"Es war bewegend, den Premierminister dort zu treffen . . ."

Thema Normannenstraße am Montag - ein Gespräch mit Konrad Weiß von Demokratie Jetzt

ND: Demokratie Jetzt tritt ein für eine sozial gerechte und rechtsstaatliche Gesellschaft. Auf diesem Wege sind wir aus meiner Sicht in den letzten Wochen - nimmt man die Montags-Ereignisse in der Normannenstraße hinzu - nicht allzu weit vorangekommen ...

Konrad Weiß: Ich denke, wir haben in diesem Bereich einen Nachholebedarf, und ich sehe mit Sorge, dass es noch - nicht gelungen ist, die rechtsfreien Räume, die entstanden sind, durch wirksame Gesetze zu füllen. Es fehlen Rechtsgrundlagen, nach denen die Arbeit der Bürgerkomitees geregelt wird. Auch so ergeben sich Spielräume für Aktionen, die nicht in unserem Sinne sind.

ND: Es gab in den vergangenen Monaten gute Ansätze für Sicherheitspartnerschaften. Hat die Bereitschaft dafür abgenommen?

Konrad Weiß: So würde ich das nicht sehen. Ich war am Ort des Geschehens in der Normannenstraße. Dort wurde Sicherheitspartnerschaft in einer ganz neuen Qualität praktiziert, zwischen Regierung der DDR und oppositionellen Gruppen. Ibrahim Böhme von der SPD und ich haben Herrn Modrow aus dem Auto zum Rednerpodest geleitet. Das war für mich sehr bewegend, den Ministerpräsidenten dort zu treffen und ich betone meinen Respekt.

Auch im Gebäude selbst hatte die Sicherheitspartnerschaft letztlich Erfolg. Obwohl, es ist viel zerstört worden, es ist nicht gelungen, die Leute, die da eingedrungen sind - was man selbstverständlich verurteilen muss, wovon sich jedermann energisch distanzieren sollte - zu besänftigen.

ND: Teilen Sie den Eindruck mancher, dass zunehmend Gewalt auftaucht statt des politischen Arguments? Nicht nur in Berlin ...

Konrad Weiß: Man muss immer unterscheiden. Die Besetzung der ehemaligen MfS-Zentrale führe ich darauf zurück, dass die Regierung zu lange zu zögerlich war beim Offenlegen der Fakten. Und bei all dem, was jeder Bürger durch den Staatssicherheitsdienst erlitten hat, ist manche harte Konsequenz der Demonstranten erklärbar. Wir haben dabei allerdings lernen müssen, wie friedliche Demonstrationen auch in unserem Land von Radikalen missbraucht werden können. Außerdem müssen manche Gesetze noch mit der Verfassung in Einklang gebracht werden. Nur durch rechtsstaatliche Offenlegung der Verbrechen des Staatssicherheitsdienstes kann nach meiner Ansicht im Volk wieder Vertrauen für die Regierung und die Sicherheitsorgane, wachsen. Beeindruckend übrigens auch das besonnene Auftreten der jungen Volkspolizisten im ehemaligen MfS-Gebäude und ihr taktisches Verhalten. In Gemeinsamkeit mit Bürgerkomitees. So blieben die Zerstörungen und Plünderungen die, ich betone es nochmals, überhaupt nicht zu rechtfertigen sind - in Grenzen.

ND: Sie heben die Einsatz von Ministerpräsident Modrow hervor. Wie sehen Sie überhaupt die Zusammenarbeit mit der ja nun auch neuen Führungsmannschaft der SED-PDS?

Konrad Weiß: Sie müssen verstehen, dass wir das, was an Veränderung in der SED-PDS passiert, mit Zurückhaltung, ja auch Misstrauen betrachten. Ich bin der letzte, der sagen würde, jemand, der Fachkompetenz hat und daher sein Amt, soll seinen Posten verlassen, nur weil er SED-PDS-Mitglied ist. Ich bin Realist genug, zu sehen, dass wir alle aus der Opposition das Regierungshandwerk nicht gelernt haben. Für Hans Modrow ist es sicherlich nicht einfacher, in einer so schwierigen Situation von heute auf morgen Entscheidungen zu treffen. Aber wo Inkompetenz leitet, darf sie nicht bleiben. Da sind die Grenzen unserer Akzeptanz. Es gibt nach meiner persönlichen Meinung - ich werde es schwer haben damit innerhalb der Opposition - Felder der Zusammenarbeit. Ich meine auch, Ihre Partei sollte in die Opposition gehen, aber Ratschläge kann ich natürlich nicht erteilen, außerdem entscheiden das letztlich die Wähler.

ND: Zusammenarbeit erfordert vertrauen ...

Konrad Weiß: ... und Gleichberechtigung und Verzicht auf ungerechtfertiges Eigentum. Einiges geschah da schon.

ND: Man sitzt beispielsweise als Gleiche unter Gleichen am Runden Tisch ...

Konrad Weiß: So ist es. Und Herr Bisky, Herr Berghofer und Herr Gysi arbeiten mit in der Rolle eines gleichberechtigten Partners. Das ist nach meiner Ansicht ein Modell für die Zukunft. Ich kann die Bereitschaft für meine Freunde, von Demokratie Jetzt voraussetzen, gerade in den sensiblen Bereichen wie der Sicherheit mit der SED-PDS zusammenzuarbeiten. Denn wir wollen etwas f ü r unser Land erreichen und nicht, dass es zu Schaden kommt oder zerstört wird. So gibt der Montagabend, bei allem, was bedauerlich ist, auch ein positives Signal.

für das Gespräch dankt
René H e i l i g

Neues Deutschland, Mi. 17.01.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 14

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