"Die ganz alten Krähen sind noch da"

Gespräch mit Konrad Weiß über das DDR-Fernsehen, alte Funktionäre und die Zukunft der Kollegen

taz: In Munzingers bibliographischen Nachschlagewerk steht als Eckdaten unter Ihrem Namen: "Deutscher Regisseur, Publizist und Politiker, Demokratie Jetzt." Was sind Sie denn nun in erster Linie?

Konrad Weiß: Ich denke, ich bin in erster Linie Filmemacher, also Regisseur. Zur Zeit bin ich aber in erster Linie Politiker. Ich versuche allerdings neben meiner politischen Arbeit in der Volkskammer einen Film zu machen, den ich schon im vergangenen Jahr machen wollte, aber nicht machen konnte. Das ist ein Porträt des Kommunisten und Rechtsanwaltes Götz Berger, der 1978 aus der Anwaltskammer ausgeschlossen worden ist, weil er sich für Robert Havemann und Wolf Biermann eingesetzt hat. Er war befreundet mit Robert Havemann und ist heute 85 Jahre alt. Ich will einfach diesen Film machen, weil ich denke, dieser Mann verdient ein Denkmal.

In letzter Zeit haben Sie sich öfters kritisch zur medienpolitischen Entwicklungen in der DDR geäußert. Wie sehen Sie da die Zukunft?

Im Augenblick sind die Medien in der DDR generell durch eine große Unsicherheit gekennzeichnet, das betrifft sowohl die DEFA-Studios als auch das DDR-Fernsehen und den Rundfunk. Das hängt vor allem damit zusammen, das es keine wirklich guten und ausreichend neuen Konzepte gibt. Aber es hängt auch damit zusammen, dass immer noch die alten Leute das Sagen haben. Es gibt beim Fernsehen so ein schönes Bild, das trifft immer noch zu: Man spricht davon, dass es dort einen großen Baum gibt, auf den Ästen sitzen die verschiedenen Spatzen und Krähen, und jetzt hat im Herbst mal einer kräftig in die Hände geklatscht und alles ist aufgeflogen und jeder sitzt jetzt auf einem anderen Ast, aber eigentlich sind die ganzen alten Krähen und Spatzen noch da.

Was wird aus dem Fernsehen?

Beim Fernsehen glaube ich, dass das DDR-Fernsehen, so wie es heute besteht, keine Überlebenschance hat. Aber ich meine schon, dass es ein Fernsehen geben sollte, auch im zukünftigen einheitlichen Deutschland, in dem die Identität der dann ehemaligen DDR-Bürger sich wiederfindet. Das heißt ein Fernsehen, das geprägt ist, vom kulturellen Anspruch, den wir über viele Jahre hinweg gehabt haben, auch einem gewissen linken Anspruch, aber auch dem, was ich so mit Heimatgefühl umschreiben würde. Wo man also dass alles wiederfindet, was einem auch im DDR-Programm lieb und wert geworden ist als Fernsehzuschauer.

Gibt es das tatsächlich, diese kulturelle DDR-Identität? Wo doch momentan alles in den Westen strömt und die DDR-Bürger nun all das haben wollen, was der Westen bietet? Auch das westliche TV-Programm!

Es ist tatsächlich so, das momentan alles, was aus dem Westen kommt, und sei es noch so bescheuert, angenommen und gut gefunden wird. Das gilt in gewisser Weise auch für die Medien. Aber ich glaube trotzdem, dass es diese DDR-Identität gibt. Dabei denke ich beispielsweise an die Strecke, auf der ich lange Zeit gearbeitet habe, im Bereich des Kinderfilms. Das, was wir da gemacht haben, das gibt es so nirgends in der Welt. Das heißt beispielsweise den Dokumentarfilm für Kinder, auch gewisse Formen in der Fernsehdramatik für Kinder. Da haben uns die Kollegen aus dem Westen immer beneidet. Aber ich denke natürlich auch an gewisse publizistische Formen, wo Kollegen endlich machen können, worum sie sich lange bemüht haben. Und natürlich haben Leute, die hier gelebt haben und leben, einen tieferen und genaueren Einblick in Zusammenhänge, als Leute, die von außen kommen.

