Demo nach Schulbeginn
Mehr Geld schon vor der ersten Stunde?
Zum letzten Mal hat heute in der DDR ein Schuljahr begonnen. Viele Probleme gibt es auf dem Weg ins einige Deutschland. Probleme, die auch Schüler und Pädagogen bewegen. Wir sprachen über einige aktuelle Fragen mit FRIEDHELM BUSSE, Vorsitzender der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung.
• Nach dein Warnstreik vergangener Woche melden sich nun die Beschäftigten des Bildungswesens auf ihrer heutigen Kundgebung vor dem Roten Rathaus zu Wort . . .
Der Berliner Verband der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung rief dazu auf. Vom Zentralvorstand wird diese Aktion voll unterstützt.
• Die Schule fängt an, und schon wollen die Lehrer mehr Geld. Töne, die man nicht selten hört. Was sagt die Gewerkschaft dazu?
Diese Töne sind so nicht berechtigt. Was Teuerungszuschläge, Tarifangleichung und Kündigungsschutz betrifft, da singen wir im Chor der ÖTV-Forderungen mit. Lehrer, Erzieher, technisches Personal sind nun mal im Dienste der Öffentlichkeit. Warum denn Einzelforderungen? Im Verbund alle im öffentlichen Dienst Beschäftigten können wir unsere Forderungen viel nachhaltiger artikulieren. Doch bei all dem sei gesagt, es geht uns eben nicht nur ums liebe Geld.
• Die GUE wehrt sich gegen die Tendenz, Bildungspolitik zum fünften Rad am Wagen werden zu lassen. Nimmt die Regierung ihre Verantwortung nicht mehr wahr?
Es scheint uns so. Da wird ständig um künftige Strukturen debattiert, inhaltliche Fragen kommen viel zu kurz. Das bundesdeutsche Schulsystem sollte nicht formell und unkritisch übernommen werden. Wir wollen Selektierung vermeiden und jedem Kind die gleiche Bildungschance einräumen.
• Der Staat wird sich spätestens im Juli nächsten Jahres bei den Kinderkrippen und Kindergärten selbst aus der Verantwortung nehmen. Was dann?
Das liegt auf der Hand. Gesicherte und erschwingliche Kindergarten- und Kinderkrippen- so wie Hortbetreuung wird dann passé sein. Die Kommunen setzen ihr Sparprogramm ohnehin schon im bildungspolitischen Sektor an. Dagegen müssen wir massiv protestieren. Denn hier wird an völlig falscher Stelle gespart. Die Leidtragenden sind die Kinder.
• Manche Kommunen sehen in der Kurzarbeit für Lehrer und Erzieher jetzt ihr Heil. Wie soll denn das gehen?
Das stimmt. In den Kreisen Wanzleben und Parchim versucht man auf diese unsinnige Weise Löcher im kommunalen Geldsäckel zu stopfen. Reduzierte Stunden, verlängerte Ferien - weniger Wissen, so lautet dann letztendlich die Kurzformen. Im Kreis Großenhain werden Kindergärtnerinnen ebenfalls kurzarbeiten. Es ist leider wirklich so, dass ausschließlich Geld bei solchen Fragen entscheidet.
• Drastisch ausgedrückt, wir werden also auf längere Sicht nicht nur der ärmere, sondern auch der dümmere Teil des vereinten Deutschlands sein?
Das kann passieren. Dagegen müssen wir uns wehren. Wir fordern zukunftsorientierte Bildungskonzeptionen für Schulen und Berufsausbildung. Wir verlangen Sicherheit für die Beschäftigten. Im Moment herrscht unter ihnen die blanke Angst um den Arbeitsplatz. Viele von ihnen trauen sich nicht, an Kampfaktionen teilzunehmen, weil sie Repressalien durch den Direktor fürchten. Beispiele dafür gibt es. Wir rufen im Interesse der Sache alle Arbeitnehmer im Bildungs- und Erziehungsbereich, alle Eltern, alle Schüler und Jugendlichen auf, da bei nicht tatenlos zuzusehen.
Christina Fischer
Tribüne, Mo. 03.09.1990