DOKUMENTATION

"Frauen fordern ihr Recht"

Eine parteien- und ost/west-übergreifende Initiative "Frauen fordern ihr Recht" drängt auf eine Neueregelurng des Abtreibungsrechts im geeinten Deutschland. Die Initiative von den SPD-Politikerinnen Herta Däubler-Gmelin (stellvertretende Fraktionsvorsitzende), Renate Schmidt (stellvertretende Fraktionsvorsitzende) und Inge Wettig-Danielmeier (Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, Mitglied des Parteipräsidium) entwickelt, hat einen Aufruf vorgelegt, eine Protokollerklärung für den Einigungsvertrag formuliert und einen Vorschlag für die Gesetzgebung erarbeitet. Darin wird unter anderem gefordert, den 'Wegfall der Strafandrohung für Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten' vorzunehmen. Wir dokumentieren die drei Papiere im Wortlaut:

Aufruf

Wir Frauen in Ost und West melden uns zu Wort. Wir sind es leid, dass selbst beim Schwangerschaftsabbruch wieder einmal ohne uns über uns entschieden werden soll.

Wir wissen: Keine Frau lässt ohne Not eine Schwangerschaft abbrechen. Wir wollen die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche senken, hüben wie drüben. Das wird aber nicht dadurch erreicht, dass man(n) Frauen mit Strafe droht. Niemand kann der Frau im Gewissenskonflikt die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch abnehmen.

Deshalb wollen wir eine vernünftige neue Regelung für Gesamtdeutschland.

Wir fordern:

- Staatliche Förderung von Sexualerziehung und Aufklärung, auch über Schwangerschaftsverhütung

- einen Rechtsanspruch für schwangere Frauen auf Beratung und finanzielle und soziale Hilfen

- wirksame Rechte und Unterstützung für Mütter über die bestehenden sozialen Leistungen hinaus

Bei Schwangerschaftskonflikten vor allem:

- Wegfall der Strafandrohung für Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten

Helfen Sie mit, unterstützen Sie diesen Aufruf.

Erstunterzeichnerinnen

Angelika Barbe, MdV, stellvertretende Vorsitzende der SPD (DDR)
Dr. Herta Däubler-Gmelin MdB, stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD
Anke Fuchs, MdB, Bundesgeschäftsführen der SPD
Ingrid Wolf, MdV, CDU (DDR)
Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer, MdB, Staatsministerin im Auswärtigen Amt
Renate Schmidt, MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD
Gisela Sept-Hubrich, MdV SPD (DDR)
Waltraut Schoppe, Frauenministerin des Landes Niedersachsen
Dr. Regine Hildebrandt, Ministerin für Arbeit und Soziales (DDR)
Liselotte Funcke, Ausländerbeauftragte
Inge Wettig-Danielmeier, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen
Marianne Birthler, MdV Bündnis90/Grüne
Dr. Ute Otten, Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V.
Ursula Engelen-Kefer, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Dr. Hertha Engelbrecht ,Geschäftsführerin des Deutschen Juristinnenbundes
Gisela Brackert, Vorsitzende des Deutschen Journalistinnenverbandes
Heidrun Alm-Merk, Ministerin der Justiz des Landes Niedersachsen
Gisela Böhrk, Ministerin für Frauen des Landes Schleswig-Holstein
Marliese DobberthIen, Staatsrätin, Leiterin der Leitstelle zur Gleichstellung der Frau der Freien Hansestadt Hamburg
Heide Dörrhöfer-Tucholski, Staatssekretärin, Nordrhein-Westfalen
Irene Ellenberger, MdV, SPD
Renate Faerber-Husemann, Journalistin
Prof. Dipl.-Ing. Monika Ganseforth, MdB, SPD
Anne Klein, Senatorin Für Frauen, Jugend und Familie des Landes Berlin
Christiane Krajewski, Ministerin für Gesundheit sind Soziales des Saarlandes
Eva Kunz, SPD (DDR)
Prof. Dr. Jura Limbach, Senatorin für Justiz des Landes Berlin
Dr. Brunhilde Peter, Ministerin für Arbeit und Frauen des Saarlandes
Prof. Dr. Heide Pfarr, Senatorin für Bundesangelegenheiten des Landes Berlin
Ilse Ridder-Melchers, Ministerin für die Gleichstellung von Mann und Frau des Landes Nordrhein-Westfalen
Prof. Dr. Vera Rüdiger, Senatorin für Gesundheit und für Bundesangelegenheiten der Freien Hansestadt Bremen
Eva Rühmkorf, Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur
Antje Sedemund-Treiber, Deutscher Juristinnenbund, Bonn
Ingrid Stahmer, Bürgermeisterin und Senatorin für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin
Carola Stern, Publizistin
Heidemarie Wieczorek-Zeul MdB, Mitglied des Präsidiums der SPD
Uta Würfel, MdB, FDP