Nun hat ja der derzeitige Generalintendant des Deutschen Fernsehfunks in der DDR (DFF) Hans Benzien zumindest verbal schon große Anstrengungen unternommen, das DDR-Fernsehen umzukrempeln in eine dritte nationale öffentlich-rechtliche Anstalt neben ARD und ZDF. Ist er da auf dem richtigen Weg?

Nein. Ich denke, dass beide Generalintendanten, sowohl Herr Benzien für das DDR-Fernsehen als auch Herr Klein für den den DDR-Rundfunk, nicht die Richtigen sind. Beide sind Leute, die in der Vergangenheit als Scherenschleifer herumgerannt sind und schon ihren Anteil an der Zensur gehabt haben. Herr Benzien wird heute so ein bisschen als großer Märtyrer gehandelt. Ich kenne ihn anders. Ich weiß, dass er in den siebziger Jahren gewisse Schwierigkeiten gehabt hat, aber er wie auch viele andere Mitarbeiter im DDR-Fernsehen sind Leute, die bis zuletzt in der SED gewesen sind, die sich immer in einer prononcierten Art und Weise für die Medienpolitik der SED eingesetzt haben, die sich selbst wie das Medium Fernsehen als Transmissionsriemen der Partei verstanden haben. Ich habe den Vorteil gegenüber den Verhandlungsführern aus dem Westen, dass ich diese Herren eben nicht nur von Cocktailpartys und Verhandlungen kenne, sondern viele in der Arbeit erlebt habe und weiß, was sie versprochen haben und was sie verhindert haben, was sie unter Umständen auch ermöglicht haben. Vielleicht sollte man als Hilfe für die westlichen Fernseh- und Rundfunkkapitäne ein "Who is who in the GDR" herausbringen, damit sie sich da richtig informieren können und sich nicht vom schönen Schein der plötzlich ach so marktwirtschaftlich und bürgerlich erscheinenden Damen und Herren dort trügen lassen.

Sie glauben also nicht an den von Herrn Benzien beschworenen Selbstreinigungsprozess, der in den Fernsehanstalten längst eingesetzt haben soll?

Wissen Sie, ich kenne das DDR-Fernsehen seit 20 Jahren. Ich weiß, dass es eine Reihe von Kollegen gegeben hat, die sich bemüht haben, Dinge möglich zu machen, die eigentlich nicht möglich waren. Die kenne ich sehr genau. Aber ich weiß eben auch, dass viele aus den oberen Leitungsetagen eben wirklich diese angepassten SED-Funktionäre gewesen sind, die das gemacht haben, was das ZK gesagt hat. Und zwar ohne Wenn und Aber. Vielleicht haben sie sich besoffen, weil sie sich nicht mehr aushalten konnten. Viele sind zu Alkoholikern geworden oder zu Zynikern. Aber solche Leute gehören natürlich weder in die Redaktionsstuben noch in die Chefetagen.

Wie sehen denn ihre eigenen Umbaupläne für das DDR-Fernsehen aus?

Also ich denke, es gibt drei Möglichkeiten, um das DDR-Fernsehen zu verändern und einzubringen in das gemeinsame Deutschland. Einmal wäre das ein Sender, der zumindest für das Gebiet der dann ehemaligen DDR überregional sendet. Das zweite wäre die Errichtung von zwei oder drei Landesanstalten, die dann meinetwegen auch in den ARD-Verbund reingehören könnten. Für ganz Berlin würde ich aber schon sehen, dass da der SFB eine Berechtigung weiterhin haben wird und dass ein Teil des Zweiten Programms vom DDR-Fernsehen in den SFB eingeht, dass aber andere Teile vom DDR-Fernsehen zu Regionalsendern werden, vielleicht also Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg oder eben auch Brandenburg - darüber muss man nachdenken, das ist auch eine Frage der Machbarkeit, der Kosten.

Also DDR 1 wäre dann ein nationales drittes Programm . . .

