Dokumente der 11. Tagung des FDGB-Bundesvorstandes (29. 11. 1989)

Entwurf

Was sind, was wollen die Gewerkschaften in unserer Zeit?

Zur Diskussion im FDGB in Vorbereitung des außerordentlichen Gewerkschaftskongresses

Mit Beginn der Erneuerung des Sozialismus in unserem Land haben sich Hunderttausende von Gewerkschaftern in Diskussionen und Briefen zu Wort gemeldet, um ihre Kritiken, ihre Vorschläge und ihren Willen einzubringen, einen aktiven Beitrag für eine grundlegende Wende in der Gewerkschaftsarbeit durchzusetzen. Sie alle, besonders jene etwa 10 000 Kolleginnen und Kollegen, die uns Briefe zusandten, haben an diesem Vorschlag einer Neuorientierung des FDGB mitgewirkt. Es ist unsere Absicht, dass sich ihre Gedanken und Ideen in diesem Dokument wiederfinden.

Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund will seinen aktiven Beitrag zum Erneuerungsprozess des Sozialismus leisten. Die Erneuerung in unserem Land muss unumkehrbar sein.

Inhalt und Ziel unserer Arbeit sind der Schutz und die Verwirklichung der politischen, rechtlichen, ökonomischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Interessen der Gewerkschaftsmitglieder vor allem im Arbeitsprozess.

Für die in unserem Land entstandene Situation tragen das Präsidium und das Sekretariat des Bundesvorstandes des FDGB Mitverantwortung.

Die Tatsache, dass wir der Politik der SED kritiklos gefolgt sind, dass gewerkschaftliche Vorstände und Leitungen zu eng mit den Leitungen der Partei liiert waren, schränkte die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Gewerkschaften ein. Das führte zur Krise in den Gewerkschaften und zum Vertrauensverlust bei den Mitgliedern.

Das aktive Eintreten zahlreicher gewerkschaftlicher Vorstände und Leitungen, besonders vieler ehrenamtlicher Funktionäre, für die berechtigten Interessen der Mitglieder konnte nicht öffentlich gemacht werden und war häufig erfolglos. Das führte letztlich immer mehr zur Resignation und Aufgabe eigenständiger, hartnäckig verfochtener Positionen gegenüber staatlichen Organen und Leitungen. Wenn es dennoch Interessenvertretung und gewerkschaftliche Leistungen für die Werktätigen gegeben hat, dann ist das dem unermüdlichen täglichen Wirken vieler tausender haupt- und ehrenamtlicher Funktionäre an der Basis und in den Vorständen zu danken. Diese Aktivitäten, millionenfacher Druck und Proteste sind die Grundlage und Gewähr für einen gewerkschaftlichen Neubeginn.

Jetzt gilt es, Vertrauen neu zu erwerben. Wir haben als Gewerkschaften die Pflicht und die reale Chance, mit dem Beginn der Reformen des politische Systems, der Wirtschafts- und Rechtsordnung uns den Platz und die Rechte zu sichern, die für einen um fassenden Schutz der Interessen der Gewerkschaftsmitglieder notwendig sind.

Den aktiven Einfluss der Gewerkschaften, ihre Rechte im Prozess der Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens in der DDR zu bestimmen erfordert, ein Gesetz über die Rechte der Gewerkschaften anzustreben und mit den Mitgliedern zu diskutieren. Das wird ein wichtiges Anliegen der Vorbereitung des außerordentlichen Gewerkschaftskongresses sein.

Der Inhalt dieses Gesetzes sollte das Recht gewerkschaftlicher Tätigkeit in allen Betrieben und Institutionen uneingeschränkt gewährleisten, das heißt,

- Mitbestimmung und Mitwirkung der Gewerkschaften in allen das Leben der Werktätigen umfassenden Fragen;

- die gemeinsamen Beziehungen zwischen den Leitern der Betriebe und den Gewerkschaftsleitungen auszugestalten, um auf der Basis gleichberechtigter Verhandlungen den Betriebskollektivvertrag und andere Betriebsvereinbarungen abschließen zu können;

- die Kontrollrechte der Gewerkschaften und den Schutz der Interessen aller Gruppen von Werktätigen zu regeln;

- die Klärung von Konflikten durch Beschwerde- und Schlichtungsverfahren. Demonstrationsrecht und andere gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen zu ermöglichen und

- die Beziehungen der Gewerkschaften zu Volksvertretungen, Ministerien und anderen Staatsorganen auszugestalten.

