AKTIONSPROGRAMM

des gewerkschaftlichen Dachverbandes

Die Gewerkschaften sind unabhängig vom Staat, von allen Parteien, Organisationen und Bürgerbewegungen. Sie werden sich für eine humane, demokratische und sozial gerechte Gesellschaft einsetzen, die Vollbeschäftigung sichert, ökologisch ausgewogen und wirtschaftlich leistungsfähig ist. Gewerkschaften sind politisch pluralistisch. Sie werden die antifaschistischen, humanistischen und christlichen Traditionen der deutschen Gewerkschaftsbewegung bewahren und sich gegen Rassendiskriminierung, Nationalismus und Neofaschismus, Stalinismus sowie gegen jegliche Diktatur wenden.

Grundsätzlicher Auftrag der Gewerkschaften ist der Schutz und die Vertretung der Interessen der Werktätigen.

Der Bund ist in seinen Beschlüssen als freiwillige Vereinigung eigenständiger Industriegewerkschaften und Gewerkschaften an nichts anderes gebunden als an die Verfassung der DDR, an die Rechtsvorschriften, die eigene Satzung sowie an die in der DDR ratifizierten ILO-Koventionen. Er bestimmt seine Ziele und Aufgaben selbst und ist nur seinen Mitgliedern rechenschaftspflichtig.

1. Gewerkschaften fordern die schnellstmögliche Sicherung ihres Mitbestimmungsrechtes in Betrieben aller Eigentumsformen

• Sie setzen sich ein für eine neue Verfassung, ein Wahlgesetz, ein Vereinigungsgesetz, ein Gewerkschaftsgesetz, ein Änderungsgesetz zum AGB.

• In diesen Gesetzen ist ein umfassendes Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht in Betrieben aller Eigentumsformen zu sichern. Es muss Vereinbarungs-, Vorschlags-, Informations-, Kontroll- und Zustimmungsrecht der gewerkschaftlichen Interessenvertretung im personellen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich garantieren. Einen Angriff auf diese Rechte werden die Gewerkschaften nicht kampflos hinnehmen.

Bis zur Rechtswirksamkeit neuer Gesetze ist die volle Gültigkeit des AGB zu garantieren.

• Ein Vetorecht der gewerkschaftlichen Interessenvertretung zum Schutz der Werktätigen wird bei

- Veränderung der Eigentumsverhältnisse

- Auflösung des Betriebes

- Produktionsein- oder -umstellungen

- Stilllegung oder Teilstilllegung des Betriebes

- Einstellungen und Entlassungen

- Verteilung von Prämien-, Kultur- und Sozial-, Lohn- und Leistungsfonds

- Einrichtung und Schließung von betrieblichen Sozialeinrichtungen gefordert.

• Mitglieder und Funktionäre der Gewerkschaften dürfen in der Interessenvertretung nicht behindert werden und müssen sozial sichergestellt sein.

2. Die Gewerkschaften setzen sich für eine zügige und umfassende Wirtschaftsreform ein

• Die Wirtschaftsreform muss den Grundinteressen der arbeitenden Menschen entsprechen und den erreichten sozialen Standard sichern und ausbauen.

Gefordert wird eine Wirtschafts- und Sozialordnung, die soziale Sicherheit auf Dauer gewährleistet.

• Bei allen Veränderungen der Struktur und Organisation von Betrieben setzen sich die Gewerkschaften für rechtzeitige Maßnahmen zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit durch Schaffung neuer Arbeitsplätze, durch Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsprogramme, durch Verkürzung der Tages- und Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, ein.

Die Gewerkschaften treten ein für Verkürzung der Tages- und Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, für Verkürzung der Lebensarbeitszeit und eine Vorruhestandsregelung.

• Gewerkschaften fordern, die Stabilität und Entwicklung von Wirtschaft und Währung zu sichern. Es muss ein reibungsloser, effektiver Produktionsablauf geschaffen werden, damit Arbeit wieder Sinn hat und den Lebensunterhalt sichert.

• Gewerkschaften treten für eine direkte Beteiligung der Arbeitenden an den wirtschaftlichen Ergebnissen des Betriebes entsprechend dem Leistungsprinzip ein.

• Gewerkschaften werden unterstützen, dass allen Eigentumsformen gleich gute Entwicklungschancen eingeräumt werden. Voraussetzung dafür ist, dass in allen Betrieben und Unternehmen die gleichen arbeitsrechtlichen Regelungen und Prinzipien der gewerkschaftlichen Mitbestimmung gelten.

3. Die Gewerkschaften fordern eine Reform der Tarifpolitik

• Die Gewerkschaften treten für die uneingeschränkte Verwirklichung des Leistungsprinzips als unverzichtbares Handlungs- und Verteilungsprinzip in einer marktwirtschaftlich orientierten, sozial gerechten Gesellschaft ein.

