IG Bau-Holz: Unsicherheit bringt viele zur Gewerkschaft zurück
Schutz vor Willkür und sozialem Aus
"Tribüne" sprach mit Horst Schulz, Vorsitzender des Geschäftsführenden Vorstandes der IG Bau-Holz
• Euer Slogan lautet: Die Gewerkschaft an Deiner Seite. Wird wiedergefundenes Vertrauen bereits spürbar?
Diese Aussage ist kein Slogan, sondern ein handfestes Argument. Damit wollen wir deutlich machen, dass unsere IG die Interessen aller Mitglieder ernst nimmt. Dazu haben wir auf unserer außerordentlichen Zentraldelegiertenkonferenz unsere eigene Satzung, unser eigenes Aktionsprogramm beschlossen. Und wir haben die Ausgestaltung dieser Dokumente bereits begonnen, finden Zustimmung, aber auch - und das ist gut so konstruktive Kritik an Dingen, die zu verändern sind.
• Wie viel kehrten der IG den Rücken?
Es sind etwa 100 000 gewesen. Damit sind rund 850 000 noch oder wieder Mitglieder unserer IG. Es ist zu verzeichnen, dass in den letzten Tagen mit zunehmender sozialer Unsicherheit viele Kollegen, die uns verlassen hatten, wieder den Weg zur IG finden.
• Mit weichen Vorhaben seid ihr angetreten?
Kurz gesagt, alles zu tun, um eine starke Interessenvertretung für die Mitglieder zu organisieren. Dazu gehört die Wahrnehmung der Tarifautonomie und deren konkrete Ausgestaltung. Wir handeln derzeit Tarife mit den zuständigen Ministerien aus. Zu den Schwerpunkten unserer Arbeit gehört auch die Sicherung der Finanzhoheit, die Formierung der Grundorganisationen, Strukturveränderungen.
• Was brennt euch am meisten unter den Nägeln?
Vor allem die Sicherung der Beschäftigung auf der Grundlage des verfassungsmäßig verankerten Rechts auf Arbeit. Wie sich zeigt, bangen viele um ihre Arbeitsplätze. Arbeitslosigkeit - bisher ein Fremdwort für uns - ist Realität im täglichen Leben. Hier muss die Gewerkschaft alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und ihren Mitgliedern jederzeit Schutz geben. Deshalb kämpfen wir dafür, dass die Regierung Rahmenorientierungen für die Schaffung von Umschulungs- und Arbeitsbeschaffungsprogrammen vorlegt, so dass dies nicht allein den Betrieben überlassen bleibt.
• Welche Aussichten hat das Bauen hierzulande?
Wer zwischen Suhl und Rügen herumkommt, der sieht, dass es für die Bauleute viel zu tun gibt: Fassaden, Dächer, Investitionen in Industrie und Landwirtschaft, Straßen vor allem ... Jedoch vielerorts gibt es Baustopps, Verzögerungen im Bauablauf, Fehlentscheidungen zum Bauen waren an der Tagesordnung, heute fehlen Geld, vor allem Technik, Material. Somit werden unsere Bauleute mit weniger Arbeit konfrontiert, obwohl ein Berg von Arbeit für jeden sichtbar da ist. Wir fordern deshalb von der Regierung und von den Kommunen, schnellstens solche Bedingungen zu schaffen, die ein Weiterführen der Bauaufgaben im Interesse der Bürger gewährleisten.
• Der Zug der Einheit rollt - wie sehen sich da die Bau- und Holzabeitergewerkschaften beider Länder?
Unsere IG hat enge Beziehungen zur Gewerkschaft Bau-Steine-Erden und zur Gewerkschaft Holz- und Kunststoff der BRD. Gemeinsam wollen wir einen sozial verträglichen und ökologisch angepassten Weg der Gewerkschaften zur deutschen Einheit beschreiten. Verständlich, dass uns die Auswirkungen der Wirtschafts- und Währungsunion besonders interessieren. Aus unserer Sicht muss die Wirtschaft unserer Republik eine zeitliche Chance zur Umstrukturierung und Anpassung auf die Marktwirtschaft haben; eine Rosskur sollten wir nicht zulassen, die zur Massenarbeitslosigkeit führt.
• Welche sozialen Forderungen haltet ihr der Marktwirtschaft entgegen?
Wir werden die Regierung daran messen, wie sie die berechtigten Interessen der Gewerkschafter in der praktischen Politik berücksichtigt. Vor allem fordern wir eine schnelle Entscheidung zu der versprochenen sozialen Absicherung. Dazu zählen besonders Rahmenrichtlinien für Beschäftigungs-, Umschulungs- und Sozialprogramme unter dem Gesichtspunkt, dass alle durch Struktur- und Rationalisierungsmaßnahmen frei werdenden Arbeitskräfte sozial gesichert sind.
Tribüne, Do. 19.04.1990