In der DDR-Leichtindustrie sind viele Hunderte Arbeitsplätze in Gefahr

Ohne Schutz nur wenig Chancen

Fragen an Hans-Jürgen Nestmann, Vorsitzender der IG Textil-Bekleidung-Leder

• Deine Wahl zum IG-Vorsitzenden kam ziemlich überraschend. Welche Gedanken bewegen dich?

Ein Paket Arbeit liegt vor uns. Wir werden Stehvermögen brauchen und eine starke Basis. Natürlich gibt es eine Menge Probleme, deren Vielfalt zu überblicken mir im Moment noch schwerfällt. Aber auch für den Vorsitzenden einer IG kann die Richtlinie derzeit nur heißen, ganz schnell dazuzulernen. Außerdem ist der IG-Vorsitzende ja nicht alles. Im Haupt- und Zentralvorstand sitzen Kollegen mit sehr viel Wissen und Können.

• Du warst zuletzt Vorsitzender des Gebietsvorstandes Aue. Welche Arbeit musst du nun deinem Nachfolger überlassen?

Vor allem die Festigung und den Aufbau der neuen Strukturen. Um nur ein Beispiel zu nennen: In einem Betrieb in Stellberg hat die gesamte BGL ihre Arbeit niedergelegt. So etwa muss aufhören, die Kollegen in den Betrieben müssen spüren, dass ihre IG wirksam wird.

• Die Lage Ist der Leichtindustrie ist prekär. Arbeitsplätze gehen verloren, Schutzmaßnahmen für den Übergang in die Marktwirtschaft sind notwendig . . .

Ja, das ist eine der wichtigsten Aufgaben. Wie sehr manche Betriebe kurz vor dem Kollaps stehen, zeigen die Warnstreike in der Schuhindustrie. Wenn keine Schutzmaßnahmen seitens der Regierung ergriffen werden, haben einige Betriebe überhaupt keine Chance, sich auf die Marktwirtschaft umzustellen, obwohl sie es könnten. Und es geht ja nicht um den Erhalt von Betrieben schlechthin. Das sind Hunderte Arbeitsplätze, die für die Beschäftigten und ihre Familien den Lebensunterhalt sicherstellen.

• Im Entwurf des Staatsvertrages steht, dass auf dem Gebiet der DDR noch keine tariffähigen Gewerkschaften existieren . . .

Das stimmt nicht, wir sind in der Lage und bereit, in Tarifrunden einzusteigen. Aber es bestehen weder Arbeitgeberverbände, also Verhandlungspartner, noch die notwendigen rechtlichen Regelungen. Das alles muss schnellstens geschaffen werden. Um so mehr, wenn man sich die Löhne in unserem IG-Bereich ansieht.

• Wie wird die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Textil-Bekleidung und Gewerkschaft Leder der BRD gestaltet?

Mit beiden hat unsere IG eine Kooperationsvereinbarung, die in einer der nächsten Zusammenkünfte konkretisiert wird. In einem Grundsatzantrag haben die Delegierten der Zentraldelegiertenkonferenz unseren Geschäftsführenden Vorstand beauftragt, in kürzester Frist Vereinbarungen mit beiden Gewerkschaften abzuschließen, die schrittweise zur gewerkschaftlichen Einheit führen.

Ilona Möser

Tribüne, Mi. 09.05.1990

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