Forderungen des DGB zur Neugestaltung der Aufgaben der Treuhandanstalt
Die Treuhandanstalt will bis Ende 1994 die Privatisierung der ihr anvertrauten Unternehmen beendet haben. Sie soll dann durch ein "Gesetz zur abschließenden Erfüllung der Aufgaben der Treuhandanstalt" in eine neue Organisationsform überführt werden. Im Hinblick auf die neue gesetzliche Regelung reorganisiert die Treuhandanstalt bereits jetzt ihre Arbeit.
Der DGB legt hiermit Forderungen zur gesetzlichen Grundtage und zur Zielstellung und Ausgestaltung der Aktivitäten der Treuhandanstalt (und ihrer Nachfolgeorganisationen) vor.
I. Stellungnahme zum Entwurf eines "Gesetzes zur abschießenden Erfüllung der Aufgaben der Treuhandanstalt" vom 24.12.1993
Der Gesetzentwurf soll den gesetzlichen Rahmen für die Neuordnung der Aktivitäten der Treuhandanstalt für die Zeit von 1995 an schaffen. Das Treuhand-, das Spaltungs- und das DM-Bilanzgesetz sollen geändert, die Satzung der Treuhandanstalt aufgehoben werden. Der DGB fordert folgende Konkretisierungen bzw. Ergänzungen dieses Gesetzes:
1. Der Gesetzentwurf ermöglicht die Übertragung der Beteiligungen der Treuhandanstalt insbesondere an Unternehmen, auf andere Einrichtungen des Bundes z.B. auf die Bundesvermögensverwaltung oder auf Kapitalgesellschaften. Es muss festgelegt werden, dass der Bund die Beteiligungen mit dem Ziel der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen und der Entwicklung und des Erhalts von Industriestandorten führen soll.
2. Der Gesetzentwurf erlaubt die Übertragung möglichst vieler Aufgabenfelder auf "Private". Das Gesetz sollte einen Katalog der Aufgaben enthalten, die auf keinen Fall auf Private übergehen dürfen, sondern der geplanten Bundesanstalt für vereinigungsbedingtes Sondervermögen übertragen werden sollten. In staatlicher Regie sollten insbesondere bleiben:
• die Kontrolle von Investitions- und Arbeitsplatzzusagen, wie dies auch bei der regionalen Wirtschaftsförderung der Fall ist;
• die weitere Reprivatisierung ehemals volkseigener Unternehmen;
• die Zuordnung ehemals volkseigenen Vermögens an die Kommunen.
3. Der Gesetzentwurf unterwirft die Treuhandanstalt - wie rechtlich zwingend geboten - der Kontrolle durch den Bundesrechnungshof. Die Kontrollpflicht des Bundesrechnungshofes muss auf alle Nachfolgeorganisationen der Treuhandanstalt - unabhängig von ihrer Rechtsform - erstreckt werden, um insbesondere Spekulationsverbote (z.B. bei Liegenschaften) durchzusetzen, Interessenkollisionen (z.B. im Vertragsmanagement) und Korruption auszuschließen.
4. Der Finanzbedarf der Treuhandanstalt soll zukünftig aus dem Bundeshaushalt gedeckt werden. Damit ist eine gewisse haushaltsmäßige parlamentarische Kontrolle sichergestellt die durch einen Bundestagsausschuss "Treuhand" verstärkt werden sollte. - Unabhängig hiervon sollte die Tätigkeit der Treuhandanstalt in den Jahren 1990 bis 1994 durch ein oder mehrere wissenschaftliche Institute, z.B. im Rahmen der Strukturberichterstattung des Bundes, nachvollzogen werden. Die Arbeit der Nachfolgeorganisationen sollte in Zukunft laufend wissenschaftlich begleitet werden.
5. Das Gesetz muss ausdrücklich festlegen, dass die arbeitsmarktpolitischen Leistungsverpflichtungen der Treuhandanstalt auch für die Nachfolgeorganisationen bestehen bleiben. Eine bloße Erwähnung dieser Pflichten in der Begründung zum Gesetzentwurf reicht nicht aus.
6. In allen Unternehmen, Gesellschaften und Bundeseinrichtungen, die mit der Erfüllung der Treuhandaufgaben betraut sind bzw. werden und durch die die Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften unmittelbar betroffen sind, müssen die gesetzliche Unternehmensmitbestimmung bzw. die Mitwirkung der Gewerkschaften, z.B. in dem Strukturbeirat einer neuen Treuhandliegenschaftsgesellschaft, sichergestellt sein.