Der FDGB will eine einheitliche, freie und unabhängige Gewerkschaft sein, in der sich Arbeiter, Angestellte und Angehörige der Intelligenz unabhängig von Weltanschauung und Geschlecht vereinigen können und in dem auch neue Auffassungen über Demokratie und Sozialismus Platz haben.

Die Gewerkschaften in der DDR sind parteipolitisch nicht gebunden. Ihre politische Zielrichtung ergibt sich ausschließlich aus der Interessenvertretung ihrer Mitglieder.

Die Gewerkschaften sind für einen Staat der Demokratie und des Sozialismus, in dem friedliche Arbeit, soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit gewährleistet sind; ein Staat, in dem die Macht vom Volke ausgeht, ein Staat des Friedens und des Antifaschismus.

Der FDGB spricht sich für eine neue Verfassung aus, in der der Führungsanspruch einer Partei nicht mehr erhoben wird, aber die Position der Arbeiter und Bauern in der sozialistischen Gesellschaft der DDR klar verankert ist und die Rechte der Gewerkschaften neu bestimmt werden.

Der FDGB spricht sich für ein neues Wahlrecht aus und wird sich dafür einsetzen, dass die Gewerkschaften auch weiterhin Wirkungsmöglichkeiten in den Volksvertretungen aller Ebenen erhalten.

Die Gewerkschaften unterstützen aktiv eine Politik der Friedenssicherung und treten gegen Terrorismus und Extremismus auf.

Der FDGB ist eine Organisation der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften, deren eigenständige Tätigkeit sich im Rahmen der Satzung vollzieht. Dabei hat das Produktionsprinzip Vorrang vor dem Territorialprinzip.

Die grundlegende Erneuerung des FDGB und der in ihm vereinigten Industriegewerkschaften und Gewerkschaften ist ein schwieriger Prozess. Er erfordert ein gründliches Umdenken in der inhaltlichen und organisatorischen Arbeit des FDGB durch jeden Gewerkschafter. Das heißt aber nicht: unüberlegt, übereilt, konzeptionslos und Verzicht auf alle Prinzipien und Erfahrungen.

Charakteristisch für eine Erneuerung in der Gewerkschaftsarbeit muss sein,

- dass sich der FDGB entsprechend seinem Namen profiliert, also nach dem Verfassungsgrundsatz frei und unabhängig, einzig und allein seinen Mitgliedern gegenüber rechenschaftspflichtig ist;

- dass der FDGB die Interessen der Mitglieder umfassend, auf der Grundlage rechtlich verbindlicher Garantien, schützt und vertritt.

Die Zeit drängt. Wir müssen die große schöpferische Kraft unserer Mitglieder und Funktionäre nutzen, um mit eigenes Vorstellungen und Positionen zur Erneuerung unserer Gesellschaft beizutragen, damit die Mitglieder ihre Organisation wieder voll als Interessenvertreter akzeptieren.

Was wollen wir erreichen?

Einheit, Eigenständigkeit und Demokratie im FDGB

Die Werte und Ideale des Sozialismus, die demokratischen Traditionen der deutschen Gewerkschaftsbewegung und die humanistischen Werte unserer Gesellschaftsordnung, einschließlich christlicher Moral und Ethik, sind Leitmotive unseres Handelns.

Grundlegendes Erfordernis für die Wirksamkeit der Gewerkschaften als Interessenvertreter ihrer Mitglieder ist die Bewahrung der Einheitsgewerkschaft. Aus historischer und aktueller Sicht ist die Einheit der Gewerkschaften und das Prinzip "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft" eine zwingende Notwendigkeit. Die Spaltung der Gewerkschaften schwächt ihre Kraft, schafft Konkurrenzdenken und schmälert die gewerkschaftlichen Errungenschaften.

