Wer unsere Rechte kippt, zwingt, uns zum Handeln

Maulkorb für Gewerkschaften?

Gespräch mit Martin Vogler vom Geschäftsführenden Vorstand des Dachverbandes

• 1:1 ist raus - doch kann das schon alles sein?

Auf den ersten Blick ist das ein Erfolg auch unserer gewerkschaftlicher Aktivitäten. Auf den zweiten entdeckt man an der scheinbaren Bevorzugung doch einige Schönheitsfehler. Das betrifft vor allem die Absicht die Spareinlagen und Bargeld zusammen nur bis zu einer Höhe von 4 000 Mark umzustellen; mit höheren Sozialabgaben kommen weitere Belastungen; zur Mietpreissicherung vermissen wir Verbindliches. Die Situation ist ähnlich wie vorm 18. März: viele Versprechen, viele Emotionen. Zu Lohnsteigerungen wurde gar nichts gesagt.

• Diese soll ja die jeweilige Gewerkschaft ab Juli einfordern . . .

Ich halte das aus heutiger Sicht für illusionär. Im freien Spiel der Kräfte neue Tarife auszuhandeln - das geht in einer leistungsfähigen Marktwirtschaft. Doch angesichts unserer ökonomischen Misere sind andere Dimensionen erkennbar. Ich fürchte, die Gewerkschaften bekommen einen Maulkorb umgebunden und ihnen werden unmäßige Forderungen unterstellt. Also haben sie den Schwarzen Peter.

• Zur gemeinsamen Mai-Feier mit dem DGB gibt es Missverständnisse?

Unsererseits nicht. Wir stehen zu unserem Wort, wie am 3. April im Lustgarten versprochen. Rückbesinnung auf gewerkschaftliche Kampftraditionen, deutlicher Bruch mit der Vergangenheit, Sichtbarmachen von Solidarität - dazu hat sich der Dachverband von Anfang an bekannt. Ich finde es schade, wenn einige - wie die Berliner Metaller - eigene Aktionen zum 1. Mai entfalten. Bis jetzt gibt es aber nichts, das die gemeinsame Mai-Kundgebung gefährden könnte.

• Wehrt ihr euch, wenn das Gewerkschaftsgesetz fällt?

Das hatte wohl keinen Zweck. Es entstand ja unter anderen Voraussetzungen. Ich meine, wir müssen erreichte Positionen behaupten. Streikrecht, Tarifautonomie, Aussperrungsverbot bleiben unverzichtbare gewerkschaftliche Forderungen. Wer das kippt, zwingt uns zum Handeln. Wir messen der Mitbestimmung - über das Betriebsverfassungsgesetz, Tarifgesetz u. a. - deshalb so große Bedeutung bei, weil das eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Demokratie in den Betrieben ist.

• Sieht das der DGB nicht ähnlich?

Durchaus. Er attackiert selbst das Betriebsverfassungsgesetz der BRD. Es wäre gut, könnten unsere spezifischen Bedingungen die Diskussionen darüber befördern. Die bloße Übernahme halte ich für verantwortungslos.

• Unschöne Reaktionen gibt es jedoch auch gegenüber dem FDGB . . .

Es befremdet schon, wenn Mitglieder von Führungsgremien des DGB und solche, die dort tätig werden wollen, uns die demokratische Legitimation absprechen. Ich halte da entgegen: Wir sind basisdemokratisch gewählt worden auf einem Kongress aus mehreren Kandidaten heraus. Insofern bin ich auf den DGB-Kongress im Mai gespannt. Im Sinne der vielfältig gewachsenen Kontakte zwischen den Gewerkschaften beider Länder und im Interesse der Mitglieder hoffe ich, danach auf eine konstruktive Zusammenarbeit beider Dachverbände.

jz

Tribüne, Fr. 27.04.1990

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