II. Stellungnahme zur Arbeit der Treuhandanstalt in den Bereichen Privatisierung - Restrukturierung / Treuhandliegenschaften
1. Privatisierung - Restrukturierung
Die Unternehmen, die ganz oder teilweise im Besitz der Treuhandanstalt sind, stellen einen bedeutenden Teil der industriellen Basis der neuen Bundesländer dar. Ihre aktive Sanierung ist unverzichtbar für den Erhalt Industrieller Standorte und Kerne. Deshalb ist es notwendig, die Nachfolgeorganisation der Treuhandanstalt, die für die Industrie zuständig sein wird, auf eine an industriepolitischen Kriterien ausgerichtete Sanierungs- und Entwicklungspolitik für diese Unternehmen festzulegen. Der hierfür notwendige Finanzbedarf sollte auf mittlere Sicht festgelegt werden.
Alle industriellen Beteiligungen sind in einer Obergesellschaft (Holding) zusammenzuführen. Auf diese Holding müssen die üblichen Mitbestimmungsregelungen angewandt werden. In der Holding sollte die industrielle Führung mit dem Schwerpunkt Reindustrialisierung stattfinden. Die Standorterhaltung muss Vorrang vor einer Privatisierung haben, durch die genehmigte Industriestandorte verloren gehen könnten Alle hierfür einsetzbaren Unternehmen, sollten in der Holding zusammengefasst werden. Auch aus dem Abwicklungsbestand sollten rechtzeitig alle die Unternehmen herausgelöst werden und in die Holding eingebracht werden, die für die Erhaltung Industrieller Standorte und die Sanierung Industrieller Kerne notwendig sind.
Die Industrieholding muss die industrielle Führung ausüben und insbesondere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten initiieren. Ziel ist die Herstellung wettbewerbsfähiger Industrieeinheiten die später auch in andere Eigentumsformen überführt werden können. Wesentliches Instrument zur Umsetzung dieser struktur- und industriepolitischen Zielsetzungen ist die zweckgebundene Bereitstellung von Finanzierungsmitteln für die Tochterunternehmen in Form von Eigenkapital und Gesellschaftsdarlehen. Die bestehenden Management-KGs sind unter industriepolitischen Aspekten neu zu ordnen.
Eine teilweise Regionalisierung in dem Sinne, dass in neuzugründende Zwischenholdings auf Länderebene die kleineren, nicht privatisierten Treuhand-Unternehmen eingebracht werden, erscheint sinnvoll. Parallel können die (ostdeutschen) Länder auch Gesellschaftsanteile an der Industrieholding übernehmen. Eine (Minderheits-)Beteiligung privater Kapitalsammelstellen sollte unter Finanzierungsaspekten darüber hinaus offengehalten werden. Die Bildung von Länderholdings unter dem Dach der Industrieholding dient zur intensiveren Betreuung von Klein-und Mittelunternehmen, deren Sanierung - wo es sinnvoll ist - an der Reaktivierung und Entwicklung regional-endogener Potentiale ausgerichtet, werden soll. Dabei ist eine Integration vorhandener länderbezogener Ansätze und Strukturen erforderlich.
Die Definition und begleitende Betreuung überregional bedeutsamer Ansiedlungsprojekte im Sinne der Re-Industrialisierung (d.h. der Aufbau neuer Industriekerne) stellt eine weiten Aufgabe der Industrieholding dar, die sich mit der Bestandspflege und -entwicklung organisch verbindet. Aufgabe der Länderholdings ist die Knüpfung enger Kooperationsbeziehungen zu den Landesentwicklungsgesellschaften.
In Liquidation befindliche Unternehmen, die nicht in die Industrieholding bzw. Länderholdings übergeführt werden, dürfen Ende 1994 nicht schlagartig aufgelöst werden, sondern sie müssen sozialverträglich abgewickelt werden, d.h. möglichst viele Arbeitsplätze müssen erhalten bleiben. Privatisierungen, für die der Bund mit Finanzmitteln einsteht bzw. bürgt, sind auch weiterhin an Auflagen für Investitionen, Arbeitsplätze und Standortsicherungen zu binden. Für bereits privatisierte Unternehmen muss ein Nachsorgekonzept umgesetzt werden, so dass z.B. in Härtefällen (ungleiche Behandlung bei den Altschulden) Nachbesserungen möglich sind. Besonderes Augenmerk ist auf die Management-Buy-Outs bzw. Management-Buy-Ins zu richten bei denen Arbeitnehmerbeteiligungen mit einbezogen worden sind.