Eine umfassende Interessenvertretung gerade in dieser komplizierten Zeit erfordert gegenüber den staatlichen und wirtschaftsleitenden Organen Konzeptionen zu vertreten, die von den grundlegenden Bedürfnissen der Mitglieder ausgehen.

Die demokratische und eigenständige Leitung der Gewerkschaftsarbeit

Die gewerkschaftlichen Grundorganisationen sind die Basis jeder gewerkschaftlichen Aktivität, denn dort arbeiten und wirken unsere Mitglieder. In den Vertrauensleuten haben wir die größte Kraft unserer Organisation. Sie bedürfen der ständigen Unterstützung.

Die Grundorganisation bestimmt den gewerkschaftlichen Standpunkt zu allen betrieblichen Entscheidungen. Keiner darf in diese Entscheidungen eingreifen, sie aufheben, wenn sie mit dem Gesetz in Übereinstimmung stehen. Darum müssen die Grundorganisationen noch größere Rechte und Kompetenzen erhalten. Sie sollen im Rahmen der Satzung selbst entscheiden über die

- Gewerkschaftsarbeit in ihrem Verantwortungsbereich;

- inhaltliche Gestaltung des gewerkschaftlichen Mitgliederlebens und der Vertrauensleutevollversammlungen;

- Anzahl und Besetzung der ehrenamtlichen bzw. hauptamtlichen Wahlfunktionen;

- Verwendung des Teiles der Beitragseinnahmen, der in ihrer Gewerkschaftskasse verbleibt;

- Anforderungen und Themen der gewerkschaftlichen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit.

Eigenständige Industriegewerkschaften und Gewerkschaften sind Voraussetzung für eine starke unabhängige Einheitsgewerkschaft. Die Industriegewerkschaften und Gewerkschaften tragen volle Verantwortung für die Durchsetzung der Interessen der Mitglieder. Das bedeutet, dass

- auf der Grundlage eigener Grundsätze und Ziele (evtl. Satzungen) die Interessenwahrnehmung der Mitglieder eigenverantwortlich und nach den Prinzipien der innergewerkschaftlichen Demokratie geregelt, organisiert und durchgesetzt wird;

- sie über alle Fragen der Tarif, Sozial- und Umweltpolitik mitbestimmen und in dieser Eigenschaft Partner für die Ministerien, die zentralen und örtlichen Staats- und Wirtschaftsorgane sind;

- durch die Neuordnung der Finanzarbeit zugunsten der Basis (Grundorganisationen und Kreisvorstände) die Finanzverantwortung auf der Grundlage eines Haushaltsplanes wahrgenommen wird;

- die Verantwortlichkeiten und Kompetenzen zwischen den Vorständen des FDGB und der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften klar abgegrenzt werden und sie die direkten Partner der Grundorganisationen sind;

- sie selbständig die internationale Gewerkschaftsarbeit und die Gewerkschaftsarbeit mit ausländischen Werktätigen organisieren.

Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund ist das gemeinsame Haus, in dem alle Industriegewerkschaften und Gewerkschaften als tragende Säulen bei Verwirklichung der beruflichen und sozialen Interessen ihrer Mitglieder wirken.

Die territorialen Vorstände des FDGB vertreten die gemeinsamen ökonomischen, sozialen und geistig-kulturellen Interessen im jeweiligen Territorium gegenüber den örtlichen Räten. Dazu gehört u. a., dass sie

- Vorschläge unterbreiten und Forderungen vertreten zu Versorgungsaufgaben, besonders auf den Gebieten der Arbeiterversorgung, Berufsverkehr, gesundheitliche und soziale Betreuung und Umweltschutz;

- die Anleitung der Sozialversicherung und des Feriendienstes, die Kultur- und Bildungsarbeit, die Rechtsberatung, die Finanzarbeit und die internationale Tätigkeit wahrnehmen;

- den Abschluss von Kommunalverträgen zwischen den Betrieben und örtlichen Räten aus der Sicht der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften unterstützen;

- die Realisierung der den Räten unterbreiteten Vorschläge und Forderungen kontrollieren und eng mit den Fraktionen der Volksvertretung zusammenarbeiten;

- für die Arbeit mit den vom FDGB nominierten Abgeordneten verantwortlich sind.

