Auflösungskongress des FDGB 14.09.1990
Berichte aus Tribüne, Junge Welt, Berliner Zeitung
Berlin (l. A. - Eig. Ber.) Heute schlägt dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund die letzte Stunde. Zur Auflösung des FDGB treffen sich 132 Delegierte aus 21 Industriegewerkschaften und Gewerkschaften im Berliner Haus "Am Märkischen Ufer", das damit zum Schauplatz des letzten Aktes des gewerkschaftlichen Trauerspiels einer einst 9,5 Millionen Mitglieder zählenden Organisation wird.
Entsandt wurden die Delegierten nach einem Schlüssel, der jeder Einzelgewerkschaft drei Delegierte sowie einen werteren je 200 000 Mitglieder zugesteht. Unter ihnen sind sechs der sieben Mitglieder des am 31. 1. / 1. 2. 90 vom Außerordentlichen Kongress gewählten Vorstandes des Dachverbandes. Die seinerzeit gekürte vierte und letzte Vorsitzende der DDR-Gewerkschaftsorganisation, Helga Mausch, wurde auf Grund ihres Gesundheitszustandes und auf eigenen Wunsch von jeglicher Tätigkeit entbunden und nimmt nicht am Auflösungskongress teil.
Dem 13. und letzten DDR-Gewerkschaftskongress liegen fünf Grundsatzanträge zur Beschlussfassung vor. Danach soll der FDGB mit Wirkung zum 30. September 1990 als Dachverband der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften aufgelöst werden. "Der am 9. 5. 1990 eingeleitete Prozess zur Auflösung des FDGB und die Bildung eines Sprecherrates waren notwendig und hatten keine Alternative. Das Vertrauen in den FDGB war verloren", heißt es in dem Dokument.
Des weiteren ist über das Vermögen des FDGB zu entscheiden. Nach Angaben der Kommission zur treuhänderischen Verwaltung der Vermögen der Altparteien und ihnen nahestehender Massenorganisationen hatte der FDGB per 7. Oktober 1989 allein im Grundmittelbereich, Gebäude und bauliche Anlagen im Bruttowert von 1,2 Milliarden DDR-Mark. Dazu kam der Feriendienst mit 500 Objekten und Immobilien. Nach vorliegendem Antrag sind alle Vermögenswerte des Bundesvorstandes des FDGB in die Gewerkschaftliche Vermögensverwaltungsgesellschaft "Märkisches Ufer" (GVVG) einzubringen.
Nach Auflösung und Liquidation des FDGB erwartet der Kongress vom DGB, dass er die wirksame Vertretung der sich mit ihren Partnern aus der BRD einigenden Einzelgewerkschaften übernimmt.
Nach vorliegendem Zeitplan soll in vierstündiger Konferenz der Schlusspunkt unter die 45jährige Geschichte einer Organisation gesetzt weiden, die den Anforderungen der Zeit nicht standhielt. Es wird eine sang- und klanglose Beerdigung.
Tribüne, Nr. 178, 46. Jahrgang, Fr. 14.09.1990
ADN/AP. In Ost-Berlin hat am Freitag der Kongress zur Auflösung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) begonnen. Der Vorsitzende des Sprecherrates der DDR-Einzelgewerkschaften. Peter Rothe, begründete vor den rund 150 Delegierten den Antrag, der die Auflösung des Dachverbandes zum 30. September 1990 vorsieht. Er unterstrich, dass der am 9. Mai eingeleitete Prozess zur Auflösung des FDGB als Dachverband und die Bildung des Sprecherrates notwendig waren und keine Alternativen hatten. Künftig soll der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Vertretung der sich mit ihren bundesdeutschen Partnern vereinigenden Einzelgewerkschaften auch auf dem Territorium der heutigen DDR übernehmen und damit für die 16 Länder des gemeinsamen Deutschlands zuständig sein. Rothe forderte dazu auf, "mit Würde und Anstand die Geschichte des FDGB zu beschließen".
Hauptsächlichstes Thema des Auflösungskongresses ist die künftige Verwaltung und Verwendung des FDGB-Vermögens, das mit 400 bis 500 Millionen DM angegeben wird. Der von der FDJ, die zur Finanzierung des 89er Pfingsttreffens widerrechtlich 100 Millionen Mark vom Bundesvorstand Harry Tischs erhalten hatte, zurückgezahlte Betrag von 50 Millionen DDR-Mark sei entsprechend der Beschlüsse des außerordentlichen FDGB-Kongresses vom Januar verwendet worden. Demnach erhielten beispielsweise die Volkssolidarität 7,3 Millionen Mark, das Ministerium für Gesundheits- und Sozialwesen 30,1 Millionen, der Behindertenverband 2,5 Millionen und der Arbeitslosenverband eine Million.
