Ist das Recht auf Arbeit für Bürger jetzt personengebunden?

Bei Einstellung Streik angedroht

Wir fragten nach bei Birgit B(...), Ratsmitglied für Arbeit in Mühlhausen

• Wie ist bei euch jetzt die Situation?

Turbulent, zum Teil auch deprimierend. Rund 150 Betriebe und Einrichtungen stehen auf unseren Listen. Alle wollen nun ihren Verwaltungsapparat abspecken. Unser Eindruck: Viele handeln dabei kopflos, überstürzt.

• Wo spürt man das?

Bereits frei gemeldete Stellen werden wieder zurückgezogen. Ein ständiges Hin und Her. Gegenwärtig können wir kaum noch Arbeitsplätze für Hoch- und Fachschulkader vermitteln. Doch eben solche Tätigkeiten suchen ja die ehemaligen Partei- Gewerkschaftsfunktionäre, jene aus den Dienstellen des aufgelösten Amtes für Nationale Sicherheit. Sie kommen jetzt verstärkt zu uns.

• Wie viele waren es in letzter Zeit?

Etwa 100. Die meisten von ihnen sind Staatswissenschaftler oder absolvierten ein Ökonomie-Studium. Gefragt in unseren Betrieben sind ihm ganz andere Berufe: Maschinenbauer, Dreher, Monteure, Stricker.

• In welcher Weise versucht ihr zu helfen?

In den letzten drei Wochen waren wir in 30 Betrieben, sprachen mit den Direktoren. Wir stellten fest: Sie sind größtenteils bereit, die Leute unterzubringen, die sich ja meist auch umschulen lassen wollen.

• Und die Reaktion in den Kollektiven?

Sie denken darüber oft ganz anders. Im "Möve"-Werk, einem zum Kombinat Nutzkraftfahrzeugbau Ludwigsfelde gehörenden Betrieb, gab es regelrecht Streikandrohungen.

• Worum ging es konkret?

Beispielsweise um den ehemaligen SED-Kreissekretär von Mühlhausen. Er war noch gar nicht vermittelt, doch die Kollegen bei "Möve" wussten, ihr Direktor für Kader und Bildung steht kurz vor der Invalidisierung. Und da konnte ja der Kreissekretär . . .

Aus Dienstleistungseinrichtungen wie "Telelux" oder einem "Esda"-Betrieb in der Gemeinde Diedorf ist uns ähnliches bekannt. In letzterem wurde der Betriebsdirektor abberufen, auch Parteisekretär und BGL-Vorsitzender verließen das Werk. Bisherige Vermittlungsversuche brachten nichts. Im Moment sind sie also arbeitslos

• Gibt`s denn in solchen Fällen finanzielle Unterstützung?

Es wird von einem Sozialfonds gesprochen. Doch wer entscheidet darüber, woher kommen die Mittel dafür? Betroffen sind auch die sogenannten Problembürger, derer sich Betriebe nach unseren Erfahrungen jetzt systematisch entledigen. Wir haben viele Fragen, zu wenige Antworten. Das Ministerium für Arbeit und Löhne ließ uns bisher ziemlich allein.

• Welche Entscheidungen haltet ihr jetzt für besonders dringend?

Es müssen eindeutige gesetzliche Regelungen her, die alle mit Rationalisierungsmaßnahmen zusammenhängenden Fragen fixieren. Das Arbeitsgesetzbuch reicht dafür nicht aus.

Wir haben nun selbst viel dazuzulernen, müssen uns einstellen auf die neue Situation. Kürzlich schauten wir uns im Arbeitsamt Eschwege (BRD) um. Informierten uns, wie dort Umschulungen organisiert werden, wer die Kosten dafür übernimmt, wie ein Arbeitsbeschaffungsplan aussieht. Bisher waren solche Begriffe ja Fremdwörter für uns. Wir wollen diese Kontakte fortsetzen.

Petra Klars

Tribüne, Do. 28.12.1989

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