Ohne uns läuft gar nichts
Frauen in der IG Bau-Steine-Erden wollen endlich ernst genommen werden
Die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden im DGB ist traditionell eine Männerorganisation. Obwohl sich die Zahl der Frauen in der Gewerkschaft in den vergangenen Jahren nahezu verdoppelt hat, stellen sie heute mit 36 000 Gewerkschafterinnen nur knapp acht Prozent der Gesamtmitglieder. Dass sie sich dennoch lautstark, überlegt und vehement für ihre Interessen einsetzen können, bewiesen sie kürzlich auf der 2. Bundesfrauenkonferenz der IG Bau-Steine-Erden unter dem Motto "Ohne uns läuft nichts" in Münster.
Erstmals nahmen auch 16 Delegierte aus den fünf neuen Bundesländern teil. Zum 31. Oktober wurde die alte IG Bau-Holz in der ehemaligen DDR aufgelöst, deren Mitglieder, darunter fast 60 000 Frauen, gehen in die IG Bau-Steine-Erden.
Naturgemäß standen dann auch Probleme, die sich aus der deutschen Einheit ergeben, im Mittelpunkt der Diskussion. Eindringlich forderten die Gewerkschafterinnen, dass soziale Errungenschaften in der ehemaligen DDR, wie das Netz der Kinderbetreuung, die längerfristige Freistellung bei Erkrankung des Kindes und weitere soziale Maßnahmen, erhalten bleiben und auf den westlichen Teil der Bundesrepublik ausgedehnt werden müssen.
Unerwartete Probleme ergaben sich aus der Forderung der Delegiertinnen, das Verbot der Beschäftigung von Frauen in gewerblichen Berufen auf Baustellen aufrechtzuerhalten. Probleme, weil nicht wenige Frauen in den östlichen Bundesländern in den verschiedensten Berufen auf Baustellen arbeiten. Sie wären von diesem Verbot betroffen und von Arbeitslosigkeit bedroht.
Die im Einigungsvertrag garantierte Übergangszeit von zwei Jahren wollen nun die Gewerkschafterinnen aus Ost und West nutzen, um zu gemeinsamen Regelungen zu kommen. In jedem Fall aber solle darauf hingewirkt werden, die extremen Belastungen für Arbeitnehmer auf den Baustellen abzubauen.
Die Delegiertinnen machten auf eine zunehmende Frauenarmut aufmerksam. Um keine Sozialabgaben und Altersversorgungsleistungen zahlen zu müssen, gehen die Unternehmer, besonders des zur Gewerkschaft gehörenden Gebäudereinigungshandwerks, dazu über, immer mehr Frauen nur "geringfügig zu beschäftigen", das heißt, sie lediglich bis zu einem Maximalverdienst von 470 DM monatlich einzustellen. Die Folgen: schlechte soziale Lage, keine Leistungen im Krankheitsfall, keine Rente. Eine Delegierte: "Die Altersarmut ist weiblich!" Die Gewerkschafterinnen forderten deshalb, dass Sozialleistungen durch den Unternehmer bereits ab der ersten verdienten Mark gezahlt werden müssen.
Darin unterstützte sie auch die wohl prominenteste Rednerin auf der Konferenz, Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Sie brach eine Lanze für eine stärkere Einbeziehung der Frauen in die politischen Prozesse: "Frauen haben sich in großer Zahl an der friedlichen Revolution in der damaligen DDR beteiligt. Wo sind sie aber jetzt in den neuen Landtagen?"
Die mangelnde Einbeziehung in die gewerkschaftspolitische Arbeit war Gegenstand heftiger Kritik am Bundesvorstand der IG Bau-Steine-Erden. Der vorgelegte Frauenförderplan wurde von der großen Mehrheit als unzureichend abgelehnt, und es wurde gefragt, warum im Vorstand nicht eine Frau sitzt. Eine Delegierte resümierte: "Wir haben zwar unsere Spielwiese, aber wirklich ernst werden wir immer noch nicht genommen."
Eine andere verbreitete dagegen Verhaltenen Optimismus: "Der Fortschritt ist wie eine Schnecke: langsam zwar aber unbeirrbar."
Dieter Fuchs
Tribüne, Fr. 02.11.1990