Die DDR-Gewerkschaft - eine außerparlamentarische Kraft

Wirtschaftsaufschwung plus Sozialkahlschlag, Valuta plus Drittelgesellschaft und keine Alternative? Die UZ sprach mit Prof. Dr. Karin Schießl, Vizevorsitzende des FDGB.

UZ: Wie sieht der FDGB seine künftige politische Arbeit in der DDR?

Prof. Schießl: Wir haben uns bewusst auf außerparlamentarische Arbeit eingerichtet und vor der Wahl bereits mit Parteien, mit möglichen Regierungsparteien verhandelt, um Chancen möglicher Zusammenarbeit und eventuell notwendige Abgrenzungen abzuklopfen.

UZ: Um weiche Inhalte ging es dabei?

Prof. Schießl: Wir haben uns im Sinne einer Rechtsangleichung für eine neue Verfassung, für ein neues Arbeitsgesetzbuch, für ein Betriebsverfassungsgesetz, in denen die Rechte der Gewerkschaften so festgeschrieben sind, dass für die Gewerkschaften beider Staaten und für eine mögliche Einheitsgewerkschaft mehr Mitbestimmung, mehr soziale Sicherheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Solidarität herauskommt als 1 + 1 = 2. Wir haben gewerkschaftliche Rechte einzubringen – wenn sie auch nicht immer ausgefüllt wurden -, von denen andere Gewerkschaften nur Träumen können.

UZ: Die Regierungskoalition wird von einer rechtskonservativen Mehrheit geführt.

Prof. Schießl: Es wäre meiner Meinung nach Falsch das Wahlergebnis als einen Umbruch zu werten. Die DDR Wähler sind in einem Lernprozess. Sie müssen erst Erfahrungen sammeln, dass Wahlversprechen das eine und ihre Einhaltung nach der Wahl etwas anderen ist. Wir, die Gewerkschaften, müssen durch den Zusammenschluss aller Kräfte das Höchstmögliche für die Arbeitenden sichern. Dazu ist uns die Zusammenarbeit mit allen Parteien recht, die auch nur ansatzweise dazu bereit sind. Zwei Parteien würde ich davon ausnehmen. Die DSU, die solche Ansätze nicht erkennen lässt, und den DA, der ohne Pardon für einen Anschluss der Gewerkschaft nach Grundgesetz Artikel 23Artikel 23 eintritt und die Initiative "DGB jetzt" ergriffen hat.

UZ: Wie steht der FDGB zur Opposition?

Prof. Schießl: Mit Parteien und Gruppen der Opposition haben auch Gespräche stattgefunden Dabei haben sich viele Gemeinsamkeiten heraus gestellt. Da ist die gemeinsame Sorge um die soziale Sicherheit, im die Realisierung der Sozialcharta, das gemeinsame Interesse an der errungenen Demokratie und den Ergebnissen der friedlichen Revolution. Im Sinne dieser Gemeinsamkeiten wird gemeinsame Arbeit zu prüfen und zu organisieren sein.

Wir beginnen diese gemeinsame Arbeit ja nicht erst nach der Wahl. Vor der Wahl haben mir am zentralen "Runden Tisch" vereint vieles vollbracht, was noch in die Arbeit der künftigen Regierung eingehen muss: Sozialcharta, Gleichstellung der Geschlechter, Gewerkschaftsgesetz . . .

UZ: Der zentrale "Runde Tisch" hat seine Arbeit eingestellt. Wird nicht eine solche Institution unmittelbarer Demokratieausübung - eventuell als Klammer von parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit – fehlen?

Prof. Schießl: Wir bedauern sehr, dass die Arbeit am zentralen "Runden Tisch" zu Ende gegangen ist, ohne dass wir beschlossen haben, einen gesamtdeutschen "Runden Tisch" zu schaffen. Wir, die Gewerkschaften, haben diesen Vorschlag mehrfach eingebracht. Die Gewerkschaften der BRD sind darauf nicht eingegangen. Wenn wir das gemeinsam vorgeschlagen hätten, hätten wir das bewerkstelligen können.

UZ: Errungenschaften der demokratischen Bewegung der DDR seit dem 1. Februar – Streikrecht, Aussperrungsverbot - stehen unter starkem Beschuss. Wie hält man den stand?

Prof. Schießl: Die Errungenschaften kann man nur retten, wenn die Gewerkschaften innerhalb ihrer Organisation einheitlich vorgehen und sich mit starken Kräften, die diese Demokratie erhalten wollen, in unserem Land und im DGB verbünden.

Ich habe mit großer Aufmerksamkeit die Bundestagsdebatte zu unserem Gewerkschaftsgesetz verfolgt. Vieles läuft darauf hinaus, die Gewerkschaften zu schwächen. Der riesige Einfluss, den das große Kapital ausübt, hat bewirkt, dass künftige DDR-Regierungsparteien eine Betriebsverfassungsgesetzgebung erarbeiten, in der die Rechte der Arbeitenden und Gewerkschaften beschnitten werden. Es tut mir weh, dass nicht alle Gewerkschafter und Gewerkschaftsleitungen das durchschauen und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Sie sind nach 40jähriger zentralistischer Unterdrückung noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Nichtsdestowenigertrotz müssen wir alles tun, um mit allen Kräften bei uns und im DGB für die Erhöhung der Rechte der Gewerkschaften im Betrieb zugunsten der Interessenvertretung der Arbeitenden zu kämpfen. Wir sollten uns möglichst noch vor der Währungsunion zusammentun: die Industriegewerkschaften beider Staaten - in denen der Prozess in vollem Gang ist - und die Dachverbände DGB und FDGB, um uns zu wappnen.

Das Gespräch führte Werner Finkemeier

unser zeit, Fr. 06.04.1990

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