Jeder Krieg ist eine Niederlage der Friedfertigen

Fragen an Konrad Weiß nach seiner Israel-Reise (14. bis 17. Januar 1991)

die andere: Zehn Tage nach Kriegsbeginn sind Vertreter der Bundesregierung und einige SPD-Politiker nach Israel geflogen, um dem jüdischen Staat Solidarität zu beweisen. Wann hattest du das erste Mal daran gedacht, zum Kriegsbeginn im Mittleren Osten nach Israel zu fliegen?

Konrad Weiß: Fünf Tage vor Ablauf des Ultimatums habe ich mich bemüht, Parlamentarier des Bundestages für diese Reise zu gewinnen. Es gab dann auch zwei Abgeordnete aus der CDU, die bereit waren zu fahren, aber die haben das Flugzeug nicht erreicht. Ich habe einen der letzten Flüge bekommen. Die SPD hatte sich kurzfristig entschlossen, die Reise zunächst auszusetzen.

die andere: Warum wolltest du nach Israel fliegen?

Konrad Weiß: Ich wollte in der Stunde, wo das Ultimatum abläuft und die von Hussein angekündigte Bedrohung gegenüber Israel Realität werden würde, als Deutscher in Israel sein. Indem ich mich der Gefahr eines irakischen Giftgasangriffs aussetzte, wollte ich dagegen protestieren, dass deutsche Firmen - übrigens auch die DDR - technische Voraussetzungen geliefert haben, um Giftgas zu produzieren.

die andere: Deine Absicht, eine interfraktionelle Delegation des Bundestages zu initiieren, war gescheitert. Woran lag das?

Konrad Weiß: Im Büro der Bundestagspräsidentin, das mich sehr unterstützt hat, gab es ganz einfach die Besorgnis, nicht unnötig Menschenleben aufs Spiel setzen, man wusste ja nicht, wie sich das entwickeln würde im Irak. Das war also die Entscheidung der CDU, dann zu sagen, wir schicken keine offizielle Delegation. Ich bin aber in Israel vom Auswärtigen Amt als offizieller Gast empfangen und betreut worden.

die andere: Haben die Israelis deinen Besuch als Geste der Solidarität aufgenommen und verstanden?

Konrad Weiß: Gespräche hatte ich mit dem stellvertretenden Knesset Präsidenten von der Likud-Partei, Herrn Dan Tichon, und mit dem stellvertretenden Knesset-Präsidenten der uns nahestehenden Bürgerbewegungen, Herrn Virshubski. Die Bürgerbewegungen haben fünf Abgeordnete in der Knesset und sind für einen Frieden der Israelis mit den Palästinensern. Ich bin vom zuständigen Staatssekretär für Europafragen im Auswärtigen Amt empfangen worden. Außerdem habe ich einen Tag mit dem Deutschlandreferenten zugebracht. Alle haben die Geste meines Besuchs verstanden und haben sie respektiert Wir haben besprochen, was man tun kann, die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland, die im Augenblick in einer Krise sind, zu verbessern. Es gibt hier in den östlichen Bundesländern ein erbliches Informationsdefizit über Israel, auch über den Konflikt mit den Palästinensern aus israelischer Sicht. Die Propaganda war bis 1985/86 ausschließlich antiisraelisch eingestellt. In den DDR-Zeitungen war nie etwas über das alltägliche Leben in Israel, die israelische Kultur, die politische Landschaft zu lesen. Danach gab es zweckbestimmte Bemühungen im Zusammenhang mit dem Jahrestag des Novemberpogroms und um die DDR international aufzuwerten. Honecker wollte in die USA reisen. Damals war der Staatssekretär für Kirchenfragen in Israel, dann durften auch einige Künstler reisen.

Es wird ab Sommer ein israelisches Konsulat hier in Berlin geben, es sollte ein intensiver Jugendaustausch beginnen, und Israelis könnten an unseren Unis und Schulen über ihr Land berichten.

die andere: Warum interessiert dich Israel besonders?

