(K)eine Chance für längst notwendige Frauenprojekte?

Über einen langen Marsch durch die Institutionen

Die Resonanz auf den Beitrag unserer Initiativgruppe Autonomes Frauenhaus (BZ v. 25. 4.) war groß. Es meldeten sich viele von Gewalt in der Familie betroffene Frauen, denen die Aufnahme in einem Haus wie dem von uns vorgeschlagenen eine wirksame Hilfe sein könnte. Manche dieser Briefe klangen wie ein Hilfeschrei. Sie wurden zum großen Teil in der Hoffnung geschrieben, dass ein bereits arbeitendes Frauenhaus existieren würde und genutzt werden könnte. Wir mussten die Frauen an Beratungsstellen verweisen. Den von ihnen ersehnten Zufluchtsort, der ihnen ein Entkommen aus der Gewaltsituation ermöglicht, konnten wir ihnen noch nicht bieten. Unsere Recherchen bei der Polizei, der Jugendhilfe, dem Gericht, unsere persönlichen und beruflichen Erfahrungen hatten uns schon eine Vorstellung vom Ausmaß der Gewalt gegen Frauen vermittelt. Die Briefe der betroffenen Frauen sind ein besonders erschütternder Nachweis des Bedarfs an Frauenhäusern. Staatliche Behörden sollten diese Tatsache nicht langer ignorieren und engagierte Frauen, die an der Lösung dieser Probleme arbeiten wollen, als Verhandlungspartner akzeptieren.

Unsere Initiativgruppe will mit dem Projekt Autonomes Frauenhaus soziale Verantwortung übernehmen für eine Gruppe, die bisher nicht wahrgenommen und in ihrer Not allein gelassen wurde. Damit versuchen wir, real vorhandene Defizite in der Gesellschaft zu minimieren. Ein solches gemeinnütziges Projekt kann sich nicht selbst finanzieren und ist auf öffentliche Gelder angewiesen. Und genau hier hört die Verhandlungsbereitschaft der zuständigen Behörden auf. Viele Beamte scheinen sich wie Schnecken in ihrem Haus zu verkriechen. Sie verlangen wie eh und je Einsicht in irgendwelche Notwendigkeiten wie ungeklärte politische Konstellationen, ein desolater Finanzhaushalt dieser Stadt, ökonomische Sachzwänge... Diese Kurzsichtigkeit gegenüber sozialen Projekten wird die Problematik langfristig verschärfen. Es ist keine Spekulation, dass mit den wachsenden ökonomischen und existentiellen Ängsten und Unsicherheiten auch die Gewaltbereitschaft zunimmt, sich sozialer Sprengstoff anhäuft. Scheinbar hat sich an der Arbeitsweise und den Strukturen staatlicher Institutionen noch nichts geändert. Wie glaubhaft sind in diesem Zusammenhang überhaupt die in den Wahlprogrammen jetzt regierender Parteien gemachten Aussagen zur Forderung von Frauenprojekten, zur realen Gleichstellung der Geschlechter, zur Bereitschaft, ein umfassendes soziales Netz auszubauen?

Die Unschlüssigkeit der Behörden lahmt die Arbeit unserer Initiativgruppe, die im Moment kaum mehr als Entscheidungen abwarten kann. Dabei wären wir bei der Erfüllung unserer Forderungen nach Projekt- und Mitarbeiterinnen-Finanzierung sofort aktionsfähig.

Die Teilfinanzierung der Rekonstruktionsarbeiten aus einem Sonderfonds des Westberliner Senats wurde uns bei Zustandekommen einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Senat und Magistrat zugesichert. Es bleibt zu hoffen, dass bei diesem für unser Projekt lebenswichtigen Vertrag von der üblichen Verschleppungstaktik abgegangen wird und wenigstens die neu gewählten Entscheidungsträger unsere Arbeit unterstützen.

Initiativgruppe Autonomes Frauenhaus PF 117, Berlin 1136

Berliner Zeitung, Mi. 20.06.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 141

Δ nach oben