Grundsatzantrag des Vorbereitungskomitees für den außerordentlichen Kongress

Gewerkschaftliche Forderungen bei der Durchführung der Wirtschaftsreform

Die Gewerkschaften setzen sich für eine leistungsorientierte und soziale Wirtschaftsreform ein, die den Grundinteressen der arbeitenden Menschen entspricht. Sie muss das erreichte Niveau der materiellen und kulturellen Arbeits- und Lebensbedingungen gewährleisten und Garantien für deren schrittweise Erhöhung schaffen.

Die Wirtschaftsreform muss bisherige Grundrechte und Errungenschaften wie soziale Sicherheit, Recht auf Arbeit, Vollbeschäftigung bewahren. Entschlossen werden die Gewerkschaften gegen Arbeitslosigkeit kämpfen.

Mit der Wirtschaftsreform sind Möglichkeiten für die umfassende Mitbestimmung und Mitentscheidung der Werktätigen und deren Gewerkschaften zu schaffen und zu garantieren. Die Gewerkschaften bestimmen überall dort mit, wo es um entscheidende Lebensfragen der Werktätigen geht. Mit Umsicht mitsprechen, mit Sachkunde mitentscheiden und mitverantworten - davon lassen sich die Gewerkschaften leiten.

1 Wie ist zu tun, um die Produktion zu stabilisieren und die soziale Sicherheit zu garantieren?

Die Bereitschaft der Werktätigen, die Lage zu stabilisieren, muss durch Sofortentscheidungen zur materiell-technischen Sicherung, zur Kooperation und entsprechende ökonomische Regelungen der Regierung gestärkt werden. Stabilisierung der Wirtschaft muss zur Sicherung und Entwicklung der Lebensverhältnisse führen.

Die Gewerkschaften fordern:

- jedem Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen zu ermöglichen, seine wirtschaftliche Lebenstage durch eigene Arbeit zu sichern, Umprofilierung der Wirtschaft und volle Selbständigkeit der Betriebe muss soziale Sicherheit für die Werktätigen beinhalten;

- Sofortmaßnahmen zum Schutz der Wirtschaft sowie zur Schaffung aller notwendigen Bedingungen für eine effektive, soziale und ökologisch orientierte Entwicklung der Betriebe einzuleiten;

- die Produktion in Gang zu halten, die Arbeitszeit voll auszulasten, effektiv und qualitätsgerecht zu arbeiten, schöpferische Ideen zu fördern, an jedem Arbeitsplatz Disziplin, Ordnung, Leistung und ehrliches Arbeiten als Fundament sozialer Sicherheit durchzusetzen. Den Schutz der Werktätigen vor Folgen des Strukturwandels und der Rationalisierung zu gewährleisten; notwendig sind Umschulungsmaßnahmen und Arbeitsbeschaffungsprogramme;

- die Verbesserung der Arbeits-, Lebens- und Umweltbedingungen, eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit muss Ziel betrieblicher Tätigkeit sein. In den Betrieben aller Eigentumsformen sind die sozialen Fonds finanziell und materiell zu sichern bzw. zu schaffen, um das soziale Niveau in den Arbeits-, Lebens- und Umweltbedingungen zu erhalten;

- Maßnahmen zur Stabilisierung der Produktion und des Binnenmarktes, für die funktionierende innere und äußere Kooperation einzuleiten, die die Wahrung schützen, die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern gewährleisten.

2 Welche Schritte erwarten die Gewerkschaften, die Wirtschaft, besonders den volkseigenen Bereich zu demokratisieren?

Die Gewerkschaften halten es für vordringlich:

- im Zusammenhang mit der Herstellung der Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Betriebe sind Regelungen und Maßnahmen erforderlich, damit Eigentümerbewusstsein und -verhalten zuallererst durch Mitbestimmung und Mitsprache am Arbeitsplatz und für das gesamte Betriebsgeschehen gefördert wird;

- den Arbeitenden und ihrer Gewerkschaft muss der Einfluss auf die Gestaltung effektiver Produktions- und Arbeitsstrukturen und auf volkswirtschaftliche wie betriebliche Strukturentscheidungen garantiert werden. Die Mitbestimmung und die Sozialrechte der Mitglieder müssen gesichert sein, ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und kulturellen Anliegen gewahrt bleiben;

