Klarer Auftrag Gewerkschaftsgesetz

Helga Mausch Vorsitzende des Geschäftsführenden Vorstandes das FDGB, antwortete auf Fragen der "Tribüne" und internationaler Medien

• Was sagten deine Kollegen im Braunkohlenwerk Cottbus, als sie von deiner Wahl erfuhren?

Ich habe sehr viele Glückwünsche von zu Hause bekommen, aber ich hatte noch keine Zeit, mich zu Hause vorzustellen. Sie sind schon von einem gewissen Stolz erfüllt, ab das ist mit einer riesigen Verantwortung für mich verbunden.

• Du warst in dieser Woche beim Volkskammerpräsidenten und beim Premierminister. Wann gehst du in die Arbeitskollektive?

Das war bisher ganz einfach zeitlich noch nicht möglich. Ich habe mir auf die Fahne geschrieben, Kontakte zu den Kollektiven nicht abbrechen zu lassen. Als erstes werde ich, und das sehr bald, die Kollegen meines Betriebes besuchen. Da stimmen wir uns als Dachverband mit den Industriegewerkschaften und Gewerkschaften ab.

• Was hat jetzt Priorität in der Gewerkschaftsarbeit?

Wir müssen jetzt alles dafür tun, den Entwurf des Gewerkschaftsgesetzes durchzubringen. Es gibt einen klaren Auftrag der Mitglieder. Wir erwarten, dass auf der nächsten Volkskammertagung das Gesetz und die dazugehörigen Verfassungsänderungen diskutiert und beschlossen werden. Ich gehe davon aus, dass damit eine Grundlage geschaffen ist, die auch die kommende Wahl überlebt. Das ist das eine. Das andere ist, jene auf unserem Kongress beschlossenen Grundsatzanträge Schritt für Schritt an die Regierung heranzutragen und mit allem Druck und aller Konsequenz zu versuchen, dass diese Dinge auch verabschiedet werden. Wir müssen ein sozialpolitisches Netz schaffen, damit keiner an den Rand des sozialen Abgrunds gerät.

• Was für eine Regierung wünschst du dir?

Eine, bei der die gewerkschaftlichen Rechte nicht geopfert werden.

• Welchen Einfluss können wir Gewerkschafter darauf ausüben?

Da stehen wir vor einer neuen Situation. Es gibt keine Kandidaten zur Wahl in die Volkskammer und folglich auch keine Regierungsverantwortung für uns. Doch mit dem Wahlrecht können die meisten von ins entscheiden, wie die künftige Regierung zusammengesetzt ist. Zur Orientierung hat unser Geschäftsführender Verstand Wahlprüfsteine erarbeitet.

• Worin bestehen heute bereits deutsch-deutsche Gewerkschaftsinteressen?

Im Erhalt und in der Sicherung von Arbeitsplätzen. Das ist ganz wichtig. Eine Annäherung beider Staaten muss schrittweise erfolgen. Wir streben eine Solidargemeinschaft mit dem DGB an, erkämpfte Rechte dürfen nicht geopfert werden. Dazu müssen wir uns verständigen.

• An diesem Wochenende dienende ist der DGB-Vorsitzende Ernst Breit in Westberlin. Wird es ein Treffen geben?

Wir haben uns darum bemüht, Interesse gab es auch auf Seiten des DGB. Noch am heutigen Freitagabend kommen wir zusammen. Wir werden sehen, wie sich unsere Vorstellungen mit denen des DGB decken.

• Der FDGB gehört dem Weltgewerkschaftsbund an, der DGB dem Europäischen Gewerkschaftsbund und dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften - ist da eine einheitliche deutsche Gewerkschaft überhaupt möglich.

Die Stellung des FDGB im Weltgewerkschaftsbund muss neu überdacht werden. Ich gehe davon aus, dass dies auch eine Entwicklungsfrage sein wird. Was die Mitwirkung in anderen internationalen Vereinigungen betrifft, so fühlen wir uns eingebettet in die europäischen Ereignisse. Ich hoffe, dass wir auch auf diese Frage in den Gesprächen mit Ernst Breit eine Antwort finden können.

• In vielen Briefen äußern Leser ihre Bedenken, dass bei allen Problemen in unserem Lande die Internationalen Verpflichtungen wie Solidaritätsleistungen auf der Strecke bleiben?

Das darf nicht passieren. Sicher, wir haben in erster Linie dafür Sorge zu tragen, die Solidarität im Lande zu schaffen, aber unsere internationalen Verpflichtungen dürfen wir darüber hinaus nicht vergessen. Das ist auch eine Frage der Humanität, und die möchte ich in keiner Weise in Frage gestellt sehen. Daran halten wir fest. Ich denke an unsere Hilfsaktionen für Rumänien, um ein Beispiel internationaler Solidarität zu nennen.

• Was wird aus den 50 Millionen Mark, die von der 100-Millionen-Spende fürs Pfingsttreffen übriggeblieben sind?

Wir haben nicht vor, sie dem Staatshaushalt zur Verfügung zu stellen, sondern wollen sie zur Unterstützung für Behinderte, Rentner und sozial Schwache nutzen. Ich denke, das ist auch ein deutlicher Ausdruck dafür, wie wir hier bestimmte Rang- und Reihenfolgen sehen.

• Wie will die Gewerkschaft Ausländer schützen, die bei uns in einem Arbeitsverhältnis stehen?

Sie sind genauso geschützt wie unsere Kollegen, und daran halten wir fest. An Ausländerfeindlichkeit sind wir nicht interessiert. Wir sind auf die Hilfe dieser Menschen mit angewiesen.

• Steht bereits fest, wer der gesellschaftliche Ankläger im Prozess gegen Tisch sein wird?

Wir haben darüber beraten, es gibt Vorstellungen, ich möchte aber hier noch keine Namen nennen.

• Wird das der Leiter der Untersuchungskommission sein?

Nein, das wird er nicht sein.

• Was wird aus dem Haus des ehemaligen Bundesvorstandes, bleibt es das Gewerkschaftshaus oder gibt es andere Pläne?

Also, es bleibt ein Haus der Gewerkschaft, daran gibt es keine Abstriche. Aber wie wir es effektiver nutzen können, darüber machen wir uns ganz klare Gedanken Wir haben beispielsweise die Vorstellung, es zu einem Kongresszentrum zu entwickeln. Diese und andere Ideen werden wir demnächst unterbreiten und mit den Gewerkschaftsmitgliedern diskutieren. Preisgabe des Hauses also auf keinen Fall, wir werden ihm nur neue Inhalte verleihen.

Tribüne, Nr. 30, Mo. 12.02.1990

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