Für bürgernahe Politik in einem freien Parlament

BZ-Gespräch mit Konrad Weiß, Volkskammerabgeordneter (Demokratie Jetzt)

Mit dem Volkskammerabgeordneten Konrad Weiß (Filmregisseur und Publizist) sprach BZ über seine künftige Arbeit

BZ: Welche Gedanken nehmen Sie am Donnerstag in die erste Sitzung der freigewählten Volkskammer mit? Sie gehören ja zu den vielleicht letzten Abgeordneten eines Parlaments der DDR.

K. Weiß: Für mich wird der Tag, an dem sich die erste freie Volkskammer der DDR konstituiert, ein großer Tag sein. Trotz aller Bedenken und Sorgen, die uns bewegen, ist es von großem Wert, ein freigewähltes Parlament zu haben. Natürlich wird es darauf ankommen, auch dort eine demokratische parlamentarische Arbeit möglich zu machen. Ich bin mir noch gar nicht so sicher, ob es wirklich die letzte Volkskammer der DDR ist Im Augenblick habe ich eher den Eindruck, dass mit der Diskussion über Umtauschsätze und Währungsunion, mit dem Zurücknehmen von Wahlversprechen versucht wird, den Prozess zu verlangsamen.

BZ: Demokratie Jetzt, das Bündnis 90 insgesamt, haben immer vor einer überstürzten Vereinigung, vor allzu hochfliegenden Hoffnungen gewarnt. Nicht zu Unrecht, wie es scheint?

K. Weiß: Wir haben uns immer eindeutig geäußert, waren von Anfang an skeptisch gegenüber einer raschen Währungsunion. Daran möchte ich doch erinnern. Jetzt könnte ich mir sogar vorstellen, dass aus der Sorge der Menschen heraus vielleicht wieder unser Konzept einer Konföderation ins Gespräch kommt. Ganz einfach, weil die Vorstellung von einer blitzartigen Vereinigung nicht zu realisieren ist. Jedenfalls nicht, ohne dass die DDR und wir, die Menschen in der DDR, die Benachteiligten sind. Wenn es zu diesem Umtauschverhältnis 2:1 kommen sollte, würden wir zur Kolonie der Bundesrepublik. Mir erscheint das alles ein bisschen so wie das Verhalten der Sklavenhändler gegenüber den Eingeborenen.

BZ: Steckt hinter der Bonner jongliererei mit Umtauschsätzen nicht die Absicht, dass die DDR-Bürger mit Demut nahezu jedes Almosen akzeptieren?

K. Weiß: Es wird in der nächsten Zeit die phantastischsten Gerüchte über die Umtauschkurse geben. Mit dieser Art der psychologischen Kriegsführung wird man versuchen, die Menschen in der DDR letztendlich dankbar zu machen, wenn es denn doch zu einer Währungsunion kommt egal zu welchen Bedingungen.

Ich könnte mir allerdings vorstellen: Wenn es mit der Währungsunion nicht so klappt, wie das viele erwarten, wenn die Menschen begreifen, dass das Arbeitslosigkeit bedeutet und Verlust ihres Sparguthabens, werden sie wieder auf die Straße gehen und auch streiken.

BZ: Mit welchen Zielen und Aufgaben gehen Sie als Vertreter einer Bürgerbewegung, also als Interessenvertreter der Bürger, an die Arbeit in der gemeinsamen Fraktion mit der Grünen Partei?

K. Weiß: Wir haben uns über die grundlegende Aufgabe verständigt, die Politik des Runden Tisches fortzusetzen. Das heißt also eine bürgernahe Politik, die ausgeht von den unmittelbaren Interessen der Leute im Lande. Wir sehen es als eine der Hauptaufgaben an, das Gespräch über die neue Verfassung der DDR in Gang zu bringen, notfalls auch ein Volksbegehren zu initiieren. Wir planen eine Reihe von Gesetzesinitiativen, zum Beispiel für ein Betriebsverfassungsgesetz. Wichtig ist der Fraktion vor allem der Bereich der Sozialgesetzgebung sowie die Sicherung des Eigentums. Dafür haben wir bereits vieles vorgedacht.

BZ: Aus diesem Vorgedachten resultiert auch die Gründung einer Holding-Gesellschaft für die DDR. Ist dies unter dem Zugriff westlichen Kapitals, auf das unsere Wirtschaft ja angewiesen ist, überhaupt noch realisierbar?

K. Weiß: Diese Treuhandgesellschaft sollte nach wie vor arbeiten. Schon als Kontrollinstanz, da- mit Betriebsleiter nicht verkaufen. was ihnen nicht gehört. Deshalb brauchen wir übrigens auch so schnell wie möglich ein Betriebsverfassungsgesetz. Die Belegschaft in den Betrieben muss ein Recht haben mitzuentscheiden. Für diese Mitbestimmung gibt es in der Bundesrepublik ganz brauchbare Modelle, von denen man lernen kann. Es gibt eben nicht nur das Kapital, sondern auch die Erfahrung aus über 40 Jahren intensiver gewerkschaftlicher Arbeit.

BZ: Zu diesen Erfahrungen gehört sicher, dass man seine Interessen selbst am besten vertritt und nicht so sehr auf Wunder von oben wartet - oder, wie es jetzt viele bei uns tun, aus Bonn.

K. Weiß: Ich glaube, dass viele Menschen unter dem massiven Ansturm der Angriffe aus dem Westen ganz zu Unrecht ihr Selbstbewusstsein verloren halben.

Das eigentliche Problem scheint mir darin zu liegen, dass es seit 57 Jahren keine Demokratie in diesem Teil Deutschlands gegeben hat. Das kann man natürlich nicht in vier, fünf Monaten nachholen. Bewusst geworden ist mir das während der Arbeit am Runden Tisch. Aus vielen Briefen sprach Unverständnis darüber. Aber hier wurde öffentlich ein Stück Demokratie verwirklicht, wie es sie bisher in keinem anderen Land gegeben hat - auch in der Bundesrepublik nicht.

Die Arbeit die am Runden Tisch geleistet worden ist, war für mich persönlich, und ich denke für viele aus unserem Bündnis, die beste Vorbereitung auf die Tätigkeit in der Volkskammer. Wir haben gelernt Anliegen der Bürger unmittelbar in Politik umzusetzen.

Das Gespräch führte
Bettina Urbanski

Berliner Zeitung, Nr. 79, Di. 03.04.1990

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