ÖTV-Fusion stärkt gewerkschaftliche Kampfkraft für Interessenwahrung

Kein Ausspielen Ost - West

Fragen an Wilhelm Kuhn, Sekretär der Bezirksleitung Nordwest der ÖTV, Kiel

• Wird es auch bald in Rostock eine ÖTV geben?

Ein Beratungsbüro gibt es dort schon, und ist am 9. Juni in Magdeburg die ÖTV DDR gegründet, folgt die Küste mit einer Geschäftsstelle in der Hansestadt. Ziel ist jedoch eine Fusion der ÖTV West und Ost. Im Küstenbezirk besteht dafür inzwischen großes Interesse im gesamten künftigen ÖTV-Bereich. Diese Gemeinsamkeit vergrößert natürlich bedeutend unsere gewerkschaftliche Kampfkraft.

• Ist es richtig, auch Hochschulen Iiebäugeln mit euch?

Das stimmt, und täglich mehr zeigt sich das Interesse hiesiger Hochschulangehöriger an einer starken, einheitlichen Gewerkschaftsorganisation der ÖTV. Langsam werden nämlich die Größenordnungen anstehender Probleme deutlicher. Dafür wollen die Wissenschaftler, Ärzte und Schwestern, auch die Laboranten die kampfstarke ÖTV an ihrer Seite wissen.

• Ist ein Konzept zur Hand?

Mit der Gründung der DDR-ÖTV wollen wir den Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, sich gewerkschaftlich neu zu organisieren. Sicherlich braucht Interessenwahrung Gemeinsamkeit, sprich Abstimmung und Zielvorgabe, eben Konzepte. Wer handlungsfähig sein will, muss nämlich um seine Partner und Möglichkeiten wissen. Zu allen Bereichen des Sozial- und Tarifrechts bieten wir deshalb Schulungsveranstaltungen mit BRD-Praxiserfahrungen an. Die ersten Schulungen sind bereits über die Runden, alle gut besucht.

• In den benachbarten Küstenregionen sind Schifffahrt, Transport und Kliniken angesiedelt, doch unterschiedlich sind die Löhne. Können Unternehmer nicht Ost- gegen West-Werktätige ausspielen?

Das ist die Gefahr besser: reale Existenz. Unternehmer wollen und müssen Profit machen und nutzen dazu das vorerst bestehende Lohngefälle zwischen West und Ost. Folglich ist eine der wichtigsten, aber zugleich schwierigsten Aufgaben, bestehende Tarifabkommen nicht unterlaufen zu lassen. Zum anderen, mit höherer Arbeitsproduktivität schneller zu höheren Löhnen in der DDR zu kommen (die öffentlichen Dienste dabei nicht abkoppeln). Untere Stärke für ein solches Ziel ist und bleibt unsere gewerkschaftliche Solidargemeinschaft.

• Der Staatsvertrag beschert der DDR das Betriebsverfassungsgesetz, somit auch Betriebsräte. Doch nicht überall bestehen hierzulande schon diese Räte. Was rät die ÖTV West?

Voraussetzung für die Aufgabenlösung ist die Interessenvertretung, die - so sagen wir aus Erfahrung - vom Vertrauen aller getragen sein muss. Ich selbst halte es für wichtig, dass man für die Zukunft handelt und dafür schon heute die richtigen Betriebsräte aufbaut. Räte, die von der ganzen Belegschaft akzeptiert werden. Bis nur Wahl sollten arbeitsfähige BGL weiter "amtieren". Sie sollten auch möglichst mit der Betriebsleitung sofort eine Vereinbarung zur sozialen Absicherung unter Dach und Fach bringen. Soweit unser ÖTV-Ratschlag zu dieser aktueller, Lage.

Günther Schröder

Tribüne, Nr. 98, 23.05.1990

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