Exklusiv-Interview des ND mit HEINZ-WERNER MEYER, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Interessen durch Kooperation und Konflikt durchsetzen
Sie haben sich zweimal beim Bundeskanzler mit den Spitzen der Unternehmerverbände getroffen. Besteht nicht die Gefahr, dass mit Hinweis auf die wirtschaftliche Lage im Osten die Gewerkschaften jetzt zum Stillhalten veranlasst werden sollen?
Heinz-Werner Meyer: Es gibt manche, die das wollen. Das wird aber nicht geschehen. Es liegt doch an den Gewerkschaften selbst, wie sie agieren, nicht nur wie sie reagieren. Entscheidend ist, wie wir unsere eigene Politik unter die Menschen bringen, und da lassen wir uns wenig von der Wirtschaft und von Regierungen beeinflussen. Aber reden wollen und müssen wir selbstverständlich mit Wirtschafts- und Regierungsvertretern. Wir wollen Arbeitnehmerinteressen durchsetzen: Kooperation und Konflikt sind dafür gleichermaßen sinnvoll.
Wie stellen Sie sich den Weg zu starken Gewerkschaften im Osten unseres Landes vor?
Heinz-Werner Meyer: Es gibt nur einen Weg: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen in die Gewerkschaften kommen, um so gemeinsam ihre Interessen vertreten zu können Dies ist in vollem Gange. Das erfordert noch Zeit, aber ich bin zuversichtlich, dass wir schon bald die notwendige Stärke erlangen können, um in den fünf neuen Bundesländern aktionsfähig zu werden.
Das heißt, Sie sehen auf die Gewerkschaften Aktionsbedarf zukommen?
Heinz-Werner Meyer: Ja natürlich sehe ich dafür Gründe. Die liegen ja geradezu auf der Straße. Aktionsfähigkeit heißt doch nicht in jedem Falle, gleich in den Streik zu treten. In einem Betrieb zu streiken, der keine Aufträge hat und deshalb keine Arbeit, dies wäre unsinnig. Aber dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft in Gang kommt, dass nicht nur Arbeitsplätze vernichtet werden, sondern neue Arbeitsplätze entstehen, das halte ich für wichtig und notwendig.
Heinz-Werner Meyer: Wir dürfen nicht darauf warten, dass alles zusammenbricht und auf den Trümmern Neues entsteht, sondern müssen dafür eintreten, dass das wenige Vorhandene so gut entwickelt wird, dass es Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit erlangt und damit dann wirklich dazu beiträgt, Arbeit zu schaffen.
Die Gewerkschaften werden also Vorschläge unterbreiten, wie man Betriebe umprofilieren, Arbeitskräfte umschulen kann?
Heinz-Werner Meyer: Das werden wir nicht auf einen Betrieb bezogen können. Es ist auch nicht die Aufgabe der Gewerkschaften, einzelnen Betrieben Vorschriften zu machen oder Ratschläge zu geben, welche anderen Produkte sie entwickeln sollten oder können. Aber insgesamt dafür einzutreten, dass die Modernisierung und die Umwandlung der Betriebe erfolgt, das gehört schon zu den gewerkschaftlichen Aufgaben. Strukturpolitik zu entwickeln und dafür Vorschläge zu machen gegenüber den Ländern, die jetzt entstanden sind, das halte ich für sehr wichtig.
Wann und in welcher Form werden Sie diese Vorschläge vorlegen?
Heinz-Werner Meyer: Wir werden versuchen, in Gespräche einzutreten mit den Regierungen und natürlich mit den Parlamentsspitzen der neuen Bundesländer, um das eine oder andere auch im Dialog zu entwickeln. Ich halte nicht viel davon, anderen nur etwas überzustülpen, was wir allein für richtig halten. Wichtiger ist der Versuch, dies gemeinsam mit denjenigen zu tun, die in der früheren DDR gewirkt haben. Die verstehen mehr als wir von den Schwierigkeiten und Problemen, die es gegenwärtig dort gibt und die gelöst werden müssen.
Sie haben während der Gespräche mit Wirtschaft und Politik Mitsprache bei der Treuhandanstalt gefordert, was allerdings nicht eben auf Gegenliebe stieß. Wie stellen Sie sich denn die Durchsetzung vor?
Heinz-Werner Meyer: Es gibt einen ganz einfachen Weg. Die alten Kombinatsdirektoren, die dort noch drin sind, sollten ihre Plätze räumen und diese Plätze sollten von den Gewerkschaften und damit von Vertretern der Arbeitnehmer eingenommen werden. Im übrigen will ich darauf hinweisen, dass die gesetzliche Grundlage für die Zusammensetzung des Verwaltungsrates ja nicht durch die Bundesregierung oder den Bundestag geschaffen worden ist, sondern durch die Volkskammer. Und mich hat schon gewundert, dass die Volkskammer ein Gesetz geschaffen hat, das keine Mitbestimmung der Arbeitnehmer vorsah.
Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass es nun durch Sonderregelungen für den Osten mittelfristig insgesamt eine Aushöhlung des westlichen Arbeits- und Sozialrechtes, also gewerkschaftlicher Errungenschaften, geben wird?
Heinz-Werner Meyer: Die Gefahr ist dann ganz gering, wenn die Gewerkschaften stark sind und zwar insgesamt, in der früheren Bundesrepublik und in der neuen, und wenn sie bereit und fähig sind, die Interessen der Arbeitnehmer zu verteidigen.
