Handel mit dem Handel: Wer bietet mehr?

Fragen an Joachim Wegrad, Vorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen in der DDR (HBV)

• Kürzlich hast du an der Beratungen des Ausschusses Handel und Tourismus der Volkskammer teilgenommen, in der der Entwurf der Verordnung zur Entflechtung den Handels in den Kommunen zur Diskussion stand. Ist die Anwesenheit von Gewerkschaftern zu solch einem Anlass alltäglich?

Keineswegs. Die Möglichkeit im Ausschuss als Gewerkschaft HBV direkt die Interessen der Kolleginnen und Kollegen vertreten zu können, haben wir uns im wahrsten Sinne des Wortes erkämpft. Erst durch den massenhaften Protest der im Handel, in den Gaststätten und anderen Bereichen Beschäftigten gegen das von der Volkskammer verabschiedete "Gesetz zur Entflechtung des Handels in den Kommunen" sah sich die Regierung zu diesem Schritt gezwungen.

• Also ein Erfolg der Gewerkschaft HBV?

Ohne Zweifel, das ist so. Die HBV ist in der DDR noch eine junge Gewerkschaft. Sie wurde erst am 24. Juni 1990 gegründet. Aber mit der Solidarität der HBV der Bundesrepublik, ihren Erfahrungen und ihrer weitreichenden Unterstützung sind auch wir stark und durchaus in der Lage, für die Mitglieder wirkungsvoll die Interessen zu vertreten. Das beweisen jüngste Tarifabschlüsse in den Bereichen Banken, Sparkassen und Versicherungen.

• Welche Position hat die HBV zur Handelsentflechtung?

Ich möchte zwei Aspekte voranstellen. Erstens geht es auch uns im Interesse der Bürger und der Beschäftigten im Handel um bessere Versorgungsleistungen und eine höhere Effektivität des Handels in allen Bereichen. Das macht eine Umstrukturierung des Handels dringend notwendig und verlangt mittelst, kurzfristige Investitionen zu seinem Ausbau. Alle Handelsbereiche, der Einzelhandel und der Großhandel, müssen sich den marktwirtschaftlichen Bedingungen stellen und die dafür notwendigen materiellen, finanziellen und personellen Voraussetzungen erhalten. Zweitens spricht sich die Gewerkschaft HBV gegen bestehende Monopole im Handel genauso aus wie gegen die ins Visier genommene neue Monopolisierung. Wir setzen um dafür ein, dass ein fairer und gleichberechtigter Wettbewerb möglich wird. Dafür muss die Regierung sehr schnell alle rechtlichen, steuerrechtlichen und handelspolitischen Bedingungen schaffen.

• Du sprichst von einer notwendigen Umstrukturierung des Handels. Führt das nicht zur Zerschlagung von Handelseinrichtung und zu gravierenden sozialen Härten bei den Beschäftigten?

Wenn ich von Umstrukturierung spreche, meine ich nicht die Zerschlagung von HO, Konsum oder CENTRUM-Warenhäusern. Für deren Entflechtung besteht keine ökonomische Notwendigkeit. Denn längst sind westliche Handelsketten wie Kaiser's, Spar oder Edeka teilweise mit Mehrheitsbeteiligung drin. Ebenso sitzen die Unternehmen Karstadt, Kaufhof und Hertie als Anteilseigner in den CENTRUM-Warenhäusern bereits drin. Für uns ist entscheidend, dass alle Schritte in Richtung von Strukturveränderungen mit Konsequenzen für die Beschäftigten planmäßig, sozial und nur unter Mitwirkung der Gewerkschaften erfolgen. Die Mitbestimmung der gesetzlich autorisierten betrieblichen Interessenvertreter muss garantiert sein.

• Wir wollt ihn soziale Hirten vermelden?

Zuerst sind die Arbeitsplätze der Handelsmitarbeiter zu sichern. Alle Handelsketten und Warenhäuser müssen staatliche Auflagen erhalten, innerhalb von einem Jahr keine Arbeitsplätze wegzurationalisieren. Natürlich muss der Verwaltungsapparat radikal reduziert werden. Aber gleichzeitig sind Programme zum Erhalt und zur Beschaffung von Arbeitsplätzen in Betrieben und Kommunen zu schaffen sowie eine staatliche Aufsicht für deren Durchsetzung.

• Reduzieren und dennoch Plätze sicher - wie soll das geben?

Ein Mittel wäre zum Beispiel Kurzarbeit, um Zeiten betrieblicher Umstrukturierung zu überbrücken und Entlassungen zu vermeiden. Wir fordern die umgehende Einführung der 40-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich. Unverzüglich müssen zielgerichtete Maßnahmen zur arbeitsplatzbezogenen Umschulung für Mitarbeiter des Handels eingeleitet werden. Für die Umschulungsprogramme tragen die Ministerien für Arbeit und Soziales, Handel und Tourismus sowie die Handelsbetriebe selbst die volle Verantwortung. Des weiteren treten wir für die Absicherung einen sozialen Mindeststandards von Arbeitsbedingungen, gemessen an der BRD, ein. Insbesondere für Frauen, Jugendliche und Behinderte.

• Die Entflechtung des Handels in den Kommunen berührt auch Eigentumsfragen. Wie sollen die gelöst werden?

Wir sind für alle Eigentumsformen. Anders werden wir keinen effektiven Handel in der DDR betreiben können. Wogegen wir uns wenden, ist eine Entflechtung des Handels nach dem Prinzip des Meistbietenden ohne soziale Konsequenzen. Ein Beispiel dafür: Die Leitung der HO Reichenbach i. V. hat eine Ausschreibung ihrer Verkaufsstätten anberaumt und diese an Meistbietende veräußert. Das zieht einschneidende soziale Auswirkungen für die Beschäftigten nach sich, so dass selbst Lehrlinge ihre Ausbildung abbrechen müssen und ohne Arbeit auf der Straße liegen. Diese Praxis gilt es zu verhindern. Deshalb muss in die Verordnung zur Entflechtung des Handels hinein, dass Ausschreibungen durch die Landratsämter bzw. Stadträte unter Mitwirkung von Treuhand, Kartellamt und Gewerkschaften vorzunehmen sind. Entscheidungen über Eigentumsverhältnisse dürfen nicht losgelöst von möglichen sozialen Folgen gefällt werden. Deshalb darf man in diesem Prozess nach unserer Meinung auf gewerkschaftliche und betriebliche Mitbestimmung nicht verzichten.

• Und wie ist es mit dem Konsum?

Das genossenschaftliche Eigentum von 4,6 Millionen Konsummitgliedern muss unantastbar bleiben. Für das in Rechtsträgerschaft der Konsumgenossenschaft befindliche Volkseigentum ist ein Vorkaufsrecht der Konsumgenossenschaft in die Verordnung zum Gesetz zur Entflechtung des Handels aufzunehmen.

• Der Preiswucher beschäftigt derzeit viele. Hat die Gewerkschaft ein Rezept, um dem zu begegnen?

Wir wenden uns dagegen, dass den Händlern pauschale Preisempfehlungen von den Leitungen der GmbH vorgegeben werden. Das widerspricht den Prinzipien der Marktwirtschaft. Deshalb macht es sich notwendig, dass des Amt für Wettbewerbsschutz nun endlich seine Tätigkeit aufnimmt. Nur so wird auch einem Preisdiktat von Handelsketten zu begegnen sein. Wir als Gewerkschaft HBV wollen dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit in der DDR über die Ursachen und Verursacher von überhöhten Preisen informiert wird.

P. D.

Tribüne, Nr. 140, Di. 24.07.1990

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