Der Bundesvorstand des FDGB

- vertritt die gemeinsamen Interessen der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften gegenüber der Regierung,

- sichert die inhaltliche Anleitung der Arbeit der territorialen Vorstände des FDGB und koordiniert die der Industrie­gewerkschaften und Gewerkschaften;

- plant und leitet die Finanzarbeit, den Feriendienst (einschließlich der jährlichen Aufschlüsselung der Plätze auf die IG/Gew.), leitet die Sozialversicherung und den Arbeitsschutz;

- plant und leitet die internationale Tätigkeit des FDGB, die sich aus den Beziehungen zu nationalen Gewerkschaftsbünden und deren internationalen und regionalen Vereinigungen ergibt.

Gewerkschaftliche Mitwirkung an der Entwicklung der Volkswirtschaft

Die Gewerkschaften gehen davon aus, dass die Erneuerung in der DDR nur mit einem stabilen und dynamischen Wirtschaftswachstum denkbar ist und unterstützen eine Wirtschaftsreform, die das Leben für alle Bürger in ihrer Heimat attraktiver macht und den Bedürfnissen besser Rechnung trägt.

Wir halten es für erforderlich,

- die Vollbeschäftigung für alle arbeitsfähigen Bürger zu gewährleisten;

- materielle Voraussetzungen für soziale Sicherheit zu schaffen;

- Entscheidungen über Strukturveränderungen in der Volkswirtschaft und bei Investitionen, so bei Förderung und Bildung neuer Eigentumsformen, nur unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Interessen des einzelnen, der Kollektive und der Gesellschaft zu treffen;

- Formen und Möglichkeiten echter Mitbestimmung der Werktätigen und ihrer Gewerkschaften bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu schaffen;

- eine reale Planung auf der Grundlage der in jedem Betrieb vorhandenen materiellen Basis und des Arbeitsvermögens zu ermöglichen, die den Betrieben Spielraum für eigene Entscheidungen lässt;

- die Bereitschaft aller - vom Arbeiter bis zum Leiter - zu fördern, mit neuen Gedanken und Ideen die Effektivität des Produktionsprozesses zu verbessern und das Potential unserer Volkswirtschaft voll auszuschöpfen;

- die wissenschaftliche Arbeit in allen Bereichen der Forschung zu fördern und hohe Anreize für Ingenieure, Wissenschaftler und Erfinder sowie für jedes Schöpfertum zu gewähren;

- darauf zu drängen, dass die individuellen und kollektiven Bedürfnisse der Werktätigen nach vielseitiger Bildung und Weiterbildung, vor allem für ihre berufliche Tätigkeit und ihre demokratische Mitarbeit am Erneuerungsprozess, erfüllt werden;

- uns von formalen Vorgaben und Herangehensweisen zu trennen im Wettbewerb, in der Neuerer- und MMM-Arbeit sowie bei der gewerkschaftlichen Stellungnahme zum Plan.

Gewerkschaftliche Grundpositionen zur Verwirklichung des Leistungsprinzips

Die Gewerkschaften treten konsequent dafür ein, das Leistungsprinzip uneingeschränkt durchzusetzen, und erwarten, dass dafür durch die verantwortlichen staatlichen Organe und Leiter alle erforderlichen Bedingungen geschaffen werden. Es ist die wichtigste Grundlage für das Lebensniveau der Werktätigen.

