Gespräch mit Dr. Wolfgang Ullmann, Demokratie Jetzt
Mehr demokratische Normalität tut unserem Land dringend not
Am Mittwoch werde des Zusammengehen der Fraktion aus Bündnis 90, Grüner Partei und Unabhängigem Frauenverband mit der SPD von deren Entscheid für oder gegen eine Koalition mit Allianz-Parteien abhängig gemacht. Am Donnerstag schien sich die SPD-Waage zu Gunsten einer künftigen Koalitionsregierung zu neigen. Wir fragten Dr. Wolfgang Ullmann, welche Auswirkungen das habe.
Damit wäre nach meinem Dafürhalten unsere parlamentarische Zusammenarbeit mit der SPD gegenstandslos. Allerdings haben wir am Montag Gespräche mit dem SPD-Präsidium, wobei ich jetzt nicht genau sagen kann, was dort alles Thema sein wird.
Auch gegen eine formale Zusammenarbeit mit der PDS grenzt such Ihre Fraktion ab. Dabei gibt es doch in Sachfragen, wie zum Artikel 23 oder zum neuen Gewerkschaftsgesetz, durchaus Übereinstimmung ...
Es wäre töricht, bei übereinstimmenden Auffassungen etwas abzulehnen, nun weil es von der PDS vertreten wird. Da würde man sich politisch lahmlegen. Allerdings: Ich denke, die von uns erwähnte Abgrenzung hat etwas zu tun mit einer Anforderung auch an die PDS, ihnen Wandlungsprozess zu Ende zu führen. Und es gibt auch noch den Bedarf der Präzisierung, z. B. wie es die PDS mit den leninistischen Traditionen hält. Das ist doch eine offene Frage. Zum Leninismus gehört eine Staatsauffassung, die ich niemals teilen könnte. Von daher also ist auch eine Abgrenzung nötig.
Demokratie Jetzt trat allerdings einst mit einer Absage an das Prinzip der Abgrenzung an ...
Gewiss. Doch in diesem Fall gibt es eine wirkliche Grenze im Politischen. Im übrigen: Ob die mal weg sein kann - das hängt vor der Geschichte ab, die wir miteinander haben werden. Ich denke doch, dass wir sie miteinander besitzen.
Die Verlautbarungen, nicht wenige Abgeordnete seien "stasi"-belastet, führte dazu, dass die meisten Parteien einer Sicherheitsüberprüfung der 400 Abgeordneten zustimmten. Wie stehen Sie dazu?
Ich glaube, dass es keine Alternative zu den Überprüfungen gibt. Die Verdächtigungen, die anonymen Mitteilungen, sind in der Welt. Ich halte sie nicht für eine gute Sache. Aber sie sind für uns schwerwiegende Realitäten, weil sie mit den letzten 40 Jahren diesen Landes zu tun haben. Ich denke, die Überprüfungen sind die einzige Möglichkeit, Misstrauen abzubauen.
Konrad Weiß plädierte dafür, Neuwahlen auszuschreiben, wenn zehn Prozent der Abgeordneten durch das "Überprüfungssieb" fielen. Sehen Sie das auch so?
Ich bin über solche Erörterungen nicht sehr glücklich. Wie ich auch über das Wahlergebnis, wie Sie sich denken können, alles andere als froh bin. Was unserem Land auf jeden Fall dringend nottut, ist mehr demokratische Normalität. Ich hoffe, dass die abenteuerlichen Vermutungen sich als irrig erweisen. Aber es ist wieder mal zu sehen, dass solche die Organisationen wie die ehemalige Stasi ein Verderben sind, das auf Jahre das politische Klima verpestet.
Der Wahlkampf war ja doch von manchen Tritten gegen des Gegners Schienbein begleitet. Was halten Sie von Anstand und Fairness in der Politik?
Es gibt sicher keinen vernünftigen Menschen, der etwas gegen Anstand und Fairness hat. Wir sind wohl als Politiker alle darauf angewiesen, immer mal wieder ermahnt zu werden, uns dieser Selbstverständlichkeiten zu erinnern. Ich denke, das gehört zur Rechtsstaatlichkeit und zu den Umgangsformen, die unter demokratisch Gesinnten üblich sein sollten. Man muss sich eben auch ein bestimmtes Maß an Gleichberechtigung zugestehen.
Es fragte ELKE SCHMIDTKE
Neues Deutschland, Fr. 23.03.1990