Nr. 6 | November 1989 |
In der Versammlung der Bürgerbewegung in der Gethsemanekirche am 27. Oktober erläuterte Hans-Jürgen Fischbeck den wirtschaftspolitischen Teil unserer "Thesen für eine demokratische Umgestaltung der DDR" - Lesen Sie bitte nachfolgende Auszüge:
Von der Verstaatlichung zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel
Sozialismus beruht auf dem gesellschaftlichen Eigentum an Produktionsmitteln zum Zweck der Überwindung von Entfremdung und Ausbeutung menschlicher Arbeit. Dies geschieht durch die gesellschaftliche Aneignung und Verwendung des Mehrwerts zum Nutzen derer, die ihn erbringen und zum Wohle aller. Sozialismus ist Demokratie nicht nur im Staat, sondern in eigener weise in der Wirtschaft. Die Bindung jeglicher Wirtschaftstätigkeit an das Gemeinwohl und die Wahrung internationaler Solidarität mit den armen Völkern sollte strukturell und durch demokratische Staatlichkeit gewährleistet sein.
Auf dem Hintergrund von 40 Jahren Staatssozialismus erkennt man, dass Ausbeutung nur in einem marktwirtschaftlichen Sozialismus überwunden werden kann. Über ein propagandistisch erzeugtes Staatsbewusstsein innerhalb einer zentralistischen Planwirtschaft geht es nicht. Die wichtigsten Schritte zur Miteigentümerschaft der Beschäftigten sind die folgenden: Die Betriebe müssen ökonomisch und juristisch selbständig werden. Die Werktätigen müssen entsprechend ihrer Verantwortung an Gewinn und Verlust angemessen beteiligt werden. Unabhängige Gewerkschaften müssen durch das Streikrecht zu gleichstarken Partnern der Betriebsleitungen werden. Durch gewerkschaftliche Mitbestimmung in Betriebsräten soll sich die Anwendung des Streikrechts möglichst erübrigen. Echte Rechenschaftspflicht der Leitung soll diese an die Interessen der Belegschaft binden.
Besonders weit geht die Vergesellschaftung der Produktionsmittel bei Genossenschaften. Wir haben sie in der Landwirtschaft, im Handwerk und formal auch im Handel (Konsum, EHG). Diese Form ist jedoch kaum wirksam geworden durch die mangelnde Selbständigkeit und den viel zu engen Spielraum ökonomischen Handelns in der Planwirtschaft. Deshalb ist die Stärkung und Unabhängigkeit der Genossenschaften notwendig.
Die gravierenden Mängel im Handel und Dienstleistungsbereich machen die Zulassung privater Kooperativen und privater Wirtschafts- und Eigentumsformen erforderlich, wobei für eine angemessene Mitbestimmung der Beschäftigten gesorgt werden sollte. Ökonomisch unabhängige Produzenten setzen einen Markt als selbsttätigen und objektiven Regulator voraus, an dem realistische Preise im Angebotswettbewerb auch mit ausländischen Anbietern gebildet werden. Deshalb sollte das staatliche Außenhandelsmonopol abgeschafft werden. Nur so entsteht der Leistungsdruck und der Innovationsanreiz, den wir so dringend brauchen. Die zentralistische Planwirtschaft erzeugt systembedingt einen Nachfragewettbewerb, von dem kein Anreiz zu Qualität und Neuerung ausgeht, weil man ohnehin alles reißend los wird (Beispiel Trabant). Künstliche Preise und Subventionen stehen einer effizienten Ökonomie im Wege. Die Einführung eines Marktes bedeutet nicht, dass auf staatliche Planung verzichtet werden sollte. Im Gegenteil. Langfristige Planung in der Energie- und Umweltpolitik ist notwendiger denn je. Diese Planung sollte aber nicht dirigistisch, sondern durch gesetzgeberische Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, durch Steuer-, Zins- und Währungspolitik wirksam werden. Staatliche Aufsichts- und Lenkungskompetenzen sollten auf ein Minimum beschränkt werden, was zur Bindung der Wirtschaftstätigkeit an das Gemeinwohl notwendig ist. Damit meine ich die Wahrung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Produktion, Konsumtion und Entsorgung. Ich habe die Hoffnung, dass dies schon allein durch konkrete Mitbestimmung im Betrieb in erheblichem Maße erreicht werden kann - beispielsweise sind die Betriebsangehörigen oft als erste vom Schadstoffausstoß ihrer Betriebe betroffen und werden so zu Anwälten der Allgemeinheit.
[Demokratie Jetzt nannte ihre Flugblätter bewusst Zeitung. Sie rechneten mit einem jahrelangen Kampf, in dem sie auch ihre Medienpräsenz ausbauen wollten.]