Mit GÜNTHER LAPPAS, Vorsitzender der grünen Gewerkschaft Deutschlands, sprach Jochen Fischer

Das Wichtigste: Arbeit erhalten

Die Gewerkschaft für den grünen, d. h. agrarischen Bereich ist seit dem Wochenende eins. Welche Bedeutung messen Sie dem bei?

Unsere Verantwortung wächst natürlich erheblich. Wir haben schließlich die Interessen von über 500 000 Mitgliedern in der DDR mit zu vertreten. Allerdings weiteten wir unseren Aufgabenbereich nicht erst seit heute aus. Bereits seit Monaten winken wir mit der DDR-Partnergewerkschaft eng zusammen. So haben wir gemeinsam Tarifverträge abgeschlossen, u. a. für die Beschäftigten in den Staatsgütern. Ende dieses, Anfang nächsten Monats werden die Kollegen das auch in ihrem Portemonnaie spüren.

Die Politik Ihrer Gewerkschaft wird ausschließlich vom Willen der Mitglieder bestimmt, heißt es. Ein erläuterndes Wort bitte dazu?

Kurz. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Regierung, Parteien, Arbeitgeber immer wieder an ihre sozialen Pflichten zu erinnern, ihnen unsere Forderungen zu stellen und sie zu erkämpfen, wenn die andere Seite keine Einsicht zeigt. Nicht unsere Aufgabe ist es, Vorstellungen von regierenden Parteien bei unseren Mitgliedern durchzusetzen.

Als ganz große Aufgabe bezeichneten Sie, Arbeitsplätze zu erhalten. Wie soll das geschehen?

Das wird nicht leicht, zumal wir Realisten sind. Wenn die Landwirtschaft hier wettbewerbsfähig werden will, und davon gehen wir aus, müssen Arbeitskräfte weichen. Unsere Aufgabe sehen wir darin, das so sozial erträglich wie möglich zu machen. Von der Bundesregierung fordern wir Umschulungsmaßnahmen, die auf die Person bezogen sind. In diesem Land ist eine so riesige Arbeit zu leisten, dass ich vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten sehe. Im Straßenbau und im Umweltschutz, um nur einige anzudeuten. Die Regierenden müssen nur schnell Mittel bereitstellen, damit wir keine Zeit verlieren.

Sie haben ein Positionspapier zur Entwicklung im agrarischen Raum auf dem Gebiet der DDR verabschiedet. Nennen Sie bitte die wichtigsten Forderungen?

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nannte ich schon. Wir sind für den Erhalt der sozialen Dienste auf dem Lande. Kindergärten und -krippen beispielsweise, die in der BRD Seltenheitswert haben. Unser Standpunkt: Die Ausblutung der sozialen Infrastruktur muss verhindert werden. In der Umweltpolitik fordern wir die Besteuerung umweltbelastender Produktionsverfahren. Uns geht es um standortgerechte Ausbausysteme, Fruchtfolgen sowie um die Zusammenführung von Pflanzen- und Tierproduktion. In jedem Fall, der Strukturwandel muss sich an ökologischen und sozialen Kriterien orientieren.

Und wie ist die Haltung Ihrer Gewerkschaft zur Bodenreform?

Unsere Haltung dazu ist eindeutig. Die Ergebnisse der Bodenreform und die mit ihr in Verbindung stehenden Eigentumsverhältnisse müssen unangetastet bleiben. Was gegenwärtig in manchen Staatsgütern passiert, das kann nicht sein. Da kommen ehemalige Besitzer und stellen Ansprüche auf bestelltes Land. Wir verlangen, dass die Regierung das klar und deutlich im Sinne der Bodenreform regelt.

Neues Deutschland, Di. 25.09.1990

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