Vision und wertkonservative Alternative

Konrad Weiß zum Streit in der Bürgerbewegung

die andere: Es gibt nicht wenige, die mit Ihrer Art, Politik zu machen, nicht einverstanden sind, die Ihnen vorwerfen, konservative Politik zu machen. Wo sehen Sie sich selbst innerhalb des Spektrums der Bürgerbewegungen?

Konrad Weiß: Ich bin durchaus jemand, der in seinen politischen Ansichten auch konservative Züge hat. Ich lass mich aber nicht in dieses Spektrum von Links/Rechts hineindrängen. Dass ich als Linkenfresser bezeichnet werde, das ist Quatsch.

die andere: Wie es aussieht, werden die Herren um Kohl, die uns auch die Bedingungen der Vereinigung diktiert haben, im nächsten Bundestag wieder das Sagen haben. Was heißt für Sie, unter diesen Bedingungen Macht zu übernehmen?

Konrad Weiß: Macht zu übernehmen ist für mich zunächst mal eine Option, der ich mich stellen muss, wenn ich politisch wirksam werden will. Ich habe natürlich mehr Macht, wenn ich in der Regierung und weniger, wenn ich in der Opposition bin. Machtpolitik in dieser Position auszuüben heißt dann, Macht zu kontrollieren. Ich habe aber keine Illusion, dass nicht auch im parlamentarischen System Macht missbraucht wird.

die andere: Die Macht, die Sie zu übernehmen bereit sind, stellt ja, wenn sie mit viel Geld verbunden ist, eine große Versuchung dar. Glauben Sie, vor dieser Versuchung gefeit zu sein?

Konrad Weiß: Ich sehe durchaus die Gefahr, nachdem ich ein halbes Jahr das jetzt praktisch gemacht habe. Natürlich ist es eine Versuchung, Macht zu haben und Macht auszuüben. Ich denke, dass ich mich da aber bisher kontrolliert habe.

die andere: Es gab aber in Brandenburg im Zusammenhang mit Ihrer Kandidatur eine Auseinandersetzung mit dem UFV . . .

Konrad Weiß: Vom Koordinierungsrat war festgelegt worden, dass jede Vereinigung und Partei einen ersten Listenplatz bekommt. Der UFV wurde in Thüringen auf Platz 1 gesetzt, was die Thüringischen Landesverbände nicht akzeptierten. Sie wählten Vera Wollenberger, die auf den ersten Listenplatz in Brandenburg gesetzt war, auf Platz 1 in Thüringen. Ich war in Brandenburg hinter Vera auf Platz 2 gesetzt und war mir sicher, mit ihr so viele Stimmen zu holen, dass vielleicht sogar noch ein dritter in Frage gekommen wäre. Das alles wurde dann aber schwierig durch die Thüringer Entscheidung, da nun der UFV in Brandenburg Platz 1 beanspruchte, was wiederum dort die Basis nicht mitmachte. Es haben sich dann Kandidaten von den Grünen, dem UFV, vom NEUEN FORUM und DEMOKRATIE JETZT mit ihren politischen Programmen vorgestellt und wurden dann in einer geheimen, fairen Wahl auf die Plätze gewählt. Ich auf Platz 1, was der UFV akzeptierte.

die andere: Sie erwähnten im Zusammenhang mit den Diäten, dass in den Bürgerbewegungen ein geringes Verständnis für die Bedeutung der parlamentarischen Arbeit vorhanden sei, und sie fordern mehr Handlungsfreiraum für die Bürger und Bürgerinnen in politischen Positionen. Besteht bei diesen offensichtlich unterschiedlichen Haltungen nicht die Gefahr der Loslösung von der Basis?

Konrad Weiß: Zunächst einmal ist der Abgeordnete unabhängig und, wie es das Grundgesetz vorsieht, nur seinem Gewissen verpflichtet. Unabhängig auch von seiner Partei. Er ist nicht von seiner Partei oder Bürgerbewegung gewählt worden, sondern von seinen Wählern und Wählerinnen. Leider gibt es in der Praxis Abgeordnete, die bestimmte Aufträge bekommen und von denen ein bestimmtes Abstimmungsverhalten erwartet wird.

die andere: Was verstehen Sie unter Basisdemokratie?