2. Treuhandliegenschaften
Die Treuhandliegenschaftsgesellschaft, die z.Zt. nur Immobilienmanagement betreibt, soll in eine "echte Besitzgesellschaft" übergeführt werden. Der Bund verspricht sich von der Schaffung einer Besitzgesellschaft vor allem Einnehmen, während die Länder ein starkes Interesse haben, die Immobilien der Treuhandliegenschaftsgesellschaft für ihre regional- und strukturpolitischen Ziele einzusetzen. Es wäre zu prüfen, ob diesen Zielen durch eine Managementgesellschaft eher gedient wäre als durch eine "Besitzgesellschaft". Dem würde dann auch eine Politik der Verpachtung öffentlichen Grund und Bodens eher entsprechen als ein Verkauf, bei dem fiskalische Interessen im Vordergrund stehen.
Aus Sicht des DGB muss die Treuhandliegenschaftsgesellschaft einen klaren strukturpolitischen Auftrag zur Entwicklung von Industriestandorten aber auch für eine geordnete städtebauliche und wohnbauliche Entwicklung erhalten. Deshalb darf die "schnellstmögliche Privatisierung" nicht vorrangiges Ziel der Geschäftspolitik der Treuhandliegenschaftsgesellschaft sein. Die Länder (und ggf. auch die Kommunen) müssen an einer neuen Treuhandliegenschaftsgesellschaft direkt beteiligt sein. Die Länder können dann ihre Interessen in der Geschäftspolitik der Treuhandliegenschaftsgesellschaft unmittelbar geltend machen und insbesondere die Zusammenarbeit mit den Landesentwicklungsgesellschaften organisieren.
Zur Wahrung von raumordnungs- und regionalpolitischen Belangen soll bei der Treuhandliegenschaftsgesellschaft ein Strukturbeirat gebildet werden und es sollen zusätzlich Länderbeiräte installiert werden. Bei direkter Beteiligung der Länder an der Treuhandliegenschaftsgesellschaft wären Länderbeiräte überflüssig.
Die Einflussmöglichkeiten des Strukturbeirates müssen spezifiziert werden:
• Der Strukturbeirat sollte ein volles Informationsrecht über alle Aktivitäten der Treuhandliegenschaftsgesellschaft haben.
• Geschäfte bestimmter Größenordnungen (z.B Entwicklung großer städtebaulicher oder Industrieflächen) sollten zustimmungspflichtig sein.
• Es sollten notwendige Koordinierungen zwischen der strukturbedeutsamen Politik der Treuhandliegenschaftsgesellschaft und den Strukturentwicklung- und Förderkonzepten der Länder initiiert werden. Darüber hinaus ist eine Mitwirkung der Gewerkschaften vorzusehen. Vorbild könnte die sog. "Konzertierung" mit den sozialen Partnern sein, wie sie in der EU-Strukturfondspolitik vorgeschrieben ist.
• In dem Strukturbeirat sollten die Gewerkschaften als Vertreter relevanter strukturpolitischer Belange vertreten sein.
Die Treuhandliegenschaftsgesellschaft sollte nicht mit hoheitlichen Aufgaben wie Restitution, Reprivatisierung und Vermögenszuordnung befasst werden. Diese Aufgaben müssen einer rein hoheitlichen Institution vorbehalten bleiben. Flächen, die den Kommunen zustehen, sollten in keinem Fall an die Treuhandliegenschaftsgesellschaft übertragen werden.
Die Ausgliederung der Bewirtschaftung und Verwertung der Wohnungsobjekte der Treuhandliegenschaftsgesellschaft in eine Geschäftsbesorgungs GmbH (mit nachfolgender Privatisierung) wird vom DGB abgelehnt. Wohnungsverwertung und -bewirtschaftung muss an konkrete Auflagen gebunden sein:
1. Überprüfung, ob regionale Einheiten, insbesondere Werkswohnungsbestände, in Nutzer-Genossenschaften umgewandelt werden können.
2. Vor dem Angebot zum Kauf an die Mieter, muss eine Grundsanierung (Dächer, Wärmeisolierung, Heizsysteme, ...) vorgenommen werden, um Fördermittel effizient einsetzen zu können.
3. Nimmt der Mieter sein Vorkaufsrecht nicht wahr, muss es eine verlängerte Kündigungsschutzfrist für den Mieter über die gesetzlichen Regelungen hinaus geben, falls die Wohnung an Dritte verkaufen wird, um Spekulation und mieterverdrängende Luxussanierung auszuschließen.
Beschluss des DGB-Bundesvorstandes vom 12. April 1994