. . . mit Schwerpunkt DDR-Vergangenheit, ein nostalgisches Programm, ein Programm, das sich mit den Problemen hier beschäftigt. Ein Programm, das beispielsweise auch die nationale Filmkultur, die nationale Fernsehkultur der DDR weiterhin kultiviert. Als vierten überregionalen Sender könnte ich mir einen deutschsprachigen Kulturkanal vorstellen. Ein Kanal für die deutschsprachigen Bevölkerungsteile in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Rumänien, vielleicht sogar in der Sowjetunion.

Wie soll denn ein oder mehrere solcher Fernsehsender finanziert werden, wenn die staatlichen Subventionen wegfallen?

Ja, ich bin kein Verfechter von staatlichen Subventionen. Ich meine, dass in der DDR durchaus Reserven sein werden in der Gebührenordnung. Wir bezahlen im Augenblick einen sehr geringen Betrag gemessen am Durchschnittsverdienst. Man kann das staffeln. Ich denke, man muss begreifen, dass das Fernsehen, dass Kultur etwas kostet. Ich könnte mir also durchaus Modelle denken, die einen bestimmten Prozentsatz des Bruttoverdienstes zugrunde legen, dass eben nicht jeder acht oder zehn Mark, sondern dass man das durchaus nach dem Einkommen staffelt. Dann denke ich, wird man mit Sicherheit nicht auf Werbung verzichten können. Die DDR hat ja nun auch das Senden von Werbung aufgenommen, allerdings in einer von mir sehr kritisch gesehenen Form, weil sie nämlich über die Strenge und Richtlinien der BRD hinausgegangen ist und auch Werbung am Sonntag und nach 20 Uhr möglich gemacht hat und außerdem einen sehr dummen Vertrag abgeschlossen hat, weil die Werbespots, die gesendet werden, als Fertigprodukte in die DDR reinkommen. Dabei wäre es durchaus möglich gewesen, in der DDR diese Spots zu produzieren und damit unabhängigen Filmemachern, kleinen Filmfirmen, die es hier gibt, und vor allem auch der DEFA Aufträge zu verschaffen und damit auch Arbeitsplätze für Filmemacher zu sichern. Das werfe ich ganz persönlich auch Herrn Benzien vor, dass er diesen Vertrag mit diesem französischen Konsortium ausgehandelt hat, ohne dabei an die Arbeitsplätze in der DDR zu denken, und nur an die Bargeldsumme gedacht hat, die er damit rein bekommt. Ich denke, so kann man keine Medienpolitik machen.

Meines Wissens werden zur Zeit die Spots, die in der DDR gesendet werden, in Frankfurt produziert, weil im Moment in der DDR kein Studio in der Lage wäre, solche Spots zu produzieren.

Da würde ich ganz eindeutig widersprechen. Wir haben sowohl die künstlerischen Kapazitäten. Wir haben die technischen Möglichkeiten solche Spots zu produzieren, und wir haben genug Ideen, denke ich. Daran soll's dann wirklich nicht mangeln. Es gibt ja auch viele junge Filmemacher, die darauf brennen, sich selbständig zu machen. Für die wäre das eine Chance zu Existenzgründung. Es gibt ja auch in der DEFA eine Tradition von Werbefilmproduktion, nämlich für Industrieprodukte aus der DDR.

Zur Finanzierung anspruchsvoller Filmprojekte sind Ihnen die Werbeeinnahmen recht. Trotzdem sind Sie gegen Werbespots im Sonntags-TV-Programm. Warum, wenn das Geld einbringt?

Ich denke, dass das Fernsehprogramm am Sonntag Familienprogramm sein sollte, und ich bin für eine möglichst klare Trennung der Werbung von Sendungen, die von Kindern gesehen werden. Nun klingt das sehr idealistisch . . .

Manche bundesdeutschen Medienvertreter machen ja eine einfache Rechnung auf. Die sagen, der DFF ist völlig marode, ein Scherbenhaufen. Den kehren wir zusammen, und nur die wenigen noch brauchbaren Stücke passen wir in unser System ein.

