Gewalt und Angst in den Familien darf keine private Angelegenheit mehr bleiben

Über ein Projekt "Autonomes Frauenhaus" zum Schutz psychisch und physisch misshandelter Frauen und Kinder

Ein Fernsehabend im trauten Familienkreis. Zwischen den Gastgebern kommt Streit auf. Der Mann streckt seine Frau mit mehreren Faustschlagen zu Boden. Erst als sie sich nicht mehr rührt, greift der zu Besuch weilende Bruder des Täters ein. Mit einem Faustschlag seinerseits glaubt er die Gerechtigkeit wiederhergestellt. Der vom aufmerksam gewordenen Nachbarn gerufene Toni-Wagen bringt die bewusstlose junge Frau ins Krankenhaus. Schwere Verletzungen machen einen wochenlangen stationären Aufenthalt notwendig. Der auf der Flucht gestellte Täter zeigt keinerlei Reue, fühlte sich halt von seiner Frau provoziert.

Dies ist nur einer von siebzehn Fällen, die im ersten Quartal dieses Jahres allein bei der Kriminalpolizei Friedrichshain untersucht wurden.

Etwa dreimal so oft sind die Funkwagen in Fällen im Einsatz, in denen von einer Anzeige Abstand genommen wird. Die Dunkelziffer solcherart von Gewalttätigkeiten ist nach den Erfahrungen von Polizei und Jugendhilfe, von medizinischen und sozialen Einrichtungen außerordentlich hoch. Gewalt gegen Frauen spielt sich am häufigsten in der Familie und in langer bestehenden Partnerschaften ab. In westdeutschen Publikationen wird von vier Millionen betroffenen Frauen in der BRD ausgegangen. Bei uns gibt es noch keine Schätzungen und Untersuchungen über das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen. Dieses Problem gehörte bislang zu den Tabuthemen; zu sehr widersprach es dem offiziellen Wunschbild von der heilen Familienwelt.

Die weitgehende öffentliche Ignoranz hat den Nebeneffekt, dass sich die Täter selten ernsthaft schuldig fühlen. Gewalt gegen Frauen wird vielfach eher als Kavaliersdelikt und Privatangelegenheit betrachtet, zumindest solange keine gänzlich erschreckenden Folgen sichtbar sind. Die Opfer fühlen sich isoliert und häufig schuldig an ihrer Misshandlung. Scham und Angst halten sie zurück, sich anderen anzuvertrauen und sich an Institutionen zu wenden. Dazu kommt, dass oft von den Tätern zwecks Vertuschung ein massiver Druck ausgeübt wird. Die betroffenen Frauen wissen in der Regel nicht, wie sie aus dieser Situation entkommen konnten. Es stellen sich Dauerfolgen wie ein herabgesetztes Selbstbewusstsein, Depressionen, die Neigung zu Suchtmitteln ein. Diesen Frauen kann nur eine räumliche Trennung, die Schaffung eines Zufluchtsortes helfen.

Dem Problem der Bedrohung und Misshandlung von Frauen muss der Nimbus des Privaten und Individuellen genommen werden. Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Problem, das seine Ursache in den noch kaum durchbrochenen patriarchalischen Strukturen und der realen Benachteiligung von Frauen in Familie und Beruf hat. Das öffentliche Bewusstsein für diese Fragen ist noch viel zu wenig sensibilisiert. Viele sind betroffen, so gut wie jeder kennt Beispiele im Kollegen- und Bekanntenkreis, in der Verwandtschaft oder Nachbarschaft. Aber wer spricht schon darüber in der Öffentlichkeit?

Von Gewalttätigkeiten in der Familie sind in besonderem Maße auch die Kinder betroffen. Ein Mann, der seine Frau missachtet und schlägt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch seine Kinder nicht verschonen. Hinzu kommt, dass sich die psychische und physische Belastung der Mutter negativ auf die Kinder auswirkt. Die feindselige Familienatmosphäre und Machtmissbrauch führen nicht nur zu vorübergehenden Verhaltensstörungen bei Kindern. Sie haben oft irreparable Folgen für ihr späteres Leben, so die Neigung, dann selbst eine Täter- oder Opferrolle anzunehmen, da vernünftige Formen des Zusammenlebens nicht bekannt sind. Kinder sind durch das Miterleben von Gewaltszenen und der Todesangst der Mutter mehr als überfordert. Die Signale, die sie an ihre Umwelt senden, werden oft nicht als Hilferuf verstanden. Sie sind schwierig, da sie selbst in Schwierigkeiten stecken, und werden dafür häufig auch noch zurückgesetzt. Es besteht die Notwendigkeit, diese Problematik in die Aus- und Weiterbildungsprogramme von Kindergärtnerinnen, Erziehern und Lehrern aufzunehmen, um den Störungen entgegenwirken zu können.