Konrad Weiß: Ich denke, dass Israel uns sehr nahe ist, natürlich durch die gemeinsame, schwierige, katastrophale deutsche Geschichte, und dass auch das Verhältnis der Deutschen zu den Juden und damit auch zu Israel, dem jüdischen Staat, immer auch ein besonderes Verhältnis sein wird. Ich denke, dessen muss man sich bewusst sein, in Israel wird es ganz stark so empfunden. Wir Deutschen sollten uns immer vor Augen führen, dass bestimmte Erwartungen an uns gestellt werden. Vor allem wird von uns Solidarität erwartet. In Israel ist es sehr kritisch gesehen worden, dass sich die europäischen Staaten insgesamt, und auch Deutschland, im Vorfeld dieses Konfliktes sehr zurückgehalten haben, Israel keine politische Unterstützung angeboten, obwohl durch Hussein deutlich gedroht wurde, er wolle Israel ausradieren. Deshalb bedauert man in Israel, dass die Friedenskundgebungen erst nach dem 15. 1. [1991] eingesetzt haben und manches sehr vereinfachen.

die andere: Hatte deine Initiative etwas einer besonderen Verantwortung der Ex-DDRler zu tun? In den fünfziger Jahren gab es Schauprozesse, wo z. B. Oppositionelle als zionistische Agenten verurteilt wurden Es gab regelrechten Antisemitismus. Ist das vielleicht auch ein Antrieb dafür, dass du dich besonders engagierst?

Konrad Weiß: Es gab Anfang der fünfziger Jahre wirklich deutliche antisemitische und antizionistische Aktivitäten. Damals haben zwanzigtausend Juden die DDR verlassen, und ich denke, dass auch der Antizionismus der SED eine Form versteckten Antisemitismus gewesen ist. Mir ist, als ich Anfang der achtziger Jahre den Film Davids Tagebuch über ein jüdisches Kind gedreht habe, in Gesprächen gesagt worden, der Film könnte Sympathien für dieses jüdische Kind wecken, das 1942 in Treblinka vergast worden ist, und damit Sympathien für Israel. Dieser falsche Schluss scheint mir symptomatisch zu sein für die Denkungsart der SED.

die andere: Wie stellt sich deiner Meinung nach der heutige Zustand Israels in Bezug auf eine moderne Demokratie und auf den Umgang mit der Palästinenserfrage dar?

Konrad Weiß: Ich denke, Israel ist der einzige demokratische Staat im Nahen Osten. Es gibt ein Parteienspektrum nach westeuropäischem Vorbild: den Likud-Block, der die Konservativen anspricht, die Arbeiterpartei und die Bürgerbewegungen, die in der Knesset vertreten sind. Außerdem gibt es eine Reihe von kleineren Gruppierungen, insbesondere der verschiedensten religiösen Vertreter. Das schwierigste Problem ist die Palästinenserfrage. Es hat nie einen palästinensischen Staat gegeben. Es ist ein Erbe des Kolonialismus, mit dem sich Israel und die Palästinenser rumschlagen. Die Palästinenser sollten ursprünglich ihren Staat auf einem Territorium bilden, du vor allem zu Jordanien und zu Israel gehörte, ein Teil der Westbank.

Von den Jordaniern wurden sie vertrieben und suchten Zuflucht in der Westbank und im Gazastreifen. Viele Palästinenser sind inzwischen ausgewandert oder umgesiedelt. Dieses Problem müsste dringend gelöst werden. Das wissen auch die Israelis. Ich denke, dass nur eine Lösung gefunden wird, wenn die arabischen Staaten ohne jeden Vorbehalt die Existenzberechtigung Israels anerkennen. Im Zusammenhang mit dem Golfkonflikt ist das Problem noch schwieriger geworden, da Arafat sagt, er unterstütze das Vorhaben Husseins, Israel auszulöschen. Nach Beendigung des Golfkrieges ist es an der Zeit, endlich Lösungen im Nahen Osten einschließlich der Kurdenfrage zu finden. Das ist ein zweiter Unruheherd, der in Europa kaum wahrgenommen wird.

die andere: Welche politischen Kräfte gibt es, mit denen man zusammenarbeiten sollte, um die Probleme zu lösen?

Konrad Weiß: Es gibt eine Opposition auch in den arabischen Staaten, aber wir wissen nur wenig darüber, und sie sind sehr schwach. Man darf nicht vergessen, dass insbesondere Irak eine Diktatur ist, wo jede oppositionelle Betätigung mit der Todesstrafe bedroht ist. Die irakische Opposition ist sehr zersplittert und kann im Lande kaum tätig werden. Wir müssen versuchen, vielleicht eine alternative Nahost-Konferenz zustande zu bringen. Also eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, die nicht von oben ausgeht, sondern von unten, von den Oppositionellen. Alternative europäische Gruppierungen könnten eine Mittlerrolle spielen.

die andere: Erst liefern deutsche Firmen der Produktion von Giftgasfabriken im Irak zu, jetzt liefern sie Gasmasken nach Israel. Hussein lässt in der UdSSR produzierte Scut-Raketen auf Israel schießen, vielleicht sind unter den dorthin emigrierten Sowjetjuden welche, die in deren Produktionstitten gearbeitet haben. Englische kämpfen gegen irakische Flieger, die sie selbst ausgebildet haben. Dieser Krieg ist absurd. Weltinnenpolitik ist ein großes Wort, hat sie versagt?