Ja, es gibt diese Medienhaie, die jetzt mit offenem Maul durch die DDR schwimmen und versuchen, die besten Happen zu bekommen. Doch so marode sind wir nicht. Natürlich ist die Technik nicht auf dem neuesten Stand, aber beispielsweise Elf 99 ist ein moderner Sender. Das ist doch eigentlich das Wichtigste. Unser wichtigstes Kapital in den künftigen öffentlich-rechtlichen Anstalten sind natürlich die erfahrenen Fernsehmacher, die erfahrenen Rundfunkmacher und auch die erfahrenen Techniker. Es ist nicht umsonst so, dass wir in der Vergangenheit einen starken Export von technischen Mitarbeitern gerade aus dem Bereich Film und Fernsehen in die BRD hatten. Dieses Kapital ist da, und ich meine, wer das leichtfertig verscheuern will, ist ganz einfach unverantwortlich und dumm.

Die DEFA ist ja schon vor der Wende dafür bekannt gewesen, dass es da Refugien für Dokumentarfilmer gab, wunderbare Nischen für Dokumentarfilmer, die in westlichen Ländern mehr an den Rand gedrängt sind, weil sie eben nicht so publikumswirksam und nicht so kommerziell verwertbar sind. Hat Ihre Zunft noch eine Zukunft?

Ich sehe zumindest einen hohen Grad an Gefährdung für den Kinder- und den Dokumentarfilm. Wenn man nur vom kommerziellen Gesichtpunkt ausgeht, rechnen sich solche Filme natürlich nicht. Aber ich glaube, dass hier der Staat gefragt ist. Wir versuchen im Augenblick in der DDR auch ein Filmförderungsprogramm zu entwickeln und suchen nach neuen unkonventionellen Finanzierungsmöglichkeiten. Ich denke da zum Beispiel an Künstlergenossenschaften, wo Leute zusammenarbeiten, die eine gleiche Ausgangsposition haben, ein gleiches ästhetisches Manifest, und die in sehr unterschiedlichen Genres arbeiten. Solche Leute, die mit ihrer Kunst Geld verdienen, könnten die mittragen, die damit vielleicht nicht so viel Geld verdienen können. Vielleicht ist das ein bisschen idealistisch, aber das Projekt ist jetzt zumindest angedacht. Ich denke aber auch noch an andere Finanzierungsformen, beispielsweise über Stiftungen oder aus Kulturfonds. Ich denke aber auch, dass Filmemachen in der Zukunft auch billiger werden kann. Es ist ja doch durch die technische Entwicklung eine gewisse Demokratisierung eingetreten, so dass man zumindest durch Video eine ganze Menge von seinen Vorstellungen relativ unaufwendig realisieren kann.

Man kann ja auch der Auffassung sein, dass die DDR-Filme nur in diesem abgeschotteten System gut waren und heute allenfalls nostalgischen Wert besitzen. Meinen Sie denn, dass die DDR-Filmemacher so modern und zeitgenössisch sind, dass sie sich gegen die internationale Konkurrenz behaupten können?

Ich würde ihnen recht geben, dass wir vom Materiellen her ideale Produktionsbedingungen hatten. Ich weiß, dass ich so ideal nie mehr Filme machen kann. Wenn ich daran denke, dass ich für einen Film, den ich vor fünf Jahren gemacht habe, das war der Film Erste Liebe, über ein Jahr, genau genommen 15 Monate, drehen konnte. Solche Bedingungen werde ich wohl nie mehr haben. Aber man muss bedenken, dass eine bestimmte Qualität anders nicht zu haben ist. Ich denke, unsere Stärke war es bisher, in der Auseinandersetzung mit den Ideologen unsere Sprache und die richtigen Zwischentöne zu finden. Ich hoffe jetzt, dass wir nun kreativ genug sind, mit den neuen Produktionsbedingungen klarzukommen. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass dabei eine ganze Reihe von Kollegen auf der Strecke bleiben wird.

Interview: Ute Thon

die tageszeitung, 12.05.1990

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