Während es für Kinder die Möglichkeit einer Unterbringung im Heim gibt, um sie aus der familiären Gewaltsituation herauszuholen, müssen die betroffenen Frauen sich weiter der unerträglichen und entwürdigenden häuslichen Lage aussetzen. Eine Anzeige bei der Polizei oder die Scheidungsklage belasten oft noch den ohnehin ständig bedrohten Hausfrieden. Die Möglichkeiten der Polizei sind mit der Unterbrechung akuter Gewalttätigkeiten und, in besonders extremen Fallen, der vorübergehenden Festnahme des Täters wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Prinzip ausgeschöpft. Beamte des Kriminalamtes Friedrichshain, die seit Jahren in ihrer Arbeit mit den Opfern von Gewalttätigkeiten zu tun haben, beobachteten, dass die betroffenen Frauen Gesprächspartner und Hilfsangebote suchen. Sie unterstützen deshalb ein Frauenhausprojekt von zirka zwanzig Berliner Frauen. Überwiegend aus sozialen und pädagogischen Berufen, motiviert durch ihre Erfahrungen in der Arbeit und bei der Tätigkeit in der Jugendhilfe, haben sich zum Ziel gesetzt, diesen Defiziten zu begegnen. Sie gründeten einen "Verein zum Schutz physisch und psychisch bedrohter und misshandelter Frauen und ihrer Kinder", um ihr Projekt "Autonomes Frauenhaus" durchzusetzen. Es wäre das erste Frauenhaus auf dem Gebiet der DDR, der Bedarf ist mit Sicherheit sehr groß. Die engagierte und rührige Gruppe hat sich an eine Vielzahl von Parteien und Institutionen um Unterstützung gewandt. Unter anderem wurden die Stadtbezirksbürgermeister um Mithilfe bei der Beschaffung eines geeigneten Objektes gebeten. Die Kommunen begegnen dem Frauenhaus-Projekt zwar wohlwollend, aber die materielle Absicherung will niemand so recht übernehmen. Die Projektgruppe kämpft unermüdlich gegen die Hinhaltetaktik der Institutionen. Die soziale Notwendigkeit dieses und weiterer Frauenhäuser und der entsprechenden Nachsorgeeinrichtungen steht außer Frage. Sollte das Projekt an der Ignoranz und dem Geiz an der falschen Stelle seitens der macht ausübenden Institutionen, in denen übrigens überwiegend Männer sitzen, scheitern?

Die personellen und ideellen Voraussetzungen für das geplante "Autonome Frauenhaus" sind vorhanden. Das Frauenhaus soll mehr als ein Zufluchtsort sein und den betroffenen Frauen helfen, sich aus dem Teufelskreis von Angst, Scham und Demütigung zu befreien. Den misshandelten Frauen werden psychologische und juristische Betreuung und Beratung angeboten. Sie werden von den Mitarbeiterinnen bei der Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber Behörden unterstützt, z.B. auf dem Wohnungsamt, Gericht, bei der Jugendhilfe und auf dem Arbeitsamt. Die Strukturen im Frauenhaus sind demokratisch, die betroffenen Frauen werden in die Entscheidungen über die Belange des Hauses einbezogen. Die Frauen der Projektgruppe wollen ohne Hierarchien auskommen. Wichtigstes Ziel ist es, den misshandelten Frauen das Gefühl für den eigenen Wert, den Mut zum selbständigen, von Gewalttätigkeiten freien Leben zu vermitteln, den sie oft verloren haben. Wichtig ist für sie die Erfahrung, dass sie kein Einzelfall sind, dass sie nicht persönlich die Schuld an ihrer Misere tragen. Irrig ist auch die Annahme, dass Gewalt gegen Frauen nur ein Problem der Unterprivilegierten wäre. Sie kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor und ist nicht Ausdruck eines sozialen Makels.

Ein Frauenhaus ist ein vorübergehender Aufenthaltsort, eine Durchgangsstation. Für viele betroffene Frauen wäre es Rettung in höchster Not, ein wenigstens zeitweiliger Zufluchtsort, der Aufgaben erfüllt, die die bereits bestehenden staatlichen, medizinischen und sozialen Einrichtungen nicht leisten können.

Interessierte und Betroffene können sich schriftlich mit der Initiativgruppe "Autonomes Frauenhaus", PF 117, Berlin 1136, in Verbindung setzen.

Initiativgruppe "Autonomes Frauenhaus"

Berliner Zeitung, Mi. 25.04.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 96

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