Die Gewerkschaften treten für eine dynamische Einkommenspolitik und begründete Einkommensrelationen zwischen den Beschäftigten in allen Bereichen der Volkswirtschaft ein. Sie sind für eine Lohn- und Tarifreform, die schrittweise vorzubereiten und durchzuführen ist. Grundsätze dafür sind:

- steigende Leistungen führen zu steigenden Einkommen;

- mangelhafte Arbeit muss sich in der Lohntüte niederschlagen;

- stärkere Differenzierung des Einkommens nach Qualifikation und Verantwortung;

- eigene Verantwortung der Betriebe für einen leistungssteigernden Einsatz des Lohnfonds;

- flexible Gestaltung von zusätzlichen Stimulierungen, z. B. Prämien in den Betrieben in Abhängigkeit vom Betriebsergebnis;

- Veränderungen der dem Leistungsprinzip widersprechenden steuerlichen Regelungen durch eine Lohnsteuerreform;

- Anhebung der Mindesteinkommen;

- Neuordnung der Tarifverträge für Beschäftigte in privaten Handwerks- und Gewerbebetrieben nach gleichen Grundsätzen wie in der volkseigenen Wirtschaft;

- öffentliche Darlegung vorgesehener Lohnmaßnahmen.

Gewerkschaften und betriebliche Arbeits- und Lebensbedingungen

Die Gewerkschaften treten konsequent dafür ein, dass mit der Anwendung moderner Technik und Technologien und im Interesse der Durchsetzung des Leistungsprinzips eine generelle Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen gesichert wird.

Die Gewerkschaften wollen, dass von den betrieblichen Leitungen im BKV Maßnahmen vereinbart werden, die die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen sichtbar verbessern und eine absolute Reduzierung der Arbeitserschwernisse bewirken sowie das Niveau der betrieblichen Sozialpolitik spürbar erhöhen. Der Bundesvorstand schlägt deshalb die Ausarbeitung neuer Grundsätze zum BKV, als dem grundlegenden Dokument zwischen staatlichem Leiter und Betriebsgewerkschaftsleitung, vor.

Zur Verwirklichung des Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzes besteht der FDGB auf der vollen Wahrnehmung dieser Verantwortung durch die staatlichen Leiter und nimmt Rechte zur Kontrolle der Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen wahr.

Dazu fordern wir im einzelnen:

- Erschwernisse, Gefährdungen sowie Unfallrisiken mit größerer Konsequenz und bei Offenlegung der belastenden Messdaten abzubauen und damit das Leben und die Gesundheit der dort Tätigen zu schützen;

- eine stabile bedarfs- und qualitätsgerechte Versorgung der anspruchsberechtigten Werktätigen mit Arbeitsschutzbekleidung und -mitteln durch die Regierung zu sichern;

- die umfassende Schaffung von Bedingungen für eine gesunde Lebensweise und die Erhöhung der eigenen Aktivität zur Gesunderhaltung;

- Luft und Wasser, Grund und Boden rein zu halten, Abprodukte besser zu verwerten und geordnete Deponien unter öffentlicher Kontrolle einzurichten.

Die sachkundige gewerkschaftliche Mitwirkung stützt sich auf die Gemeinschaftsarbeit zwischen Produktionsarbeitern, Wissenschaftlern, Ärzten, Ingenieuren und Sicherheitsfachkräften des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie auf Bürgerinitiativen zum Umweltschutz.

Gewerkschaftliche Forderungen zur Sicherung und Entwicklung des Lebensniveaus unserer Mitglieder

Die Gewerkschaften treten dafür ein, dass die berechtigten Interessen der Werktätigen geschützt und nicht einfach ökonomischen Zwängen untergeordnet oder geopfert werden. Darunter verstehen wir, dass

- bei der weiteren Gewährleistung der sozialen Sicherheit der Grundversorgung der Bevölkerung und dem Wohnen der Vorrang eingeräumt wird;

- durch Leistung erworbenes Einkommen entsprechend den wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung verwendet werden kann;

- bei Korrekturen der Subventionen und Preise das Realeinkommen gesichert wird. Dazu ist ein Ausgleich über Löhne, Renten, Stipendien und Kindergeld zu gewähren. In diesem Prozess sind das Leistungsprinzip, die gesellschaftlichen Fonds und der Schutz des Binnenmarktes mit zu beachten;

- bei der Vorbereitung von Entscheidungen über sozialpolitische Maßnahmen die Bürger rechtzeitig einbezogen werden.

