Mitarbeit an Rezepten erwünscht
Das war ungewohnt: Mehr als 30 Diskussionsbeiträge, viele Anfragen, zusätzliche Bemerkungen
Gewerkschaft Wissenschaft: Heiß diskutiertes Positionspapier und außerordentliche Zentraldelegiertenkonferenz
Um es gleich vorwegzunehmen: Akademisch ging es auf der 10. Tagung des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Wissenschaft nicht zu. Mehr als 30 Diskussionsbeiträge, von Anfragen, zusätzlichen Bemerkungen und ähnlichem einmal ganz abgesehen. Und dass sich ein Redner energisch Zwischenbeifall verbat, weil er sonst mit den ihm zugebilligten fünf Minuten nicht auskäme, hatte wohl noch keiner in diesem Kreis erlebt.
Neue Töne also, und die nicht nur in der Diskussion. In einem Bericht ging der ZV-Vorsitzende, Prof. Dr. Rolf Rinke, mit der bisherigen Arbeit der Gewerkschaft Wissenschaft hart ins Gericht, klammerte eigene Fehler und die des Sekretariats nicht aus. Verkrustete Strukturen, Denken in eingeschliffenen Bahnen schränkten die sozialistische Demokratie ein. Faktisch, so wurde betont, gab es keine oder nur sehr geringe Eigenständigkeit der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften. Gewerkschaftliche Interessenvertretung führte zwar auf einigen Gebieten zu Erfolgen, vielerorts jedoch entstand der Eindruck, die Gewerkschaften machen alles mit. Was sicher in der Gesamtheit nicht zutrifft, die Diskussion verdeutlicht das. Doch objektive oder als objektiv angesehene Grenzen und subjektive Fehler führten sichtlich zu Vertrauensschwund.
Wie lässt sich Verlorengegangenes wiedergewinnen? Den Mitgliedern des Zentralvorstandes wurde der Entwurf eines Positionspapiers zur Erneuerung der Gewerkschaft Wissenschaft vorgelegt. Verantwortung für Wissenschaftler und Wissenschaft, der Inhalt in einem Satz gesagt. Markante Punkte daraus:
- Wir wollen eine Gewerkschaft sein, in der jedes Mitglied seine demokratischen Rechte voll wahrnehmen, an Entscheidungsfindungen und deren Realisierung teilnehmen und dazu seine Meinung, seinen Standpunkt, seine Kritik äußern kann, unabhängig von seiner politischen und weltanschaulichen Überzeugung.
- Wir wollen, dass Wissenschaft und Bildung einen vorderen Platz in der Gesellschaft einnehmen, der ihrer innovativen Kraft für die Entwicklung des Sozialismus dient als such der Wissenschaft generell.
- Wir wollen, dass die in Wissenschaft und Bildung Tätigen sich frei entfalten können, leistungsgerecht bewertet und ein Arbeitsklima sowie materiell-technische Bedingungen geschaffen werden, die hohe Ergebnisse und deren zügige Überführung für steigende Arbeitsproduktivität und wachsendes Nationaleinkommen für gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Fortschritt ermöglichen und ökologischen Erfordernissen gerecht werden.
In der Diskussion dann prallten die Meinungen zum Teil heftig aufeinander. Gut dabei, man ging aufeinander ein, redete nicht aneinander vorbei. Etliches am Positionspapier fand Zustimmung, anderes wurde als zu schwach abgelehnt. Vorschläge kamen, wie schärfer, zwingender formuliert werden müsse. Dazu Forderungen nach Festschreibung von Grundsätzlichem: Basis Sozialismus, einheitliche Gewerkschaften, mehr Eigenständigkeit der Einzelgewerkschaften, die Schutzfunktion. Dazu du breite Spektrum gewerkschaftlicher Aufgaben: stärkere Repräsentation der Angehörigen medizinischer Bereiche im Zentralvorstand, Interessenvertretung der Frauen und Veteranen, Tariftragen, Kreisvorstände ja oder nein, Begrenzung der Funktionsdauer, keine Personalunion bei Leitungsfunktionen.
Einhellig die Ablehnung von Streiks, ebenso einhellig aber die Forderung, gesetzlich zu regeln, dass die Gewerkschaften ihren Standpunkt nicht nur artikulieren, sondern auch durchsetzen können.
Zusammenfassung der Tagung: In das Diskussionspapier sind die Hinweise und Änderungsvorschläge schnellstens einzuarbeiten, das Material an die Basis zu geben, damit es dort diskutiert werden kann. Vorschläge sind sehr willkommen. Noch im Januar 1990 soll eine außerordentliche Zentraldelegiertenkonferenz darüber endgültig beschließen.
Manfred Strzelets
Tribüne, Organ des Bundesvorstandes des FDGB, Mi. 22.11.1989
Die 10. Tagung des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Wissenschaft fand am 16.11.1989 statt.