Die ÖTV hat sich gut vorbereitet
Auskunft gibt Werner Ruhnke, Leiter des DDR-Informations- und Beratungsbüro der ÖTV
Die Gewerkschaftseinheit zum 1. 11. 1990 ist beschlossene Sache und entspricht dem Wunsch der Mehrheit der Mitglieder der Gewerkschaft Öffentliche Dienste. Wie das im einzelnen vor sich geht, wie und in welchen Formen der Interessenvertretung künftig gewährleistet wird, ist vielen noch unklar.
• Wie ist die ÖTV auf den Ansturm der neuen Mitglieder aus der DDR vorbereitet?
Die Interessenvertretung der Mitglieder erfolgt am wirkungsvollsten über die Betriebe und Verwaltungen. Dort werden Vertrauensleute und Personalräte gewählt, die in Seminaren für ihre neue Arbeit qualifiziert werden müssen. Ab dem 1. November 1990 werden auf schnellstmöglichem Weg ÖTV-Kreisvorstände in der DDR gewählt. Die existierenden Beratungsstellen nehmen zunächst die Aufgaben von Kreisgeschäftsstellen wahr. Dort wird der Rechtsschutz, die Bildungsarbeit und die Mitgliederbetreuung organisiert. Schon vor dem 1. 11. 1990 werden auf der Ebene der Beratungsbüros Organisationsausschüsse aus Vertretern der DDR-Gewerkschaften, der ÖTV in der DDR und der Gewerkschaft ÖTV zur Vertretung gemeinsamer Interessen gebildet.
• Viele Mitglieder interessiert, ob die bisherige gewerkschaftliche Mitgliedschaft voll anerkannt wird.
Die bisherige Mitgliedschaft in einen DDR-Gewerkschaft wird anerkannt. Zu den satzungsgemäßen Leitungen gehören unter anderem der Rechtsschutz, die Unterstützung bei Streik und in außergewöhnlichen Notlagen. Mit welchen Leistungen die Kolleginnen und Kollegen rechnen können, darüber entscheidet ein außerordentlicher Gewerkschaftstag, an dem auch Vertreter aus der DDR beteiligt sein werden.
• Ist damit auch automatisch die Übernahme bundesdeutscher Tarife verbunden?
Höchste Priorität muss eine tarifpolitische Initiative zur Sicherung von Arbeitsplätzen und eine Mischung von Einkommenssicherung und Qualifizierungsmaßnahmen haben. Ziel der Einkommenspolitik muss die schrittweise Angleichung der DDR-Gehälter an Einkommensstrukturen und -niveau der Bundesrepublik sein. Ein Automatismus für die Übernahme bundesdeutscher Tarife existiert nicht.
• Es werden Befürchtungen geäußert, die ÖTV sei nur an "zahlenden Mitgliedern" interessiert. Gibt es auch eine Seniorenarbeit?
Wer aus dem Berufsleben ausscheidet, kann selbstverständlich Gewerkschaftsmitglied bleiben. In der ÖTV gibt es eine rege Seniorenarbeit. Über Wege, wie die engagierte Gewerkschaftsarbeit unter Senioren der GÖD aufrecht erhalten werden kann, sollte unbedingt nachgedacht werden.
• Die Übernahme der Mitglieder in die ÖTV erfolgt über den Einzeleintritt?
Ja. Jede(r) einzelne Kollege(in) entscheidet sich ganz persönlich, ob sie/er Mitglied der ÖTV werden will und erklärt individuell zum 1. November 1990 seinen Eintritt. Dies entspricht unseren gewerkschaftlichen Grundverständnis.
Tribüne, Fr. 31.08.1990