Erklärung der BGL an die Vorsitzende des Bundesvorstandes des FDGB, Annelis Kimmel
Wie es im Betrieb weitergehen sollte
Kolleginnen und Kollegen, sagt dazu Eure Meinung!
Wir, die Mitglieder der BGL sowie der 7 AGLs des VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna wollen unverzüglich, bestärkt durch den geführten Dialog über die Gewerkschaftsgruppen, unseren Standpunkt zu den Fragen unserer Zeit darlegen.
Wir unterstützen die kritischen Hinweise und stimmen mit der Belegschaft darin überein, dass wir gemeinsam, auch in unserem Betrieb keine leichte Wegstrecke vor uns haben. Sie verlangt von allen Ehrlichkeit, Hartnäckigkeit und die Bereitschaft, sich den neuen Erfordernissen durch eine neue Qualität der gewerkschaftlichen Interessenvertretung zu stellen.
Mit der Erklärung unterbreitet die Betriebsgewerkschaftsleitung einen ersten Standpunkt zur grundlegenden Verbesserung der Gewerkschaftsarbeit in unserem Betrieb. Wir legen großen Wert auf die Meinung unserer Vertrauensleute und Mitglieder in den Gewerkschaftsgruppen, darüber zu diskutieren und ihren Standpunkt darzulegen. Wir erwarten dazu Eure Vorschläge. Sagt, was Ihr befürwortet, sagt unverblümt aber auch, was nicht Eure Zustimmung findet.
Was wollen wir?
- Kämpferisch die Interessen unserer Werktätigen vertreten und uns für deren Verwirklichung einsetzen. Darunter verstehen wir:
- Beseitigung des Berichtswesens durch die BGL an alle Vorstände, die Industriegewerkschaften und die FDGB-Kreis- und Bezirksvorstände;
- Abschaffung aller übertriebenen Statistiken an die übergeordneten Leitungen;
- Durch den Minister und den Zentralvorstand der IG Druck und Papier ist dafür Sorge zu tragen, dass eine einheitliche Entlohnung aller Betriebe des Kombinates Zellstoff und Papier erfolgt.
- Erarbeitung einer einheitlichen Tarifregelung für Beschäftigungsgruppen und deren rechtsverbindliche Anwendung in allen Betrieben (mehr Geld für Höchstleistungen und hohe Leitungsverantwortung sowie spürbare Minderung für mittelmäßige und schlechtere Arbeit);
- Erhöhung der gesellschaftlichen Anerkennung der Schichtarbeiter (materiell);
- Beseitigung der Ungerechtigkeiten bei der Entlohnung der Meister und der Hoch- und Fachschulkader mit hoher Verantwortung (dazu ist durch das Ministerium gemeinsam mit dem Zentralvorstand der IG Druck und Papier die Änderung des WLK vorzunehmen und zu garantieren, dass einheitliche Lohnformen und Entlohnung alIer Betriebe des Industriezweiges festgelegt werden).
Von Seiten des Betriebsdirektors sind Maßnahmen einzuleiten und mit der zuständigen Gewerkschaftsleitung zu vereinbaren, dass Lohn nach Leistung zur Einstufung für die Meisterbereiche festgelegt wird. (durch den Bundesvorstand FDGB sind Festlegungen zu treffen, um das vorhandene AGB diesbezüglich zu ändern);
- Beseitigung der eingeschränkten Stimulierungsmöglichkeiten über die Jahresendprämienzahlung, beginnend im Jahre 1990;
- Abschaffung der Belastung des Lohn- und Prämienfonds durch Überstunden, wodurch Mittel für echte Leistungsstimulierung eingeschränkt, werden.
