Gerangel um Ost-Gewerkschafter

ÖTV will eine Satzungsänderung der IG Bergbau und Energie nicht hinnehmen

Wollen DGB- oder andere Gewerkschaften aus den alten Bundesländern aus logischen Gründen keine Rechts-Nachfolge der verflossenen FDGB-Organisationen antreten, so ist doch mindestens das Potential der alten Einheitsgewerkschaft aus der Ex-DDR von Interesse - die Mitgliederschaft. Es lohnt sich offensichtlich schon, um sie einmal einen handfesten Krach Im Deutschen Gewerkschaftsbund herbeizuführen. Seit Wochen geht der Streit unter den DGB-Schwestern Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr und der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, wer wie weit seine organisatorischen Grenzen in den neuen Bundesländern abstecken darf.

An Strukturen sollte nicht gerüttelt werden

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen rund 140 000 Beschäftigte in der Kraft- und Wasserwirtschaft in den ostdeutschen Ländern, die in der Vergangenheit in der DDR-Industriegewerkschaft Bergbau, Energie- und Wasserwirtschaft organisiert waren. Die IG Bergbau und Energie erhebt nun auf sie "Anspruch". Von der Bezeichnung der Gewerkschaften her sieht das völlig normal aus, ist es aber beileibe nicht. In der alten Bundesrepublik ist seit Jahrzehnten die ÖTV für die Ieistungsgebundene Energieversorgung mit Strom, Gas, Fernwärme und die Wasserwirtschaft im DGB zuständig. Das ist also der Bereich, aus dem die 140 000 Ost-Gewerkschafter kommen. Und da man sich im Vorfeld der Auflösung des FDGB innerhalb des DGB geeinigt hatte, an den Strukturen der Gewerkschaft bei der Vereinigung beider deutscher Staaten und der Herstellung der Gewerkschaftseinheit nichts zu ändern, waren die Felder eigentlich abgesteckt. Dachte die ÖTV. Nicht so die IG Bergbau und Energie. Sie beschloss auf ihrem außerordentlichen Kongress Anfang September kurzerhand Änderungen ihrer Satzung, die den Organisationsbereich erweiterten. Dadurch schuf man die Voraussetzungen für die Aufnahme eben jener Gewerkschafter aus der Kraft- und Wasserwirtschaft des Ostens. IGBE-Vorsitzender Hans Berger begründete das seinerzeit damit, dass die Organisationsstrukturen der Gewerkschaften an allen Ecken und Enden reformbedürftig seien, dass die Satzung des DGB nicht mehr den Anforderungen der Zeit entspreche und dass sowieso fast alle in Frage kommenden Ostgewerkschafter zur IGBE wollten.

Dazu konnte beim besten Willen die ÖTV kein freundliches Gesicht machten, was die Herren von Bergbau und Energie natürlich vor ihrer Entscheidung wussten. Auch der Dachverband DGB hatte vor dem entscheidenden Kongress ein deutliches Warnsignal abgegeben.

IG Bergbau und Energie riskiert DGB-Ausschluss

Der DGB-Bundesvorstand war zu dem Schluss gekommen, dass Vorgehensweise und Satzungsbeschluss der IGBE gegen die Satzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes verstoßen. Dort heißt es nämlich in Paragraph 15. Ziffer 2: Die in den Satzungen der Gewerkschaften angegebenen Organisationsbereiche und Organisationsbezeichnungen können nur in Übereinstimmung mit den betroffenen Gewerkschaften und nach Zustimmung des Bundesausschusses geändert werden. Da sich die IGBE in keiner Weise reuevoll zeigte, riskierte sie theoretisch sogar den Ausschluss aus dem DGB.

An dem kann keinem recht gelegen sein, weil er die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen im gesamten Deutschland nur erschweren würde. Die ÖTV wiederum kann und will nicht preisgeben, was ihr zusteht. Erstens sind auch 140 000 potentielle Mitglieder für die zweitstärkste Gewerkschaft Im DGB eine politische und finanzielle Größe (für die kleinere IGBE natürlich noch mehr), und zweitens ist schwerlich etwas dem ÖTV-Argument entgegenzusetzen, dass es am besten eine einheitliche gewerkschaftliche Vertretung bei den großen Stromversorgungs-Giganten gibt, die jetzt in West und Ost agieren.

Bewegung zwischen den verhärteten Fronten

Zeigten sich die Fronten lange Zeit verhärtet, könnte nun ein Ende der Auseinandersetzungen zwischen ÖTV und der IG Bergbau und Energie in Sicht kommen. Anfang Dezember wird es zu dem Thema einen Gesprächstermin geben, hatte ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies kürzlich gegenüber der "Berliner Zeitung" erklärt.

Wie schnell dann der Streit beendet werden kann, komme darauf an, ob "die IGBE verstanden hat, wie die Position des DGB-Bundesvorstandes ist oder ob man noch längere Erklärungen braucht", sagte sie. Für die ÖTV ist die Sachlage klar: Das Recht steht auf ihrer Seite. Ein Schiedsverfahren hat sie deshalb auch nicht beantragt, das hat die IGBE getan.

Für die umworbenen, Gewerkschaftsmitglieder dürfte der Streit gegenwärtig von untergeordneter Bedeutung sein. Wer ihre Interessen vertritt, mag manchem gleich sein, Hauptsache, derjenige macht es richtig.

Matthias Loke

Berliner Zeitung, Nr. 281, Sa./So. 01./02.12.1990

Δ nach oben