Fragwürdige Marktstrategie

Bauherren lassen Bauleute im Stich

Gespräch mit Gottfried Krügel, Geschäftsstellenleiter der IG Bau-Holz, Landesbezirk Zwickau

• Wie ist die Lage auf dem Bau im Landesbezirk Zwickau?

Krisenhaft, wie überall im Lande. Zahlreiche Betriebe kämpfen mit Liquiditätsproblemen. Es mangelt an Aufträgen. Die Kommunen haben wenig Geld. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit greifen um sich. Arbeitgeber versuchen verstärkt die Lohnbedingungen der Arbeitnehmer zu drücken.

• Was tut ihr dagegen?

Beim Übergang in die Marktwirtschaft darf nicht länger alles allein dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden. Es müssen auch politische Entscheidungen getroffen werden. Wir fordern für unsere Baubetriebe Aufträge durch die öffentliche Hand.

• Wie reagieren die Kommunen?

Wir meinen, jede Kommune sollte ihren Ehrgeiz darin sehen, den ortsansässigen Baubetrieben vorrangig Aufträge zukommen zu lassen. Aber das Gegenteil ist der Fall. 300 bis 400 Eigentumswohnungen sollen in Wildenfels durch eine BRD-Firma gebaut werden. Glauben die Wildenfelser Stadtherren denn, unsere Bauleute seien dazu nicht fähig? Auch Großinvestitionen der Fahrzeugindustrie im Zwickauer Raum wurden an eine westdeutsche Firma vergeben, die, wie man hört, mit Billiglohnarbeitern die Preise unterbietet. Wir erwägen, gegen Erscheinungen dieser Art, Verdrängung unseres Bauwesens gegebenenfalls auch geeignete gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen einzusetzen.

• Wie werden die Arbeitnehmer mit der zunehmenden rechtlichen Unsicherheit fertig?

Die Rechtsunsicherheit wächst, das muss ich bestätigen. Allein vom Monat Juni zum Juli stiegen die von unseren Mitgliedern erbetenen Rechtsauskünfte von 240 auf 545, und im Monat August ist das Bild ähnlich. Überwiegend geht es hier um Tarife, Lohn, Gehalt und Kündigungen. Und was uns besonders Sorgen bereitet: Es verstärken sich die Angriffe der Unternehmer auf Tarif- und Lohnbedingungen. Es wird versucht, arbeitsrechtliche Sicherheiten für gewählte Interessenvertreter im Betriebsverfassungsgesetz und im Kündigungsschutzgesetz zu unterlaufen.

• Was läuft da konkret?

In der Beton und Tiefbau GmbH Schwarzenberg beispielsweise wurde dem demokratisch gewählten BGL-Vorsitzenden Rudolf K(...), der die Rechte und Pflichten eines Betriebsrates bis zur ordentlichen Wahl eines Betriebsrates wahrnimmt, gekündigt. Nach gültigem Recht kann ihm während seiner Amtszeit und ein Jahr danach sein Arbeitsverhältnis aber nicht aufgekündigt werden. Der Maler Michael B(...) wollte bei seinem privaten Malermeister die von unserer IG ausgehandelten neuen Tarife für das Malerhandwerk auch für sich einfordern. Als Antwort hörte er: Wer mehr Lohn will, der muss gehen. Und so kam es. Am nächsten Tag wurde Michael B(...) gekündigt. Beide Kollegen erhalten durch unsere Geschäftsstelle bei ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht Rechtsbeistand, wie im August in nicht weniger als 28 Fällen.

• Das Beispiel Michael B(...) läuft also auf die Forderung nach Lohnverzicht hinaus, um den Arbeitsplatz zu erhalten?

Solche Fälle mehren sich. Die Unternehmer behaupten, höhere Lohne führen zum Ruin des Betriebes. Viele Handwerker haben ihre Preise um das Doppelte und mehr erhöht, davon werden doch wohl auch die Arbeitnehmer ihren Anteil zu beanspruchen haben. Und die Ursachen für den Ruin eines Betriebes liegen zu aller erst in verfehlter Unternehmerstrategie, in unzureichender Betriebsorganisation und im Fehlen von zahlungskräftigen Auftraggebern. Außerdem ist eine schrittweise Erhöhung der Löhne und Gehälter eine „vertrauensbildende Maßnahme", um keine Abwanderungsbewegung bei unterbezahlten Fachleuten zu westdeutschen Firmen auszulösen.

• Gibt es einen Abwanderungstrend?

Ja. Schon heute arbeiten zahlreiche Zwickauer Bauarbeiter in der BRD und das zum Teil unter Tarif, aber immer noch mit einem höheren Lohn als die Daheimgebliebenen. Durch diese Abwanderung können unsere Baubetriebe wettbewerbsunfähig werden. Lohnverzicht hat bisher in den seltensten Fällen zur Sicherung des Arbeitsplatzes geführt. Wenig Lohn, wenig Nachfrage, wenig Arbeit in den Betrieben, noch mehr Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit, so funktioniert doch dieser Kreislauf. In diesem Sinne schulen wir auch die Betriebsratsvorsitzenden unserer Baubetriebe, damit sie im Interesse ihrer Kollegen hinter die Kulissen der Marktwirtschaft blicken und soziale Wirkungen erzwingen können.

Das Gespräch führte
Alfred Oelschläger

Tribüne, Nr. 177, Do. 13.09.1990

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