Was unterscheidet Dachverband und Gewerkschaften?

Kürzester Weg: Hin zur IG

Fragen an HELGA MAUSCH, Vorsitzende des Geschäftsführenden Vorstandes des FDGB

• Es gibt in vielen Briefen Kritik von Kollegen, weil FDGB-Funktionäre zu selten an der Basis zu sehen sind . . .

Das beweist eigentlich: Noch ist nicht jedem klar, was FDGB als Dachverband der Gewerkschaften und Industriegewerkschaften bedeutet. Jeder Gewerkschafter ist jetzt Mitglied seiner IG beziehungsweise Gewerkschaft, muss sich mit seinen Problemen zuallererst an sie wenden. Das ist der kürzeste Weg. Übrigens gilt das auch für die Beitragskassierung. Allerdings sind zur Zeit noch Übergangslösungen nötig. Bis 30. Juni sollen jede Gewerkschaft und IG Finanzhoheit haben.

• Welche Aufgaben bleiben dann für den Dachverband?

Wir vertreten übergreifende Interessen, verhandeln beispielsweise über Grundsatzanträge des Kongresses mit der Regierung. Dazu zählt das inzwischen verabschiedete Gewerkschaftsgesetz.

• Wie steht es mit der Reduzierung des FDGB-Apparates?

Er wird um 80 Prozent verringert. Bezirks- und Kreisvorstände sind zurückgetreten beziehungsweise werden das in den nächsten Tagen tun. Leiter der Geschäftsstellen der Bezirke werden nur nach Zustimmung der IG und Gewerkschaften eingesetzt.

• Bestimmte Berufsgruppen fordern eigene Gewerkschaften, besonders Angestellte und die wissenschaftlich-technische Intelligenz?

Die Gründe dafür sind sicher mangelnde Interessenvertretung in der Vergangenheit, aber auch Misstrauen, ob künftig über die jetzige Struktur ihre Belange berücksichtigt werden. Unser Standpunkt dazu: Wir dürfen die Interessenvertretung nicht zersplittern. Einige Betriebsdirektoren schlossen sich bereits zu Unternehmerverbänden fest zusammen. Jede Zersplitterung der Arbeitnehmer stärkt deren Position. Deshalb unser Prinzip: Ein Betrieb - eine Gewerkschaft.

• Können aber so die Interessen aller differenziert berücksichtigt werden?

Wir bemühen uns darum, richten beim stellvertretenden Vorsitzenden ein Ressort ein, das sich speziell auf die Belange der Angestellten konzentriert. Ähnliche Strukturen werden in den IG und Gewerkschaften entwickelt. Wir beabsichtigen, um ein konkretes Problem zu nennen, Steuerangleichung zwischen Angestellten und Arbeitern. Der Steuerfreibetrag von 200 Mark ist ein erster Schritt in dieser Richtung.

Was die Probleme der Angestellten in den Grundorganisationen betrifft: Es wäre doch denkbar, dass sie ihre Kandidaten für die BGL selbst wählen. Niemand schreibt mehr die Zusammensetzung der Gewerkschaftsleitung vor. Sie muss der Struktur der Belegschaft entsprechen.

Tribüne, Di. 13.03.1990

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