Bundeswirtschaftsminister Haussmann kann sich die ostdeutschen Betriebe als Vorreiter für neue flexible Arbeitszeitlösungen vorstellen. Ist das ein Pflock gegen die 35-Stunden-Woche?
Heinz-Werner Meyer: Herr Haussmann mag dies so betrachten, der kann sich vieles vorstellen, nur, wer genau hinsieht, der stellt fest, dass Herr Haussmann nur sehr wenig in die Tat hat umsetzen können. Und wenn ich das richtig sehe, ist er ja, was die Probleme der fünf neuen Bundesländer anbetrifft, abgesehen von einigen Erklärungen, gänzlich untätig.
Halten Sie die Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in allen Bundesländern derzeit für durchsetzbar?
Heinz-Werner Meyer: Wenn derzeit der jetzige Augenblick ist, dann halte ich sie - ich möchte das Wort durchsetzbar vermeiden - für noch nicht möglich, noch nicht verwirklichbar. Daran will ich hier keinen Zweifel lassen. Die Höhe der Einkommen und die Qualität der Arbeitsbedingungen hat natürlich etwas mit der Entwicklung der Leitungsfähigkeit der Wirtschaft zu tun. Wenn die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft eine andere gewesen wäre in der früheren DDR, wären die Einkommen ja auch höher gewesen. Es gibt doch niemanden, der so naiv wäre anzunehmen, dass eine grundlegende Veränderung über Nacht oder innerhalb eines halben Jahres eintreten könnte. Aber ich bin der Meinung, dass die Differenz schnell aufgehoben werden muss. Wenn dies nicht geschehen würde, werden die Spannungen zwischen den Menschen in den fünf neuen und den übrigen Bundesländern wachsen. Dass dies vermieden wird, daran müssen alle ein Interesse haben.
Können Sie das "schnell" beziffern?
Heinz-Werner Meyer: Ich werde das nicht beziffern. Andere haben das ja mittlerweile getan, wie ich gehört haue, aber nur für einzelne Sektoren der Wirtschaft. Ein Datum würde uns einerseits unter einen nicht notwendigen eigenen Handlungsdruck setzen und es würde andererseits dieses Ziel möglicherweise als unerreichbar erscheinen lassen. Und beides wäre falsch. Worauf es ankommt ist, eine Politik zu entwickeln und sie durchzusetzen, die die Erreichung dieses Zieles schnell möglich macht.
Was wird aus der Einheitsgewerkschaft DGB angesichts des deutsch-deutschen Einigungsprozesses? Wird es Platz auch für Leute beispielsweise links von der SPD oder eher so etwas wie einen Unvereinbarkeitsbeschluss geben? Manche Einzelgewerkschaften haben ja da Andeutungen in Richtung PDS gemacht?
Heinz-Werner Meyer: Ich glaube, diese Andeutungen muss man doch etwas differenzierter betrachten. Ich kann eindeutig und ganz klar sagen, dass die Möglichkeiten zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft des deutschen Gewerkschaftsbundes nahezu unbegrenzt sind. Eine Parteizugehörigkeit allein ist ja kein Ausschließungs- oder Ausgrenzungsgrund gewesen, auch nicht in der Vergangenheit. Eher politisches oder tatsächliches Verhalten, was möglicherweise durch die Mitgliedschaft in einer politischen Partei begründet werden kann, aber nicht muss. Also ich sehe nicht, dass allein die Mitgliedschaft in der PDS ein Ausschließungsgrund für Gewerkschaftsmitgliedschaft in der Einheitsgewerkschaft sein kann. Von Abgrenzungs-, Ausgrenzungs- oder ähnlichen Beschlüssen halte ich überhaupt nichts.
Die ehemaligen DDR-Gewerkschaften bringen eine große Zahl Mitglieder ein, in den Vorständen aber spiegelt sich das wohl nicht proportional wider.
Heinz-Werner Meyer: Also Sie scheinen da mehr zu wissen als ich. Wir wissen im Moment noch gar nicht, wie viele Mitglieder die Mitgliedsgewerkschaften des DGB auf dem Boden der früheren DDR haben werden. Meine Hoffnung ist, dass es möglichst viele werden. Dann müssen zunächst die unteren Strukturen auf demokratische Weise geschaffen werden. Das liegt doch auf der Hand, dass die Gewerkschaftsmitglieder in Dresden, in Leipzig oder sonst wo bei Wahlen auf der örtlichen oder regionalen Ebene, die es demnächst geben wird, diejenigen wählen werden, die aus dieser Region oder dieser Stadt kommen. Es wird natürlich Ausnahmen geben und keine Beschränkungen. Und dies wird dazu führen, dass sich auch die Zusammensetzung von Vorständen in der Spitze ändert. Aber natürlich gab und gibt es keine Vorschrift, die besagt, dass die Vorstände die verschiedenen Regionen repräsentieren müssen.
Das Gespräch führte unser Bonner Korrespondent FRANZ HELLING
Der Deutsche Gewerkschaftsbund vereint 17 Einzelgewerkschaften mit bislang knapp acht Millionen Mitgliedern. Zum deutsch-deutschen Einigungsprozess gehört es nicht nur, dass sich deren Mitgliederzahl wahrscheinlich beträchtlich vergrößern wird, sondern dass auch soziale Probleme in neuen Dimensionen auf die Arbeitnehmervertretung zukommen. Im Düsseldorfer Sitz des Bundesvorstandes antwortete DGB-Vorsitzender Heinz-Werner Meyer auf die Fragen des ND.
Neues Deutschland, Di. 13.11.1990