Un-erhört, aber in der Offensive

Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst geht mit breitem Forderungskatalog in die nächsten Tarifverhandlungen

In den letzten Wochen verging kaum ein Tag, an dem die Nachrichtenagenturen keine neuen Tarifabschlüsse in der DDR meldeten. Auch die Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst (GLNF) saß mit ihren Partnern am Verhandlungstisch. Wir nahmen das zum Anlass, mit der GLNF-Chefin Marianne Sandig folgendes Gespräch zu führen.

Sind Tarifverhandlungen angesichts der kritischen Lage in der Landwirtschaft überhaupt zu verantworten?

Marianne Sandig: Tarifverhandlungen in einem Wirtschaftsbereich zu führen, der ums Überleben ringt, ist fast unmöglich. Dennoch müssen wir im Auftrag unserer Mitarbeiter Gespräche erzwingen, um wichtige Punkte durchzusetzen. Wir sind aber nicht angetreten, einer Entwicklung zur rentablen Landwirtschaft entgegenzuwirken.

Im übrigen fordern wir, dass mit uns gemeinsam dringende Fragen beraten werden. Leider stießen wir damit weder bei Minister Pollack noch beim Volkskammerausschuss auf Gehör. Zu den Agrarverbänden haben wir dagegen recht gute Arbeitskontakte.

Mit welchen Forderungen geht die GLNF ins Gefecht?

Marianne Sandig: Die Erhaltung und Neuschaffung von Arbeitsplätzen bzw. die soziale Absicherung der Arbeitnehmer, wenn das nicht gelingt, stehen für uns vorn an. Das vor allem deshalb, weil im ländlichen Raum naturgemäß sehr begrenzte Ausweichmöglichkeiten zur Arbeitsbeschaffung bestehen. Vorstellungen, hier mittelständige Unternehmen anzusiedeln, greifen noch zu wenig. Um diese wichtigste unserer Forderungen durchzusetzen, bedarf es allerdings der schnellsten Klärung des juristischen und wirtschaftlichen Status der bisherigen VEG seitens der Regierung. Das schließt Aussagen zur Finanzierung dieser Betriebe, die bisher über keinerlei Rücklagefonds verfügten, ein.

Weiter wollen wir das Nettorealeinkommen unserer Arbeitnehmer sichern. Dazu sind mindestens 400 DM monatlich Zulage nötig, um Mehrausgaben für Steuern, Sozialversicherung und durch den Subventionswegfall zu kompensieren. Außerdem streben wir die schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, die Zahlung eines 13. Monatsgehaltes und möglicherweise von Urlaubsgeld sowie die Erhöhung der Lehrlingsentgelte an.

Gibt es bereits erste Ergebnisse der Verhandlungen?

Marianne Sandig: Einige Firmen- oder Haustarife sind schon ausgehandelt. So konnten wir z.B. die Arbeitnehmer im Rindermastbetrieb Ferdinandshof Erhöhungen der Löhne und Gehälter um rund 30 Prozent, die Zahlung des 13. Monatsgehaltes und die Anhebung des Lehrlingsentgeltes um durchschnittlich 100 DM vereinbaren.

Unsere Landesgeschäftsstellen sind angehalten, dort, wo Arbeitgeberangebote vorliegen, die Gespräche aufzunehmen. Das gilt eben auch für einzelne Haustarife, die wir gleichberechtigt neben anderen Abschlüssen sehen, da es immer Firmen geben wird, die keinem Verband angehören. Ansonsten streben wir verbindende Verhandlungen für Branchen oder Unternehmerverbände an. Das ist jedoch nur möglich, wenn sich diese als Tarifpartner erklären und sie von ihren Mitgliedsbetrieben dazu beauftragt werden.

Wer sitzt Ihnen bei den nächsten Gesprächsrunden gegenüber?

Marianne Sandig: Am 25. Juli führen wir mit dem Bundesverband Garten- und Landschaftsbau, in dem die DDR-Arbeitgeber bereits Mitglied sind, die nächsten Verhandlungen. Zwei Tage später geht es nun um neue Tarifabschlüsse in der Datenverarbeitung. Weiter stehen Sondierungsgespräche über Tarifverhandlungen mit dem Staatsgüterverband, dem Gartenbauverband, dem Zentralverband Baumschulen und anderen Verbänden ins Haus. Vom Raiffeisenverband erwarten wir eine Reaktion auf unser Angebot zu Verhandlungen.

Die Strukturentflechtung in der Landwirtschaft wirkt auch auf die GLNF zurück. Welche Bereiche und wie viel Mitglieder vertreten Sie jetzt noch?

Marianne Sandig: Wir sind gerade dabei, die Mitgliederzahl zu erfassen, um den Beitritt zu unserer bundesdeutschen Partnergewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (GGLF) vorzubereiten. Austritte hatten wir nicht in großem Maße. Allerdings werden viele unserer bisherigen Mitglieder aus der Nahrungsgüterwirtschaft künftig der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten angehören. Die Bereiche Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau kommen hinzu.

Welche Folgen hat der bevorstehende Zusammenschluss mit der GGLF?

Marianne Sandig: Für unsere Mitarbeiter im Haus ist damit die Kündigung zum 30. September verbunden. Die GLNF selbst muss sich bis zum Beitritt auflösen. Das bundesdeutsche Recht verlangt es so. Dieser Beschluss wird wohl von unserer Delegiertenkonferenz am 22./23. September gefasst werden.

Zunächst muss natürlich jeder selbst die Entscheidung treffen, ob er diesen Schritt mitgeht. Verändern wird sich der Beitrag, für den künftig ein Prozent vom Bruttoverdienst zu zahlen ist. Es kommen aber auch neue Leistungen, die je des Mitglied in Anspruch nehmen kann. So übernimmt die GGLF alle Kosten für Rechtsstreits vor Arbeits- und Sozialgerichten. Ferner haben alle Mitglieder Anspruch auf Leistungen der Freizeitunfallversicherung der Gewerkschaft. Und schließlich landet bei jedem GGFLer das Informationsblatt „Der Säemann" monatlich kostenlos im Briefkasten.

Wir von der GLNF hoffen jedenfalls, dass viele unserer Mitglieder den Beitritt zur GGLF mitmachen, und es künftig in Deutschland eine starke grüne Gewerkschaft geben wird.

(Das Gespräch führte
Constanze Lehmann)

Bauern-Echo, Di. 24.07.1190

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