ND sprach mit Hans-Wilhelm Ebeling (DSU), Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Die DDR ist nicht das Land mit dem großen Geld, aber . . .
ND: Ein Fortschritt für unser Land ist zweifellos die Einrichtung Ihres Ressorts. In welchem Stadium befindet sich sein Aufbau, welche Mittel stehen Ihnen zur Verfügung?
Unser Strukturplan steht fest. In den nächsten Tagen bereits wollen wir aus der Vielzahl der Bewerber rund 200 zukünftige Mitarbeiter auswählen. Maßstab dafür ist einzig Kompetenz und Erfahrung. Was den Haushalt betrifft, so kann das Kabinett dank den Umständen der Regierungsbildung Mitte nächster Woche überhaupt erstmals einen solchen für die kommenden zwei Monate vorlegen. Daraus ergibt sich unser Spielraum. Als denkbaren Ansatz für 1990 haben wir jedenfalls rund 350 Millionen Mark veranschlagt.
ND: Auch Ihr Amt Ist dank deutscher Vereinigung nur eines auf Zeit und muss sich schon deshalb vor allem auf Nahziele konzentrieren. Welche sind das vor allem?
Sechs Projekte haben für uns Vorrang. Es sind beispielsweise in Nikaragua das Krankenhaus "Carlos Marx" und das Berufsausbildungszentrum Jinotepe. Beide habe ich selbst übrigens in einer sehr guten Verfassung antreffen können. Hinzu kommen vor allem weitere in Angola, Simbabwe, Tansania und Südjemen.
Ansonsten ist eine Arbeitsgruppe gerade dabei, überhaupt herauszufinden, an welchen Objekten die DDR in - wie wir wissen - 64 Ländern überhaupt beteiligt ist. Das ist notwendig, da bislang alles über Dutzende von Kanälen gelaufen ist und niemand eine zentrale Übersicht besitzt.
ND: Ihre erste Reise bat Sie an der Seite Ihres BRD-Amtskollegen Warnke zuerst nach New York und dann nach Nikaragua geführt. In Kurze bitte Ihre wichtigsten Erkenntnisse daraus . . .
Der Gegensatz, den ich zwischen dem Reichtum in den USA und der bitteren Armut in Nikaragua erlebt habe, hat mich tief bewegt. Und er hat mich darin bestärkt, dass Entwicklungshilfe um so entschlossener fortgesetzt werden muss. Hinzu kommt: Im Vergleich zu Staaten wie Nikaragua ist auch die DDR ein reiches Land. Das alles aber bei uns klarzumachen ist derzeit sehr schwer. Man müsste alle Bürger unseres Landes in solche Regionen schicken können
ND: Sie haben auf der UNO-Sondertagung gesprochen. Später ist dort eine Deklaration angenommen worden mit vielen guten Vorsätzen, aber wenig Verbindlichkeit. Für wie relevant halten Sie für die DDR die Forderung, 0,7 Prozent des nationalen Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe aufzuwenden?
Empfehlungen der UNO haben natürlich einen hohen Stellenwert. Ich hoffe, dass wir diese 0,7 Prozent als eine Zielvorstellung bewahren können, so schwer das sicher sein wird. Denn es bleibt doch klar: Zur Umsetzung jedes guten Willens braucht es auch des Geldes. Ohne das helfen die besten Ideale nicht weiter. Zugleich ist auch offenkundig, dass die DDR nicht das Land mit dem großen Geld ist. Was wir vor allem einbringen können, ist das Engagement vieler, vieler Fachleute.
ND: Auf einer Pressekonferenz haben Sie der bisherigen Arbeit des Solidaritätskomitees Anerkennung gezollt Zugleich kündigten Sie eine Entideologisierung der Entwicklungshilfe an. Was also wird Bestand haben, was wird eliminiert?
Entideologisierung heißt für mich vor allem, dass humanitäre Hilfe künftig in keiner Weise mehr vom politischen Wohlverhalten des Empfängerlandes abhängen darf. Unterstützungen für Sicherheits-, Militär- und andere Repressionsapparate scheiden völlig aus. Was das Krankenhaus in Managua betrifft, so wollen wir es keineswegs in staatliche Verantwortung nehmen. Ich denke, eine neue zentrale Kommandowirtschaft wäre das Falscheste, was wir machen können. Unterstützung aber werden Projekte wie dieses durch mein Ministerium in jedem Falle finden. Entscheidend ist vor allem eins: Gerade von uns Deutschen muss jetzt unbedingt ein Zeichen dafür gesetzt werden, dass wir über unsere eigenen Probleme die viel größeren Sorgen und Nöte der 2-Drittel-Welt nicht vergessen
ND: Bedingt durch die Sorgen um die eigene soziale Sicherheit in der DDR, gibt es derzeit in vielen Ländern das Bestreben von dort tätigen Bürgern, ihren Einsatz abzubrechen bzw. Ihn gar nicht erst anzutreten. Kann man etwas dagegen tun?
Ich hoffe, dass wir schon in der nächsten Woche dem Ministerrat einen entsprechenden Gesetzentwurf mit vor allem arbeitsrechtlichen Regelungen zugunsten jener Bürger auf den Tisch legen können. Fest steht, Eile tut not.
ND: Für Entwicklungszusammenarbeit engagieren sich seit langem viele Menschen in der DDR. Ausdruck dafür ist der Entwicklungspolitische Runde Tisch, der Ihrem Ministerium eine konstruktiv-kritische Begleitung angeboten hat. Sie haben diese Runde am Montag erstmals besucht. . .
Ja. Ich bin unbedingt der Meinung, dass wir diese Partner mit ihren Erfahrungen brauchen. Wir brauchen Anregungen, die aus der dort versammelten Kompetenz entspringen. Als jemand, der für sich selbst nicht die Verfügung über die absolute Wahrheit in Anspruch nimmt, verstehe ich mein Ministerium als Partner dieser Kräfte - jeder freilich in seiner Verantwortung.
Es fragte
HEINZ JAKUBOWSKI
Neues Deutschland, Do. 10.05.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 108