- In den BKV ist aufzunehmen, dass für Werktätige des Betriebes ab 1990 Treueurlaub wie folgt gewährt wird:
3 Jahre Betriebszugehörigkeit 1 Tag
5 Jahre Betriebszugehörigkeit, 2 Tage
10 Jahre Betriebszugehörigkeit 3 Tage;
- Durch den Bundesvorstand des FDGB sind Beschlüsse zu fassen, dass künftig für Arbeiter und Angestellte eine einheitliche Besteuerung (Lohnsteuer) erfolgt.
- Die Betriebsgewerkschaftsleitung entscheide künftig eigenständig ohne Bevormundung der übergeordneten Leitung über Neuregelungen in der Wettbewerbsführung. Wir vertreten den Standpunkt, dass der Kampf um den Ehrentitel "Kollektiv der sozialistischen Arbeit" nicht mehr dem heutigen Stand entspricht.
- Im Ergebnis der geführten und noch zu führenden Dialoge sind in der Breite und Vielfalt der Gewerkschaftsarbeit solche demokratischen Prinzipien wieder Herzustellen, die die volle Einbeziehung der Werktätigen garantieren und deren Einflugnahme auf alle entscheidenden Prozesse in unserem Betrieb sichern.
Unter anderen verstehen wir darunter:
- eine neue Form der Plandiskussion auf der Basis bilanzierender Aufgaben und der Erhöhung der Eigenverantwortung unseres Betriebes,
- Organisierung des sozialistischen Wettbewerbes auf der Grundlage der Hauptaufgabenstellungen im Betrieb nach Menge und Qualität bei Zellstoff und Futterhefe in einfacher und übersichtlicher Form; Die BGL fordert vom Generaldirektor, dass die im Ergebnis des sozialistischen Wettbewerbes zusätzlich erwirtschafteten Mittel im Betrieb verbleiben. Ihre Verwendung wird jährlich im BKV neu vereinbart.
- Neu zu erarbeitende Bestimmungen des BKV für die materiellen, ökonomischen und sozialen Aufgaben und Vorhaben des Betriebes auf der Grundlage eigenständiger Vereinbarungen der BGL mit dem Betriebsdirektor und deren Bestätigung durch die Vertrauensleutevollversammlung.
- Das gewerkschaftliche Mitgliederleben wollen wir so gestalten, dass die Belegschaftsmitglieder alle Probleme und Fragen, die sie bewegen, offen darlegen können und im Meinungsstreit auch darüber eine Antwort erhalten.
Gewerkschaftliche Standpunkte und Forderungen sind nur das Ergebnis einer kollektiven Meinungsbildung. Zur Durchsetzung der kollektiven Meinung sind die Rechte der Mitglieder der BGL, AGL und Vertrauensleute verbindlicher zu gestalten und der Schutz ihrer Person aus den Aufgaben der gewerkschaftlichen Interessenvertretung zu gewähren.
- Die BGL vertritt die Auffassung, dass die Arbeit eines Gewerkschaftsfunktionärs durch und vom Vertrauen seiner Mitglieder geprägt sein soll. Rechenschaftspflichtig ist es in erster Linie gegenüber den Mitgliedern seines Bereiches und des Betriebes, deren Vertrauen er durch seine Wahl erhalten hat, und nicht den Kreis- und Bezirksvorständen der IG und des FDGB. Das Berichtswesen unserer Grundorganisation an andere Vorstände und Leitungen ist zu beseitigen.
- Auf der Grundlage der Ausführungen der jetzigen Vorsitzenden des Bundesvorstandes des FDGB, Kollegin Annelies Kimmel, tritt die BGL ebenfalls für die 40-Stunden-Woche bei gleichem Lohn auf der Basis der Steigerung der Effektivität der Produktion im Betrieb sowie für weitere Regelungen für die im kontinuierlichen 3-Schicht-Betrieb arbeitenden Werktätigen ein. Die BGL zweifelt aber auch an, dass die Äußerungen der Vorsitzenden des Bundesvorstandes des FDGB leichtfertig gemacht wurde. Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein erheblicher Mangel an Arbeitskräften in Dienstleistungsbereich, Gesundheitswesen, in den Verkaufsstellen bis hin zum Transport vorhanden. Auch auf diese Bereiche würde dann die 40-Stunden-Woche zutreffen. Es kann nicht sein, dass die 40-Stunden-Woche durch Überstunden abgedeckt werden soll. Zum Zeitpunkt ist die hohe Anzahl der Überstunden gewerkschaftlicherseits schon nicht mehr vertretbar.