Es ist vorgesehen, alle Vermögenswerte des FDGB in eine Vermögensverwaltungsgesellschaft einzubringen. Nach Ablauf eines Jahres wird dieses Vermögen in die Hände des bundesdeutschen DGB übergehen. Mit der Abwicklung der Liquidierung wurden Rainer Schramm von der IG Chemie-Glas-Keramik, Ludwig Penig von der Gewerkschaft Wissenschaft und der Westberliner Wirtschaftsprüfer Herbert Brönner beauftragt.
JW sprach auf dem Auflösungskongress mit dem letzten Schatzmeister der ehemaligen Staatsgewerkschaft, Klaus Umlauf.
Was bleibt unterm Strich?
Gut 900 Millionen Mark Grundmittel, einschließlich eines Bargeldbestandes von rund 15 Millionen.
Zu Jahresbeginn betrug das FDGB-Gesamtvermögen noch über fünf Milliarden Mark. Wo ist denn der "Rest" geblieben?
Bei eindeutiger Rechtslage haben auch wir mehrere GmbH gebildet. Zum Beispiel das Berliner Congress-Center am Märkischen Ufer, den Tribüne-Verlag und die Druckerei, einen Kaulsdorfer Baubetrieb sowie ein Reisebüro-Feriendienstunternehmen. Allein auf letztere entfallen knapp drei Milliarden Mark.
Ist die Lage damit bei allen rund 500 ehemaligen FDGB-Ferienobjekten schon geklärt?
Nein. Bei über 200 vom FDGB genutzten ehemaligen volkseigenen Ferieneinrichtungen im Wert von knapp zwei Milliarden Mark die Rechtslage noch unklar.
Was wird mit ihnen?
Wir übergeben sie der Treuhandgesellschaft, die letztlich entscheidet.
Hatte der FDGB auch Vermögen im Ausland?
Nein, weder Barvermögen noch Immobilien.
Was passiert nach dem Kassensturz mit den verbleibenden Millionen?
Sie kommen nach Abwicklung der Liquidation den neuen Einzelgewerkschaften zugute.
Interview: Peter Conradi
Junge Welt, Nr. 216 B, 37. Woche, 44. Jahrgang, Sa. 15.09.1990
Berlin. BZ - M. Loke Nach drei Stunden und 20 Minuten Kongressdauer war es vorbei: Mit Wirkung vom 30. September 1990 ist der FDGB aufgelöst, beschlossen die Gewerkschaftsdelegierten gestern in Berlin. Mit dem 3. Oktober wird der DGB für alle 16 Bundesländer zuständig.
Kurz und schmerzlos wurde das letzte Kapitel der viereinhalb Jahrzehnte und der einst über neun Millionen Mitglieder zählenden Massenorganisation abgeschlossen. Keine Gegenstimme zum Auflösungsantrag, keine Debatte darüber unter den 114 Delegierten. Einzig die Frage des Vermögens des alten FDGB rief eine nennenswerte Diskussion hervor. Einigkeit herrschte in dem Punkt. dass man nur mit tatsächlich rechtmäßigem Eigentum in der Zukunft hantieren will.
Hartwig Bugiel von der IG Metall rechnete vor, dass die Metaller rund ein Fünftel Anteil am Gesamtvermögen des FDGB hätten. Vor der Begleichung von Verbindlichkeiten sollte ein Teil des Eigentums auf die einzelnen Gewerkschaften aufgeteilt werden. Die IG Druck und Papier unterstützte dies mit dem Antrag. Immobilien zur Nutzung in Eigentum zu übergeben. Die Kongressmehrheit schmetterte dieses Ansinnen ab und stimmte für den ursprünglich vorgelegten Grundsatzantrag. Danach werden die Vermögenswerte in die Vermögensverwaltungsgesellschaft „Märkisches Ufer" überführt. Daraus werden alle Verbindlichkeiten des FDGB abgedeckt. Der mögliche Rest kommt den Einzelgewerkschaften zugute. Das Gesamtvermögen (Bruttowert) einschließlich Immobilien wurde auf zwischen 400 und 500 Millionen DM geschätzt.
Der Kongress beschloss weiter, den Solidaritätsfonds in Form von Immobilien der UNICEF zu übertragen. Die volkseigenen unbeweglichen Grundmittel des Feriendienstes übernimmt die Treuhand.
Berliner Zeitung, Nr. 216, 46. Jahrgang, Sa./So. 15./16.09.1990