Gewerkschafts-Chefin Helga Mausch zu sozialen Fragen:

Recht muss auch Recht bleiben

• Kollegin Mausch, Frau Minister Hildebrandt äußerte sich in der gestrigen Ausgabe zu sozialen Fragen. Wie ist deine Meinung dazu?

Wir stimmen in unseren Auffassungen darin überein, dass das Recht auf Arbeit und Arbeitsförderung gesichert sein muss. In erster Linie brauchen wir Möglichkeiten neuer Beschäftigung, wenn Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Dazu gehören umfassende soziale Sicherungen für von Arbeitslosigkeit Betroffene, z. B. die Schaffung einer Arbeitslosenversicherung.

Unverständlich ist mir allerdings die Aussage, wie man von Seiten der Regierung einerseits am Recht auf Arbeit festhält, andererseits jedoch Arbeitslosigkeit als natürliches Element der Marktwirtschaft betrachtet. Wir sehen natürlich auch, dass Arbeitslosigkeit nicht ausbleibt, ja, schon vorhanden ist. Deshalb sind das Wichtigste für uns Arbeitsbeschaffungs-, Umschulungs- und Reiterbildungsprogramme, die darauf ausgerichtet sind, für alle Betroffenen neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.

• Im genannten Interview ist vom "Wohltäter FDGB" die Rede. Ziehst du dir die Jacke an?

Ganz und gar nicht. In diesem Zusammenhang werden immer wieder Sozialversicherung, Feriendienst und betriebliche Mitbestimmung angesprochen. Inhaltlich gibt es da in vielen Punkten Übereinstimmung. Deshalb bin ich gar nicht mit dieser Darstellung der Probleme einverstanden. Denn hier wird doch unterstellt, dass der gewerkschaftliche Dachverband noch immer an alten Vorstellungen der Gewerkschaftsarbeit hängt und diese vertritt. Doch das ist nicht wahr.

• Womit begründest du das?

Beispielsweise damit, dass bereit vor der Regierungserklärung vom Dachverband die neuen Positionen zur Sozialversicherung an das Ministerium übergeben wurden. Hier gibt es völlig übereinstimmende Auffassungen. Nachzulesen übrigens auch im Standpunkt der Gewerkschaften zur Regierungserklärung. Uns wird im Interview angelastet, was aus der Zeit der alten SED-FDGB-Verfilzung resultiert und das wir überwinden wollen. Diese Aussagen sind also nicht dazu angetan, ihre Forderung nach starken Gewerkschaften durchzusetzen.

• Die Ministerin spricht sich gegen das Gewerkschaftsgesetz ans. Wie stehen die Gewerkschaften dazu?

Das Gewerkschaftsgesetz wurde massiv von der Gewerkschaftsbasis gefordert und wird dringend benötigt, um die Gewerkschaften mit für die Marktwirtschaft notwendigen Rechten auszustatten. Ich will nur Tarifautonomie und Streikrecht nennen. Aber auch die rechtlichen Regelungen zur sozialen Sicherung betrieblicher Gewerkschaftsvertreter - wie Bezahlung, Kündigungsschutz - waren zwingend notwendig, um die gewerkschaftliche Interessenvertretung im Betrieb zu wahren. Seit dem FDGB-Kongress haben sich die Bedingungen verändert; jetzt geht es um Fragen der Rechtsangleichung. Darum arbeiten auch wir daran, gewerkschaftliche Forderungen in ein Betriebsverfassungsgesetz. Einzubringen.

Es geht also nicht um die Form Gewerkschaftsgesetz. Sie ist sicher eine Übergangslösung im Ergebnis DDR-spezifischer Bedingungen. Aber es geht um die Sicherung der errungenen Rechte. Auf dem Gebiet der betrieblichen Mitbestimmung wollen wir den gewerkschaftlichen Einfluss in den Betriebsritten sichern. Aber alle gewerkschaftlichen Rechte sind eben nicht über das Betriebsverfassungsgesetz zu sichern. Deshalb brauchen wir den Erhalt verfassungsmäßig garantierter Rechte. Dazu zahlen Tarifautonomie, Streikrecht, und auch um das Aussperrungsverbot werden wir kämpfen.

Tribüne, Di. 24.04.1990

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