Grundlage der gewerkschaftlichen Tarifpolitik ist die Durchführung und Offenlegung von Analysen zur Reallohnentwicklung. Wirtschafts-, Tarif- und Steuerreform müssen eine Einheit bilden.

• Die Gewerkschaften fordern,

- das Leistungsprinzip in allen gesellschaftlichen Bereichen, allen Ebenen in der Wirtschaft und unter den Bedingungen aller Eigentumsformen durchzusetzen; Tarifautonomie haben die IG/Gew.

- eine von der Leistung und der Qualifikation abhängige Lohn-und Gehaltsentwicklung und begründete Einkommensrelationen zwischen den Beschäftigtengruppen und Bereichen entsprechend dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" unabhängig von Alter, Religion, Nationalität, Geschlecht und Territorium

- die Lohn- und Tarifpolitik demokratisch, durchschaubar, solidarisch und verständlich zu gestalten. Der Arbeitslohn muss Haupteinkommensquelle für die Werktätigen und ihre Familien sein und bleiben; der persönlich erarbeitete Lohn muss garantiert sein.

4. Der Kampf um soziale Sicherheit wird ein Hauptinhalt der gewerkschaftlichen Interessenvertretung

Die Gewerkschaften treten dafür ein, dass soziale Grundwerte, wie das Recht auf Arbeit und Vollbeschäftigung, auf Bildung und Beruf, auf umfassende gesundheitliche Betreuung und Versorgung sowie auf menschenwürdige Wohnverhältnisse erhalten bleiben und schrittweise ausgebaut werden.

Sie setzen sich dafür ein, dass in einem Schutzabkommen zwischen dem Bund und der Regierung rechtliche Regelungen zur Erarbeitung von Sozialprojekten bei Rationalisierungsmaßnahmen geschaffen werden.

• Gewerkschaften treten dafür ein,

- in allen Betrieben Fonds aus Kosten und Gewinn sowie bei haushaltsfinanzierten Einrichtungen aus dem Staatshaushalt zur Absicherung betrieblicher Sozialpolitik zu bilden

- eine differenziertere Sozialpolitik, die neuen sozialen Bedürfnissen gerecht wird und Leistungs- und Sozialprinzip ohne Gleichmacherei verbindet, zu gestalten.

• Gewerkschaften treten ein für

- Integration der Behinderten aller Schädigungsarten und ihrer Angehörigen in die Gesellschaft eingeschlossen in gewerkschaftlicher Arbeit auf allen Ebenen

- Schaffung und Sicherung behindertengerechter Arbeitsplätze unter Anwendung der international üblichen Quotenregelung

- Bereitstellung von Ferienplätzen für Behinderte und ihre Angehörigen

- Verbesserung und Schaffung behindertengerechter Arbeits- und Lebensbedingungen in Betrieb und Territorium

- zum Zwecke der Koordinierung und Kontrolle wird eine Kommission "Behindertenpolitik" im Geschäftsbereich "Ökologie und Soziales" durch behinderte Mitglieder gebildet.

• Gewerkschaften fordern

-

- ein neues einheitliches Rentenrecht, das unter Berücksichtigung des auf Leistung beruhenden Beitrages der Versicherten sozial gerecht ist

- das erreichte soziale Niveau für altere Werktätige mit gemindertem Leistungsvermögen zu sichern

- für die Veteranen weitere staatliche Maßnahmen der sozialen Betreuung und Sicherstellung zu gewährleisten

- dass der Staat Erwerbslose finanziell und sozial sicherstellt.

• Gewerkschaften fordern rechtliche Regelungen zur

- gesetzlichen Wiedereinführung der kirchlichen Feiertage, die bei Einführung der 5-Tage-Arbeitswoche abgeschafft wurden, und Zahlung des Durchschnittslohnes für diese Zeit

- Erhöhung des Grundurlaubs auf 20 Arbeitstage, weitere Erhöhung des Grundurlaubs in Abhängigkeit von der Anzahl der Arbeitsjahre und Wiedereinführung von Treueurlaub durch Vereinbarungen der Tarifpartner

- Einführung der 40-Stunden-Arbeiwoche

- Sicherung eines größeren Einflusses der Werktätigen auf die Gestaltung von Arbeitszeit und Arbeitsrhythmus

- Freistellung von der Arbeit zur Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger (Erweiterung der gesetzlichen Regelungen zum Anspruch auf Freistellung, Teilzeitbeschäftigung und ruhendes Arbeitsrechtsverhältnis)

- Gewährung eines Hausarbeitstages für alleinstehende vollbeschäftigte Männer ab 40 Jahre mit eigenem Haushalt.

• Ein Grundanliegen des gewerkschaftlichen Kampfes ist die sofortige Vermeidung und Beseitigung von Erschwernissen, gesundheitlichen Gefährdungen und Unfallrisiken in den Betrieben, insbesondere an Arbeitsplätzen mit hohen gesundheitlichen Belastungen, sowie die gleichzeitige und gleichberechtigte Durchsetzung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes bei der Erzeugnis- und Verfahrensentwicklung.