Wir fordern ein Kontrollrecht der Gewerkschaften in der Preis- und Subventionspolitik.

Die Gewerkschaften bekennen sich im Interesse ihrer Mitglieder zu ihrer Verantwortung für mehr und bessere Möglichkeiten für Freizeit und Erholung.

Vorrangig sollen die Bedingungen der Werktätigen im mittleren Lebensalter verbessert werden. In diesem Zusammenhang stellen wir folgende Forderungen zur Diskussion:

- die weitere schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche als eine weitsichtige gewerkschaftliche Grundforderung zu berücksichtigen und sie für weitere Werktätige unter Beachtung der Arbeitsjahre und der Schwere der Arbeitsbedingungen zu gegebenem, ökonomisch vertretbarem Zeitpunkt in Aussicht zu stellen;

- die Prüfung der Verlängerung des Grundurlaubs in Abhängigkeit von den Arbeitsjahren, auch Treueurlaub;

- die Gewährung von arbeitsbedingtem Zusatzurlaub für gleiche oder vergleichbare Tätigkeiten in gleicher Höhe.

Gewerkschaftliche Kulturarbeit ist eng mit der gesellschaftlichen Erneuerung des Sozialismus zu verbinden. Die Gewerkschaften setzen sich für eine Kultur- und Freizeitgestaltung ein, die von den realen und sich weiter differenzierenden Bedürfnissen der Menschen ausgeht und von ihnen selbst bestimmt und mitgestaltet wird. Das betrifft die Kultur der Arbeit und Arbeitsumwelt ebenso wie kulturvolle menschliche Beziehungen. Dazu gehört die Pflege und Aneignung des kulturellen Erbes, die Entfaltung der Künste und ihre gesellschaftliche Wirksamkeit sowie die Förderung der schöpferischen Fähigkeiten und Begabungen im Volk.

Die Gewerkschaften müssen noch wirksamer dazu beitragen, die Bedürfnisse der Werktätigen nach Erholung und niveauvoller Freizeitgestaltung zu erfüllen und so die Lebensqualität zu erhöhen. Die Einrichtungen des Feriendienstes und die gewerkschaftlich geleiteten Kulturhäuser und Bibliotheken sollten auf das Effektivste im Interesse der Mitglieder genutzt werden. Das gut auch für die vollständige Auslastung der betrieblichen Erholungseinrichtungen und der Betriebskinderferienlager.

Die Gewerkschaften unterstützen alle Bestrebungen zur Ausprägung der gesunden Lebensweise. Sie sehen in sportlicher Betätigung einen notwendigen Ausgleich zur Arbeit und treten dafür ein, dass der Massensport in der Praxis bessere Bedingungen sowie die erforderliche gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhält.

Der einheitliche gewerkschaftliche Feriendienst bleibt erhalten. Wir gehen davon aus:

- Die Verteilung der Reisen wird nach neuen Gesichtspunkten organisiert. In der Zeit der Schulferien und den Sommermonaten ist eine Kontingentierung notwendig. Das Prinzip des freien Angebots und der freien Auswahl gilt für die übrigen Reisezeiten. Dabei helfen die wieder einzurichtenden Vermittlungsstellen.

- Der internationale Urlauberaustausch ist auf valutaloser Basis auch mit Partnern des nichtsozialistischen Auslands zu entwickeln.

- Der weitere Ausbau der materiellen Basis des Erholungswesens der Gewerkschaften ist durch staatliche und gewerkschaftliche Mittel zu fördern und damit wesentliche Qualitätsverbesserungen zu erreichen.

- Die Finanzierung der Zuschüsse für den Feriendienst sollte wie bisher anteilig aus dem Staatshaushalt und dem Haushalt des FDGB erfolgen.

