Gewerkschaft drängt auf garantiertes Mitspracherecht

Keine Zeit zum Ausruhen

"Tribüne" sprach mit Karl-Heinz Biesold, neuer ZV-Vorsitzender der IG Transport

• Die ehemalige IG Transport- und Nachrichtenwesen hat sich gespalten. Aus, eins mach drei - Stärkung oder Schwächung?

Stärkung, weil jetzt konkret berufsbezogene, branchenbezogene Interessenvertretung möglich ist. Die IG Transport vertritt rund 300 000 Mitglieder.

• Du bist am Donnerstag mit Dreiviertel-Mehrheit zum neuen IG-Vorsitzenden gewählt worden, wer bist du, wo kommst du her?

Ich bin 40 Jahre alt, verheiratet und habe zwei Kinder im schulpflichtigen Alter. Ich bin zwölf Jahre zur See gefahren, danach war ich als BGL-Vorsitzender im Kraftverkehr Rostock und im Bezirksvorstand der bisherigen IG tätig.

• Welches sind eure Aufgaben für die nächste Zeit?

Wir haben uns eine Fülle von Zielen gestellt: Noch in diesem Jahr sind neue Tarifverträge auszuarbeiten, wobei wir mit der Vereinbarung zu den Grundlöhnen vor wenigen Wochen eine gute Ausgangsposition haben. Wir verlangen, dass schnellstmöglich, das heißt am 6. März, das Gewerkschaftsgesetz durch die Volkskammer verabschiedet wird. Wir drängen auf eine baldige Steuerreform.

• Wie realistisch sind diese Ziele angesichts der Vereinigungsbestrebungen beider deutscher Staaten?

Je mehr gewerkschaftliche Rechte wir jetzt durchsetzen, um so besser ist unsere Verhandlungsbasis gegenüber zukünftigen Unternehmerinteressen. Was wir uns jetzt erkämpfen, kann man uns auch bei einer Vereinigung nicht automatisch wieder nehmen.

• Weiches sind die ersten Schritte nach der ZV-Tagung?

Am wichtigsten ist, sofort die Beschlüsse, die wir gefasst haben, in alle Kollektive zu tragen und den Kollegen zu erläutern. Es war ein Mangel der Vergangenheit, dass Beschlüsse gar nicht oder sehr verspätet an die Basis gelangten. Wir müssen Vertrauen gewinnen. Dass in dieser Beziehung ein guter Anfang gemacht ist, beweisen über 1 700 Vorschläge zur Veränderung unseres Aktionsprogramms, das an der Basis ja schon seit zwei Monaten diskutiert wird.

• Von eurer Tagung ging die Forderung an den Verkehrsminister, den Ausbau des Verkehrswesens nicht länger auf dem Rücken der Werktätigen auszutragen. Was ist damit gemeint?

Das heißt, dass die Gewerkschaft bei allen Konzeptionen, die im Verkehrsministerium erarbeitet werden, bis jetzt nicht informiert wird. Es darf nicht länger sein, dass staatliche Leiter aller Ebenen bei Entscheidungsfindungen über die Zukunft in den Betrieben den Gewerkschaften den Stuhl vor die Tür setzen.

• Klinkt ihr euch in den Wahlkampf ein?

Wir fragen bei Wahlkampfveranstaltungen der verschiedensten Gruppierungen nach den Vorstellungen zur zukünftigen Rolle der Gewerkschaften und machen unseren Mitgliedern deutlich, wer unsere Positionen vertritt und wer nicht. Wem er letzten Endes seine Stimme gibt, muss jeder in drei Wochen selbst entscheiden.

Thomas Scholze

Tribüne, Mo. 26.02.1990

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