Konrad Weiß: Ich glaube, dass die Politik im Nahen Osten versagt hat. Eine Konsequenz müsste das Verbot von Waffenexport und auch das Verbot von Technologien sein, die der Herstellung von Waffen dienen. Das gehört in die deutsche Verfassung, dafür, denke ich, wird sich unsere Fraktion einsetzen. Wir sollten eine entsprechende Grundgesetzänderung beantragen. Ich denke, im Golfkonflikt hat auch die Friedensbewegung versagt. Wir haben fast nichts getan, also vor zwei Jahren zwanzigtausend kurdische Frauen und Kinder von Hussein vergast wurden. Die Friedensbewegung ist nicht auf die Straße gegangen, als am 2. August 90 Kuweit überfallen worden ist, und ich denke auch, dass die Friedensbewegung im Vorfeld des Krieges keine wirklich alternativen Konzepte entwickelt hat, die für die Region dort greifen könnten. Es haben Initiativen gefehlt, dass Menschen bereit wären, so wie jetzt die Soldaten tun, unter Einsatz ihres Lebens in das Gebiet dort zu gehen, das Gespräch mit Hussein zu suchen. Ich weiß, dass es fast unmöglich war, aber es scheint mir jetzt zu billig, sich hinzustellen und zu sagen, wir sind gegen diesen Krieg und nichts Alternatives anzubieten. Ich halte es auch für eine unzulässige Verkürzung, wenn wir sagen, kein Blut für Öl. Ich weiß, dass das natürlich eine Rolle spielt, aber eben nicht nur. Es geht auch darum; wir haben eine neue Situation. Die Amerikaner sind beauftragt von der Völkergemeinschaft - wie immer das zustande gekommen ist. Hier muss man sehr differenziert die Situation betrachten und für mich persönlich: Ich habe die Nacht, in der da Ultimatum ablief, in Jerusalem an der Klagemauer gestanden und habe natürlich Angst gehabt, weil niemand wusste, würden im nächsten Moment Giftgas-Raketen einschlagen. Für mich war es die Erkenntnis, ich kann meinen Anspruch, gewaltlos zu leben, Pazifist zu sein, nur für mich selbst stellen, ich kann ihn nicht - schon gar nicht aus der Ferne - für Menschen stellen, die bedroht sind. Ich muss ihnen das Recht zugestehen, sich zu verteidigen. Insofern scheint mir auch die Haltung der Friedensbewegung, sich als die moralisch Besseren zu dünken, sehr fragwürdig.

die andere: Deine Kritik an der Friedensbewegung stieß aus verschiedenen Gründen auf Unverständnis. Kannst du präzisieren, was du ihr eigentlich vorwirfst?

Konrad Weiß: Die Friedensbewegung hat, was den Golfkonflikt betrifft, versagt. Wir haben viele Gründe, darüber nachzudenken, wir müssen neue Ansätze finden. Ich beziehe mich da ein, vielleicht sollten wir eine Friedensarmee schaffen, Menschen, die bereit sind, in solche Konfliktgebiete zu gehen, sich unter Umständen auch töten zu lassen, auf Gewalt zu verzichten als Zeichen. Vielleicht sollten wir ein alternatives Netz von Friedensdiplomaten ausbauen, so wie es die Quäker seit Jahrzehnten mit Erfolg versucht haben, die im Hintergrund das Gespräch auch mit den schlimmsten Diktaturen gesucht und zumindest menschliche Erleichterungen erreicht haben. Wir sollten vor allem dazu beitragen, dass die oppositionellen Kräfte in dieser Region gestärkt werden, sollten gegen jede Menschenrechtsverletzung mit gleicher Intensität vorgehen und nicht schweigen, weil uns das eine oder andere nähersteht. Ich bin von vielen missverstanden worden wegen meiner kritischen Anfragen an uns, an die Friedensbewegung. Doch ich halte es für meine menschliche Pflicht, auch in dieser Situation nachzudenken über Versäumnisse und Möglichkeiten. Wir müssen es uns eingestehen: Jeder Krieg ist eine Niederlage der Friedfertigen, der Friedensbewegung. Das ist bitter. Doch wir wissen auch, dass man aus Niederlagen neue Kraft gewinnen kann. Die brauchen wir, um frei zu sein für neue Denkansätze, für neue Vorschläge, für eine phantasievolle Friedenspolitik.

Interview: Rüdiger Rosenthal

die andere, Nr. 6, 06.02.1991