Protokollerklärung

Bei Unterzeichnung des Vertrages über die Herstellung der Einheit Deutschrands zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland - Einigungsvertrag - wurde mit Bezug auf diesen Vertrag folgende Erklärung abgegeben:

Beide Vertragsparteien sind sich einig, dass die unterschiedlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch nach der Vereinigung nur für eire Übergangszeit gelten. Sie bekräftigen ihre Absicht, alsbald eine gesetzliche Neuregelung anzustreben, die den vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 25. Februar 1975 umschriebenen staatlichen Handlungsauftrag voll ausschöpft und insbesondere folgende Bestandteile enthält:

- Regelung über die staatliche Förderung von Sexualerziehung, Aufklärung und Schwangerschaftsverhütung

- einen Rechtsanspruch für schwangere Frauen auf Beratung und finanzielle und soziale Hilfen

- wirksame Rechte und Unterstützung für Mütter über die bestehenden sozialen Leistungen hinaus

- bei Schwangerschaftskonflikten: Wegfall der Strafandrohung bei Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten

Formulierungsvorschlag

Zur Anlage II des Vertrages zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik-Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag -

(Modell 'Negativliste’)

"C. Strafrecht

1. Die §§ 5 Nr. 9, 218 - 219 d des Strafgesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. März 1987 (BGBl. I S. 945, 1160), zuletzt geädert durch Gesetz vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1163) werden nicht auf das Gebiet der DDR erstreckt

2. Das EGStGB wird wie folgt geändert:

In das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB vorn 2. März 1974, BGBI. I S. 469), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. April 1986 (BGBI. I S. 2) wird nach Artikel 1 folgender Artikel 1a eingefügt:

Artikel 1a
Interlokales Strafrecht

(1) Soweit im Geltungsbereich dieses unterschiedliches Strafrecht gilt, findet das Recht des Tatorts Anwendung.

(2) Soweit das Deutsche Strafrecht auf im Ausland begangene Taten Anwendung findet und unterschiedliches Strafrecht im Geltungsbereich dieses Gesetzes gilt, finden diejenigen Vorschriften Anwendung, die an dem Ort gelten, an welchem der Täler seine LebensgrundIage hat.

3. In dem Gebiet der DDR bleiben aufrechterhalten:

a) §§ 153 - 155 des Strafgesetzbuches der DDR vom 12. Januar 1968 in der Neufassung vom 14, Dezember 1989 (GBI. I 1989 Nr. 3 S. 33) sowie in der Fassung des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29. Juni 1990 (GBI. I Nr. 39 S. 526)

b) Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9. März 1972 (GBl. I Nr. 5 S. 89).

Begründung

Zu Nr. 1 und 3:

Durch diese Vorschriften wird sichergestellt, dass für eine Übergangszeit nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in dem Gebiet der ehemaligen BRD die §§ 218 f StGB und in dem Gebiet der ehemaligen DDR die §§ 153 f StGB-DDR-DDR partiell weitergeltendes gemeinsames Recht sind.

Zu Nr. 2:

Der vorgesehene Artikel 1a Abs. 1 EGStGB stellt sicher, dass sich Frauen aus der jetzigen BRD nicht strafbar machen, wenn sie auf dem Gebiet der jetzigen DDR einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Die vorgesehene Kollisionsnorm stellt ausschließlich auf das Tatortprinzip ab.

Artikel 1a Abs. 2 EGStGB hält eine Kollisionsnorm für den - wohl eher theoretischen - Fall bereit, dass eine DDR-Bürgerin ihre Schwangerschaft außerhalb des Geltungsbereichs der BRD und der DDR abbrechen lässt. Auch für diesen Fall sollen die Vorschriften der jetzigen DDR Anwendung finden.

SPD Pressedienst, 45. Jahrgang, 155, 15. August 1990

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