Konrad Weiß: Ich hin manchmal der Meinung, dass diese Basisdemokratie als Fetisch benutzt wird, dass kleine Gruppen, die zahlenmäßig wenig relevant sind, meinen, als Basis auftreten zu müssen. Wir hatten solche Probleme mit dem NEUEN FORUM im Verlauf der Wahlvorbereitungen, wo sehr unterschiedliche Auffassungen mit dem Anspruch vertreten worden sind, das ganze NEUE FORUM zu vertreten.

Ich denke, wenn jemand einen Verhandlungsauftrag hat, ist er nur sich selbst verpflichtet, muss frei sein in seiner Entscheidung und dann natürlich auch Rechenschaft ablegen. Basisdemokratie heißt für mich, dass Menschen in einer politischen Vereinigung über inhaltliche Fragen sprechen, darüber, weiche politischen Ziele sie haben. Für DEMOKRATIE JETZT kann ich sagen, wir haben keine inhaltliche Auseinandersetzung geführt, wir haben an unserem Programm nicht weitergearbeitet. Es gibt zwar einen Entwurf, der aber nur von zwei Leuten gemacht wurde. Das ist keine Basisdemokratie.

die andere: Welche Bedeutung messen Sie der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Arbeit zu?

Konrad Weiß: Ich denke, dass ich beides wenigstens fifty-fifty in meiner bisherigen Arbeit getan habe neben der eigentlichen Arbeit in den Volkskammerausschüssen haben alle sehr wichtige Diskussionsabende mitgestaltet. Vorträge gehalten und und und. Die Verformung durch die parlamentarische Arbeit, naja, die Gefahr besteht natürlich auch, dass so eine Fraktion sich verselbständigt, dass sie wieder ein bürokratisches Organ wird irgendwo, einschließlich der Mitarbeiter. Die Verformungen hängen im Grunde genommen mit dem zusammen, was Sie vorhin schon gesagt haben, mit diesem Einfluss und der Macht und auch mit der Öffentlichkeit. Im Grunde genommen hat man kein Privatleben mehr. Das gehört zu den Opfern, die die Politik verlangt.

die andere: Sie schrieben in einem Artikel in "Demokratie Jetzt" von der Möglichkeit einer wertkonservativen Alternativen neben den Grünen. Anderen in den Bürgerbewegungen geht es mehr um linke Positionen. Sehen Sie ein breites Spektrum innerhalb der Bürgerbewegungen als ein Problem oder als einen Gewinn?

Konrad Weiß: Ich habe damit, das gebe ich gern zu, meine Probleme. Ich denke, dass zu viel Energie in Vereinsquerelen aufgebraucht wird, die eigentlich für die politische Arbeit viel nötiger wäre, damit es neben der Grünen Partei und der PDS auch noch eine wertkonservative Alternative geben kann. Ich verstehe darunter eine Bürgerrechtspartei, in der die wichtigsten Grundpositionen, wie sie beispielsweise von Anfang an von DEMOKRATIE JETZT formuliert wurden oder wie sie die Aufbruch-Leute innerhalb der Grünen vertreten, einfließen könnten. Das hätte den Vorteil, dass man aus dem Wählerlager der Konservativen sehr viele mit der CDU-Politik Unzufriedene rausholen könnte. Eine solche alternative Partei wäre durchaus eine Chance, etwas neues zu machen, eine neue Politik in diesem Spektrum. Dass eine Reihe von Grünen, die sozialistische oder marxistische Positionen vertreten, aus den Grünen zur Linken Liste gegangen sind, finde ich richtig. Ich denke, marxistische Positionen haben in einer Bürgerpartei, einer Bürgerrechtspartei eigentlich nichts zu suchen. Das sollte man in 40 Jahren SED begriffen haben. Meine Vorstellung von Sozialismus ist Sozialismus ohne Marxismus, ohne marxistische Indoktrination. Wenn der leninistische Flügel der Grünen sich entschließen könnte, zur Linken Liste zu gehen, dann könnte es sein, dass die Grüne Partei sich dahin entwickelt, was ich eben beschrieben habe. Wenn das nicht geschieht, wenn es weiterhin dieses ganze breite Spektrum gibt, ich sage mal vorn Oberförster bis zum linken Marxisten oder bis zum radikalen Marxisten, halte ich diese Partei auf Dauer nicht für lebensfähig.