• Sie treten dafür ein, die

- vorhandenen Niveauunterschiede in den materiellen Arbeitsbedingungen zwischen Klein-, Mittel- und Großbetrieben sowie zwischen Zuliefer- und Finalproduzenten durch eine neue Investitionspolitik und bessere materielI-technische Voraussetzungen schneller zu mindern

- die Bedingungen für die Reproduktion der Werktätigen in der Freizeit zügig zu verbessern.

Eine gewerkschaftliche Sozialpolitik muss die Durchsetzung dieser Forderungen unterstützen.

5. Die Gewerkschaften fordern den Schutz und Erhaltung der Umwelt und eine menschengerechte Technik/Technologie

Die Gewerkschaften treten dafür ein, dass die Entwicklung und der Einsatz neuer Technik/Technologie stärker an ihrer sozialen Nützlichkeit und Verträglichkeit sowie an ökologischer Sicherheit und Ausgewogenheit gemessen werden.

• Die Gewerkschaften fordern die Entwicklung einer Technologiepolitik, die

- geschlossene Stoffkreisläufe schafft

- eine schädigungsfreie, belastungsoptimale, persönlichkeitsfördernde Arbeit garantiert

- Gesundheits- und Arbeitsschutz verbessert und die Betriebssicherheit der Anlagen erhöht

- Arbeitsplätze sichert, schafft und die Arbeit abwechslungsreicher und interessanter macht.

• Sie treten ein für

- Verbesserung und Sanierung der Umwelt durch strikte Durchsetzung des Versorge- und Verursacherprinzips sowie des Umwelthaftungsrechts, der Umweltüberwachung und -kontrolle; strikte Senkung des Energieverbrauchs und ökologisch ausgewogene Bewirtschaftung

- Reduzierung der Luft-, Boden-und Wasserbelastung sowie von Lärmemissionen entsprechend den arbeitshygenischen Normativen. Eine Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen für diese Forderungen ist notwendig.

• Sie fordern eine sofortige Offenlegung der Umweltsituation in der DDR in einem Umweltbericht der Regierung sowie Sofortmaßnahmen zur gesundheitlichen Betreuung umweltbelasteter Bürger.

6. Gewerkschaften fordern zukunftsorientierte Bildung für alle und treten für eine moderne Kulturgesellschaft ein

• Die Gewerkschaften treten für eine hohe Allgemeinbildung und solide berufliche Qualifikation sowie für die Demokratisierung der Kultur ein. Sie fordern:

- staatliche Kontrolle der Bildung und Unentgeltlichkeit gesellschaftlich notwendiger Bildung. Möglichkeiten des Zugangs für höhere Bildung von jeder Bildungsstufe aus, Erweiterung der Bildungsmöglichkeiten für körperlich und geistig Behinderte

- Sicherung der Einheit von technologischem und strukturellem Wandel und notwendiger Bildung, Qualifizierung und Umschulung. Sicherung entsprechender lohn- und tarifrechtlicher Festlegungen einschließlich Bildungsurlaub für gewühlte Gewerkschaftsvertreter

- den Aufbau eines neuen gewerkschaftlichen Bildungs- und Schulungssystems.

• Die Gewerkschaften fordern

- eine durchgreifende Verbesserung der kulturellen Lebensstruktur in Territorium und Betrieben, die Schaffung ökonomisch-rechtlider Regelungen zur Entwicklung von betrieblicher und kommunaler Kultur, die Sicherung der dafür notwendigen materiellen, finanziellen und personellen Fonds durch den Staat sowie Verhinderung einseitiger kommerzieller Orientierung

- den rechtlichen Schutz der kulturellen Interessen der Werktätigen gegen Willkürentscheidung und Gesetzesverletzung seitens staatlicher Leiter und Vertreter

- die rechtliche Sicherung des Einflusses und der Mitwirkung der Gewerkschaften in der betrieblichen Kulturarbeit und in den betrieblichen Kultureinrichtungen

- die umfassende Förderung des Freizeit- und Massensports der Werktätigen.

7. Die Gewerkschaften treten für Frieden Entspannung und Abrüstung ein

Sie unterstützen die Zusammenarbeit der Staaten Europas sowie ein europäisches Sicherheitssystem. Sie fordern, dass DDR und BRD einen wirkungsvollen Beitrag zur Verwirklichung dieser Aufgaben leisten. Sie werden eine Vertragsgemeinschaft mit dem DGB eingehen. Sie arbeiten mit allen für sozialen Fortschritt, Frieden, Entspannung und Abrüstung eintretenden Gewerkschaftsverbänden, internationalen und regionalen Gewerkschaftsorganisationen sowie der ILO zusammen und üben tägliche Solidarität.

Tribüne, Mo. 05.02.1990

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