Mitarbeit an Rezepten erwünscht
Gewerkschaft Gesundheitswesen: Wir haben Sofortmaßnahmen angeboten, aber noch nicht alle Rezepte gefunden
Ohne heiße Diskussionen läuft heutzutage nichts mehr. Auch nicht auf dieser Zentralvorstandstagung der Gewerkschaft Gesundheitswesen. Dennoch: Vor allen Debatten steht der Dank an die Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialwesen für ihre aufopferungsvollen Leistungen zum Wohle der Patienten, im Interesse der Kinder in den Krippen, der alten Leute in Feierabend- und Pflegeheimen. Denn fast überall fehlen Arbeitskräfte, die Überstunden wachsen.
Die Vorsitzende des Zentralvorstandes OMR Dr. Elfriede Gerboth spricht über den Vertrauensverlust des FDGB generell, aber auch in der eigenen Gewerkschaft. "Es geht um eine grundsätzliche Veränderung in der Arbeit unserer Gewerkschaft", ist ihr Standpunkt. Und: "Wir wollen wieder eine wirkliche Berufsgewerkschaft werden." Dazu gehören Tarifhoheit unserer Gewerkschaft, Mitspracherecht in der sozialen Entwicklung der Einrichtungen über konkrete Verträge mit den staatlichen Leitern, bei der Erarbeitung des Planes, die Vertretung der Interessen aller Mitglieder. "Wir sind für ein einheitliches Gesundheitswesen mit einheitlichen Tarifen und sozialen Leistungen", erklärte die Vorsitzende. Eine Forderung, die sich im "Brief an die Mitglieder" des Sekretariats des Zentralvorstandes und der Bezirksvorstände vom 6. 11. 89 widerspiegelt.
"Es ist paradox, dass die Ärzte am meisten verdienen, die am weitesten von der Basis entfernt sind", äußert Dr. B(...) vom Medizinischen Dienst des Verkehrswesens. Endlich gravierende Lohn- und Gehaltsunterschiede zu beseitigen, ist eine allgemeine Forderung. "Und dabei auch nicht die Mitarbeiter in der Anmeldung oder den Fahrstuhlführer im Krankenhaus vergessen", argumentiert Bernd P(...) vom Kreisvorstand Weißwasser. Jens H(...) aus Lauchhammer meldet ein unsinniges Anwachsen der Arbeits- und Tauglichkeitsuntersuchungen an.
"Ein Jugendlicher zum Beispiel wird vor und nach Schulabschluss mehrmals untersucht." Vorschlag: Einmal jährlich Untersuchung und Eintrag In den SV-Ausweis. Ute E(...) vom Bezirksvorstand Schwerin spricht sich wie andere auch für eine außerordentliche Zentraldelegiertenkonferenz aus und dafür, dass die Mitglieder selbst entscheiden, wer außer dem Vertrauensmann in der Gruppe noch gewählt wird. Kein Redner, der nicht Vorschläge in die Debatte einbringt: zu FDGB-Ferienplätzen und Urlaubsgestaltung, der 40-Stunden-Arbeitswoche (beginnend 10 Jahre vor dem Rentenalter?), den Umweltbelastungen im Kreis Pirna, der Eigenständigkeit der Gewerkschaft gegenüber Partei und Staat. Der Zentralvorstand unterbreitet ein Angebot an Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und nichtmedizinische Hochschulkader, zu ihrer Interessenvertretung Fachgruppen innerhalb der Gewerkschaft zu bilden, wie sie vor 1968 bestanden haben.
Die Tagung beschließt ein Forderungspapier, das bis zum einheitlichen Rentenrecht reicht und dem FDGB-Bundesvorstand übergeben wird.
Edith Hofmann
Tribüne, Organ des Bundesvorstandes des FDGB, Mi. 22.11.1989