die andere: Gilt das gleiche auch für die Bürgerbewegungen in der DDR? Im NEUEN FORUM gibt es ja auch einige, die diese linken Positionen vertreten. Sollen die dann auch zur Linken Liste gehen?

Konrad Weiß: Also ich könnte mir vorstellen, dass die Bürgerbewegungen in der DDR eine ähnliche Entwicklung durchmachen. Sie sind ja sehr unterschiedlich. Wenn ich mir die Linke Liste auf der einen Seite ansehe und DEMOKRATIE JETZT auf der anderen, dann sind das ganz grundsätzlich unterschiedliche Positionen. Und im NEUEN FORUM ist das alles latent vorhanden. Die Bürgerbewegungen haben eine Chance, wenn sie sich wirklich als eine Sammelbewegung für Bürgerinitiativen verstehen, die vor Ort für ein konkret politisches oder auch nicht politisches Anliegen entstehen, nicht so sehr parteipolitisch, sondern wirklich immer ganz nah an den Bürgern dran, mit ganz pragmatischen Forderungen, die zugleich auch eine Vision enthalten, was wir bisher bei DEMOKRATIE JETZT die solidarische Gesellschaft genannt haben.

die andere: Glauben Sie, dass die Lösung der sozialen und Umweltprobleme ohne Veränderung des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systems in Deutschland zu erreichen ist?

Konrad Weiß: Die parlamentarische Demokratie, so wie sie in der Bundesrepublik gewachsen ist, hat eine Reihe von Vorteilen und Stärken, ohne dass ich jetzt sagen möchte, dass das der Idealstaat wäre, den es ohnehin nie geben wird. Nein, ich denke, natürlich muss sich Deutschland auch verändern, und natürlich will ich dazu beitragen, dass Deutschland sich verändert. Es gibt vieles, was wirklich veränderbar ist, was auch mit einer vernünftigen Politik der Bürgerbewegungen und der ihr nahestehenden Parteien zu erreichen sein sollte. Ich denke an den Bereich der Abrüstung. Dann denke ich natürlich, im sozialen Bereich muss es unbedingt zu einer größeren Gerechtigkeit kommen, da müssen wir versuchen, gemeinsam mit der SPD andere Modelle durchzusetzen.

die andere: "Ohne Vision kann man keine Politik machen." ist ein Zitat von Ihnen. Synonyme für Vision sind Traumbild, Trugbild, Erscheinung und Erleuchtung, Welche dieser Bedeutungen trifft ihrer Meinung nach am ehesten auf Politik zu?

Konrad Weiß: Für mich ist Vision ein Zielbild, etwas, was ich erreichen möchte, ein Ideal, auf das ich zugehe, von dem ich aber weiß, dass ich es nie erreichen werde. Wir müsse begreifen, dass der Mensch nicht nur gut ist, sondern dass er auch böse ist und Schattenseiten hat. Doch damit muss man arbeiten. Man muss gegen das Böse anarbeiten, und das gehört zu dieser Vision dazu. Ich möchte durch mein Leben und meine politische Arbeit erreichen, dass die Welt ein kleines bisschen besser wird. Das hat auch schon etwas von einem Traum, muss aber nicht unbedingt ein Trugbild sein. Wenn ich diese Vision nicht hätte, dass ich die Welt verbessern und dazu beitragen möchte, die Menschen menschlicher Zu machen, dann wäre Politik für mich nur ein Job, der gut bezahlt würde, wo es aber nicht darauf ankäme, was dabei herauskommt.

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(Das Interview führte Andreas Kruse)

die andere, Nr. 42, Mi. 07.11.1990

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