseinandersetzung mit der traditionellen Rolle des Mannes, mit den vorhandenen patriarchalischen Strukturen in den Lebenszusammenhängen, in den Institutionen und Machtverhältnissen.

Die Arbeitsteilung von Mann und Frau bei der Erledigung der familiären Pflichten wurde zwar am Anfang der DDR-Geschichte als Grundsatz formuliert, aber nicht konsequent durchgesetzt. So wurden ab 1970 zunehmend sozialpolitische Leistungen fast ausnahmslos der Frau als Mutter gewährt. Die fast ausschließlich auf die Frau gezielten familien- und bevölkerungspolitischen Maßnahmen haben in der Öffentlichkeit die Zuweisung der familiären Aufgaben auf die Frau bestärkt. Die Überbetonung der Mutterschaft bedeutet aber eine Diskriminierung der weiblichen Persönlichkeit.

Diese Fehlentwicklung hat ihre Wurzel in einem mangelnden Problembewusstsein des komplizierten Prozesses der Frauenemanzipation überhaupt. Das spiegelt sich unter anderem in der Bildung und Erziehung wider. Hier wurden Traditionen reproduziert, die das weibliche Geschlecht behindern. seine Fähigkeiten und Talente voll zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen. Diese Traditionen bringen aber auch Einengungen für die Persönlichkeitsentwicklung des Mannes mit sich.

Diese Versäumnisse müssen im gegenwärtigen Erneuerungs- und Demokratisierungsprozess aufgearbeitet werden. Künftige Frauenpolitik ist ohne Patriarchatskritik nicht denkbar.

Sie wird daran zu messen sein, wie sie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter in der Gesellschaftsstrategie Raum gibt, und sie wird sich an den konkreten Bedingungen des ganzen weiblichen Lebenszusammenhanges orientieren müssen. Das heißt, künftige Frauenpolitik muss die Fähigkeiten und Talente von Frauen befördern und Freiräume in der Gesellschaft schaffen, in denen sich diese verwirklichen können.

Diese sehr umfangreiche und komplizierte Problematik wurde von den jeweils 150 Frauen auf unseren Frauenforen am 12. Dezember 1989 und 13. Januar 1990 in verschiedenen Arbeitsgruppen auch kontrovers diskutiert. Diese Gruppen werden künftig selbständig arbeiten und sind über folgende Kontaktadressen erreichbar:

(...)

Fraueninitiative Magdeburg

Aus: DAZ, Die Andere Zeitung, Unabhängige Bezirkszeitung Magdeburgs, Nr. 2, 24.01.1990

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