Mitwirkung der Gewerkschaften bei der weiteren Ausgestaltung der Rechtsordnung und der Erhöhung der Rechtssicherheit

Die Gewerkschaften setzen sich für eine hohe Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit und für die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ein. Sie unterstützen die Tätigkeit der Konfliktkommissionen. Die Gewerkschaften sind für eine umfassende Rechts- und Verwaltungsreform, die sich in einem demokratischen Prozess. unter Mitarbeit der Gewerkschaften vollziehen muss. Die Gewerkschaften organisieren eine breite Diskussion zur Überarbeitung des Arbeitsgesetzbuches. Sie werden ihre Vorstellungen dazu einbringen. Besonderer Beachtung bedarf eine gesetzliche Regelung zur Lösung von Arbeitskonflikten.

Die Gewerkschaften werden weiter die Leitung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten garantieren, deren demokratische Strukturen durch die Wahl von Räten für Sozialversicherung verbessern, die Rechenschaftslegung über den Haushalt der Sozialversicherung zugänglich machen. Die Rechtsprechung im Sozialversicherungsrecht wird vervollkommnet.

Die Gewerkschaften setzen sich für die Schaffung einer geschlossenen Sozialgesetzgebung ein, die alle bisherigen, auf diesem Gebiet getroffenen Beschlüsse und Verordnungen zusammenfasst. Dabei ist die soziale Sicherheit aller Bürger zu gewährleisten. Eine Rentenreform, ein neues, durch die Volkskammer zu beschließendes Rentengesetz sollte konsequent das Leistungsprinzip berücksichtigen und die Renten an die Höhe des erzielten Einkommens und die gezahlten Beiträge binden. Die für einzelne Personenkreise bestehenden Altersversorgungen müssen vereinheitlicht und diesem Prinzip angepasst werden.

Fleißige Arbeit und hohe Leistungen für die Gesellschaft sind stärker als bisher bei der Gestaltung des Rentenrechts zu berücksichtigen. Die Anpassung der Renten an ein verändertes Preisgefüge ist zu gewährleisten. Es sind bessere gesetzliche Regelungen für die Betreuung älterer pflegebedürftiger Familienangehöriger wie für die ausreichende soziale Sicherstellung alleinstehender Rentner zu finden.

Es ist die Schaffung eines sozialen Ausgleichsfonds zu prüfen, der jedem Bürger die soziale Sicherheit gewährleistet, wenn Strukturveränderungen und damit verbundener Arbeitsplatzwechsel besondere Maßnahmen erfordern.

Einer generellen Veränderung bedarf die Arbeit mit den jungen Mitgliedern. Wir wollen für alle Lehrlinge, jungen Facharbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz eine Organisation sein, die ihre Interessen wirksam vertritt.

Wir setzen uns ein für eine hohe Qualität der Berufsausbildung der Lehrlinge. Der Berufswettbewerb in und zwischen den Lehrlingskollektiven ist nur zu führen, wenn dazu zwischen dem Lehrlingskollektiv, dem Direktor und der gewerkschaftlichen Leitung der Ausbildungsstätte Übereinstimmung besteht.

Die Gewerkschaften setzen sich für die Interessen und spezifischen Anliegen der berufstätigen Frauen und Mütter ein. Sie nutzen ihre gesetzlichen Befugnisse, Vorschlags- und Kontrollrechte, damit

- die gleichberechtigte Stellung der Frauen im Arbeitsleben und in der Gesellschaft weiter gefestigt;

- das Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen abgebaut;

- Hemmendes für das Ausschöpfen des Leistungsvermögens und eine größere Repräsentanz von Frauen in Wissenschaft und wirtschaftsleitenden Funktionen überwunden sowie

- die Verantwortung des Vaters bei der Erfüllung familiärer Pflichten erhöht wird.

In diesem Sinne gilt es, bestehende gesetzliche Bestimmungen zum Arbeitsrecht und zur Sozialpolitik zu überprüfen und neu zufassen. Gleichzeitig erwarten die Gewerkschaften, dass die Leistung der rund 3 Millionen Frauen in solchen volkswirtschaftlichen Bereichen wie Handel, Dienstleistungen, Post- und Fernmeldewesen, Volksbildung, Gesundheits- und Sozialwesen, Konsumgüter- und Nahrungsmittelindustrie und anderen entsprechend ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung für die Verbesserung des Lebens aller Werktätigen neu bewertet wird. Das schließt konkrete Festlegungen zur vorrangigen Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, zur Lohn- und Tarifpolitik u. a. ein.