- Die BGL fordert über den Gebietsvorstand der IG Druck und Papier eine zusätzliche Zuteilung von FDGB-Ferienplätzen, welche durch die Nutzung frei werdender Gästehäuser zur Verfügung stehen.
- Die BGL fordert den Generaldirektor des Kombinates auf, den im Monat Juli/August diskutierten Planentwurf für das Jahr 1990 rückgängig zu machen. Sie erwartet, dass ein neu erarbeiteter Planentwurf im Dezember 1989 unserem Betrieb übergeben wird.
Danach ist wie folgt zu verfahren:
- Durch den Betriebsdirektor ist zu veranlassen, diesen neuen Planentwurf sofort auf alle Werke aufzuschlüsseln. Die Werkleiter und jeder staatliche Leiter sind zu beauftragen diesen mit allen Arbeitskollektiven zu beraten, dazu die Standpunkte zu erfassen und diese schriftlich von jedem Arbeitskollektiv dem zentralen Arbeitsstab und der BGL zuzustellen. Die BGL mit den AGLs wird darüber die Kontrolle ausüben und eigene Standpunkte für einen realen machbaren Plan erarbeiten.
- Erst nachdem die Standpunkte der Arbeitskollektive zugearbeitet wurden und gesichert ist, dass die Beratungen in allen Kollektiven zum Planentwurf durchgeführt wurden, wird die BGL ihre Stellungnahme im Entwurf erarbeiten und darauf achten, dass der Plan 1990 real, machbar und mit voller Untersetzung vorliegt. Eher werden dazu nicht die Vertrauensleute zur Zustimmung des Planes 1990 einberufen und eine Bestätigung gegeben.
Die Betriebsgewerkschaftsleitung und ihre Mitglieder des VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna fordern die Einberufung des FDGB-Kongresses zum Frühjahr 1990 möglichst vor dem XII. Parteitag der SED.
Die Belegschaft des VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna stellt den Antrag an die Vorsitzende des Bundesvorstandes des FDGB, Annelies Kimmel, zum nächsten FDGB-Kongress folgende Änderung der jetzigen Satzung des FDGB vorzunehmen:
- Seite 1. Abschnitt 2. Passus "Unter Führung der SED wird die Gewerkschaft..."
bitte streichen und den gesamten Abschnitt 2 dementsprechend zu ändern.
An den Minister für Glas und Keramik und den Generaldirektor des Kombinates Zellstoff und Papier wird der Antrag gestellt, kurzfristige Maßnahmen des Investvorhabens in Pirna, was die Umweltbedingungen betrifft, festzulegen und im Jahr 1990 bereits mit den vorgesehenen Objekten zu beginnen, die eine Verbesserung der Umweltbedingungen, bezogen auf die jetzige starke Verunreinigung der Luft und des Vorfluters der Elbe und Müglitz bewirken.
Gewerkschaftsmitglieder unseres Betriebes!
Solltet Ihr mit verschiedenen Punkten bzw. Ausführungen nicht einverstanden sein, findet Ihr Vorschläge noch nicht berücksichtigt, so sind wir jederzeit zur Entgegennahme Eurer Meinungen bereit.
aus: neuer Zellstoffwerker, Nr. 22, 21.11.1989, 38. Jahrgang, Organ der BPL VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna, Herausgeber: SED-Betriebsparteileitung des VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna
[Der XII. Parteitag der SED sollte vom 15.-19. Mai 1990 stattfinden. Dazu kam es aber nicht mehr.]