- das Ziel betrieblicher Mitbestimmung muss die öffentliche Mitsprache zu notwendigen Entscheidungen sein, das gilt insbesondere für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen die Leistungsbewertung und Entlohnung. Nichts darf ohne den Werktätigen, an ihm vorbei oder über ihn hinweg entschieden werden;

- eine Demokratisierung der Planung auf allen Ebenen durchzusetzen und für eine demokratische Wirtschaft einzutreten, die die Interessen der Arbeiter, Angestellten, der Intelligenz in den Betrieben aller Eigentumsformen sichert;

- wirksame Formen demokratischer Kontrolle zur Sicherung sozialer Inhalte der Produktion und zur Verhinderung jeglichen Missbrauchs ökonomischer Macht anzuwenden;

- im Rahmen der Wirtschaftsreform Schritt für Schritt komplexe Maßnahmen der Einkommens-, Steuer-, Preis- und Subventionspolitik einzuleiten, die das Leistungsprinzip und soziale Gerechtigkeit durchsetzen und bewahren helfen;

- zur Ausgestaltung der betrieblichen Sozialpolitik und Durchsetzung des Leistungsprinzips sowie zur Verbesserung der dafür einzusetzenden Fonds für die Werktätigen durch die Gewerkschaften im Auftrag der Mitglieder mit dem Betriebsleiter durch Verhandlungen eine Vereinbarung (BKV) abzuschließen;

- durch die Gesetzgebung (AGB, Gewerkschaftsgesetz, Betriebsgesetz) die Mitwirkung der Gewerkschaften an volkswirtschaftlichen und betrieblichen Entscheidungsprozessen juristisch zu sichern.

3 Die Gewerkschafter sind für die Domirans des gesellschaftlichen Eigentums, damit wir Herr im eigenen Lande bleiben

Darum halten sie für notwendig:

- durch die Regierung und die Volkskammer sind kurzfristig durchschaubare Maßnahmen zu beschließen, die bei außenwirtschaftlicher Öffnung unserer Volkswirtschaft, bei Kapitalbeteiligungen sowie vielfältigen Formen internationaler Kooperation weder Ausverkauf ermöglichen noch die materielle Grundlage der souveränen DDR antasten lassen;

- allen anderen Eigentumsformen sind gute Entwicklungschancen einzuräumen. In solchen Betrieben und Einrichtungen müssen die gleichen arbeitsrechtlichen Regelungen und Prinzipien der Mitbestimmung gelten wie in volkseigenen Betrieben;

- das Volkseigentum darf für den arbeitenden Menschen als Produzenten nicht mehr anonym sein. Das heißt, die Werktätigen nehmen Einfluss auf die Gestaltung effektiver Produktionsstrukturen, darauf, wer sie leitet, auf die Entwicklung der Arbeits-, Lebens- und Umweltbedingungen und werden direkt an den wirtschaftlichen Ergebnissen des Betriebes (Lohn, Prämie, soziale Fondsbildung und -verwendung, Neuerervergütung u. a.) entsprechend dem Leistungsprinzip beteiligt;

- die Rolle des Produzenten und seine Mitbestimmung als Miteigentümer von Betrieben zu stärken und rechtlich abzusichern. Als wichtige demokratische Voraussetzung für den Erneuerungsprozess sind die betrieblichen Bedingungen für persönliche und berufliche Entfaltung sowie eine enge Betriebsbindung auszugestalten, leistungsfördernde Voraussetzungen zu schaffen, stimulierende Kollektivbeziehungen zu gewährleisten, und kollektive und individuelle Verantwortung für die Arbeitsausführung zu fördern;

- ihre Mitbestimmung in der Wirtschaft bei Eigentumsveränderungen zu gewährleisten und den Schutz ihrer Mitglieder auf sozialem und lohnrechtlichem Gebiet vor unvertretbaren Auswirkungen, die sich aus dem ökonomischen Wettbewerb und internationaler Arbeitsteilung ergeben, zu garantieren. Die Gewerkschaften wahren die Interessen ihrer Mitglieder bei Auflösungen von Betrieben, Betriebsabteilungen und bei Änderung der Eigentumsformen.

Tribüne, Nr. 15, Mo. 22.01.1990

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