Internationale gewerkschaftliche Arbeit und Solidarität

In seiner internationalen Arbeit tritt der FDGB für die Verständigung und Zusammenarbeit aller Gewerkschaften der Welt ein in dem gemeinsamen Ringen für die Bewahrung des Friedens, für sozialen Fortschritt und demokratische Rechte, für die Durchsetzung der Interessen der werktätigen Menschen.

Er wirkt weiter aktiv in den Reihen des Weltgewerkschaftsbundes.

Wesentliches Anliegen bleiben die freundschaftlichen Beziehungen zu den Gewerkschaften der sozialistischen Länder, wobei die vielfältigen neuen Formen und Möglichkeiten der Begegnung von Werktätigen und Arbeitskollektiven, wie sie im Prozess. der Umgestaltung entstehen, stärker in den Mittelpunkt rücken.

Der FDGB setzt seine traditionelle internationalistische Solidarität fort. Sie gilt den Werktätigen und Gewerkschaften in allen Teilen der Welt, die für ihre Rechte und Interessen kämpfen, besonders jenen, die sich in Not befinden.

Ein zu berufendes gewerkschaftliches Solidaritätskomitee legt künftig vor dem Bundesvorstand Rechenschaft ab über die sich aus den monatlichen Spenden der Mitglieder ergebenden Solidaritätsmittel, ihre Verwaltung und Verwendung und sichert, dass die Öffentlichkeit über die Solidaritätsleistungen informiert wird. Vor allem wollen wir einen größeren Anteil des Solidaritätsaufkommens unseren Veteranen der Arbeit, den Behinderten und sozial am schwächsten Gestellten in der DDR zur Verfügung stellen.

Zur gewerkschaftlichen Finanzarbeit

Die Mitgliedsbeiträge sind auch künftig das Fundament zur Finanzierung der gewerkschaftlichen Aufgaben.

Der Haushalt des FDGB ist nach den Prinzipien strengster Sparsamkeit und wirkungsvoller ökonomischer Kriterien neu zu gestalten. Der Verwaltungsaufwand ist erheblich zu senken.

Die öffentliche Rechenschaftslegung über den Einsatz und die Verwendung der Mittel erfolgt

- jährlich in den Mitgliederversammlungen der gewerkschaftlichen Grundorganisationen;

- halbjährlich in den Tagungen der Zentralvorstände der IG/Gew., der Kreis-und Bezirksvorstände des FDGB sowie des Bundesvorstandes des FDGB.

Für die Entwicklung der Finanzarbeit wird vorgeschlagen,

- mit der Satzung des FDGB eine neue Beitragsordnung zu erarbeiten, die übersichtlich und eindeutig die Grundlagen für die Beitragszahlung festlegt. Es ist zu prüfen, ob eine Beitragszahlung auch auf dem Nettolohnprinzip vorgenommen werden kann;

- dem FDGB-Kongress eine Neuregelung gewerkschaftlicher satzungsmäßiger Leistungen zu empfehlen;

- allen gewerkschaftlichen Grundorganisationen einen einheitlichen Anteil aus den Beitragseinnahmen zur Verfügung zu stellen, über dessen Verwendung einschließlich der satzungsmäßigen Leistungen sie eigenständig entscheiden.

Wie weiter bis zum Kongress?

Das vorliegende Dokument ist eine Diskussionsgrundlage für die Rolle und den Platz der Gewerkschaften im Erneuerungsprozess unserer Gesellschaft. Wir rufen alle Mitglieder, Vorstände und Leitungen auf, ausgehend von der konkreten Lage ihre Ideen und Vorschläge zu den Positionen des Bundesvorstandes des FDGB zu diskutieren und uns zu übergeben.

Tribüne, Beilage, 01.12.1989

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