Zur Rolle des FDGB in der gegenwärtigen Volksbewegung

"Das Volk sind wir", unter dieser Losung hat eine demokratische Bewegung nie gekannte Kräfte des Volkes mobilisiert. Eines ist deutlich, der FDGB als zahlenmäßig größte Massenorganisation (über 9 Millionen Mitglieder) ist, ausschließlich von der Hand der Partei gelenkt, weder gestern noch heute seiner Aufgabe gerecht geworden, Interessenvertreter der Werktätigen zu sein. Mit dem erstarrten Apparat, der mit den gleichen Strukturen und den gleichen Leuten wirkt, ist keine demokratische Basis für Veränderungen vorhanden. Unsere Funktionäre warten weiter auf Richtlinien von "oben" aus Gewohnheit, Bequemlichkeit, Ratlosigkeit oder Inkompetenz?

Ungläubig, empört und erschüttert müssen wir Machtarroganz, Bereicherung und eine Lebensführung von Funktionären zur Kenntnis nehmen, wie sie uns bisher nur aus Ländern und Gesellschaftssystemen bekannt waren, wo Luxus von wenigen auf Ausbeutung und Unterdrückung der Massen beruhen. Was ist mit uns passiert? Ich habe die Lüge noch nicht vergessen, mit der uns noch vor 8 Wochen weisgemacht werden sollte, Eigentum und Macht sind in Volkes Hand. Sind sie es wirklich? Das Aufwachen war schmerzhaft, die Erkenntnis, einem Betrug zu unterliegen, schlimm. Wie weit reicht die Schuld des einzelnen und ziehen wir persönlich unsere Lehren?

Trotz Enttäuschung und Verbitterung zeichnet die Vielzahl unserer Kollegen eine gute Einstellung zur Arbeit und Leistungsbereitschaft aus. Die Arbeit als Grundvoraussetzung zur Schaffung des gesellschaftlichen Reichtumes darf nicht beeinträchtigt werden, trotzdem reicht es in diesen Tagen nicht aus, seine Gedanken auf die Arbeit zu konzentrieren. Gute Arbeit allein lohnt nicht, das sehen wir nach 40 Jahren.

Der politischen Bedeutung dieser Tage angemessen, sollte sich niemand einer politischen Mitwirkung verschließen, aus welchen Gründen auch immer. Zu verlieren haben wir nichts mehr.

Die Gewerkschaftsbewegung ist objektiv geeignet, als politisch tragendes Element in einer neuen Gesellschaftsform mitzuwirken. Ohne den Druck von "unten" wird die Initiative von "oben" jedoch ausbleiben. Nur wir können den Druck von "unten" ausüben. Wer da hofft auf "obere Wesen" betrügt sich selbst. Das sollen folgende Fakten unterstreichen.

Zum Beispiel Kreisvorstand FDGB - keine veröffentliche Kaderreduzierungen. Bestätigung des bisherigen Vorsitzenden Kollege Range im Amt.

Zum Beispiel SED-Kreisleitung - von 121 AK 7 abgebaut. Wahl des bisherigen 2. Sekretärs zum 1. Sekretär. Mir wird Angst bei dem Gedanken, das wachsame Volksauge könnte einschlafen. Wendehälse oder Wölfe im Schafspelz für die ersteren empfinde ich Abneigung, vor den zweiteren Furcht.

Deswegen werde ich mit meinen Mitteln für folgende Punkte eintreten:

1. Wirklich freie Gewerkschaften, die unabhängig von Parteien, Staat und Regierung tätig sind.

2. Durchsetzung einer wahrhaftigen innergewerkschaftlichen Demokratie anstelle der Bürokratie.

3. Eine Gewerkschaft braucht gesetzlich verankerte Mechanismen zur Regelung von Arbeitskonflikten, einschließlich des Arbeitskampfes.

4. Die Berechtigung des FDGB in der Volkskammer ziehe ich in Zweifel.

Ohne die Verwirklichung dieser Voraussetzungen wird die Gewerkschaft ihre gesellschaftliche Rolle nicht erfüllen. Moralische Integrität, Kompetenz und Leistung sollen zum Maßstab für jeden hauptamtlichen Funktionär und Mitarbeiter der Gewerkschaft als Maßstab gelten. Dazu zählt die Abschaffung sämtlicher Privilegien. Diese Privilegien beginnen bei den Gehältern, angefangen von den hauptamtlichen BGL-Vorsitzenden in den Betrieben, als letztes Glied einer Verwaltungskette.

Ich habe mich entschlossen als ersten Schritt meinen monatlichen Solibeitrag zu kündigen, um den Druck von unten wirksamer auszugestalten. Entscheidungen muss in diesen Tagen jeder persönlich treffen. Es gibt viele Möglichkeiten. Verspielen wir sie nicht!

Klaus-Peter H(...)

aus: Fundament, Nummer 21/1989, 1. Dezemberausgabe, Organ der Leitung der SED-GO Kombinatsleitung im VEB Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinates Schwerin

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